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Sinan Simseks Buchladen im Neuen Kreuzberger Zentrum quillt vor Büchern fast über, doch leider ist die Leserquote in der Gegend nicht sehr hoch.
© Verena Eidel

Türkisch-Deutsche Verständigung: Vom Späti zum Buchladen

In seinem Kreuzberger Buchladen „Regenbogen“ verkauft Sinan Simsek Weltliteratur auf Türkisch und türkische Bücher auf Deutsch.

Alles begann vor ein paar Jahren im Späti: Hier gab es Zigaretten, Getränke, H-Milch und Zeitungen – was ein guter Späti eben so führt. Aber hinten im Laden verkaufte Sinan Simsek Bücher. Heute steht der 39-Jährige ein paar Schaufenster weiter in der Ladenzeile des Neuen Kreuzberger Zentrums am Kotti und sortiert Bücher in Regale ein. Der kleine Laden ist bis unter die Decke voll mit Büchern, der Plattenspieler spielt Haydn ab. Eine schmale Stiege führt auf eine zweite Ebene. „Noch mehr Bücher“, sagt Sinan Simsek stolz.

Im Laden „Regenbogen“ in der Adalbertstraße 3 gibt es Literatur aus der ganzen Welt in türkischer Sprache und türkische Literatur auf Deutsch. „Das gibt es in ganz Deutschland nicht noch einmal“, sagt Simsek. Wahrscheinlich, fügt er hinzu, weil das Konzept eben nicht so besonders gut laufe. Er hebt ein bisschen bekümmert die Schultern.

Aber der Kunsthistoriker und Lehrer, der mit 24 Jahren von Istanbul nach Berlin zog, um zu studieren, lässt sich nicht entmutigen. „Ich war schon im Späti mein bester Kunde“, sagt er. „Und dann kamen eben doch einige wieder, zum Reden etwa – aber auch wegen der Bücher.“ Also entschied er sich, es mit einem Buchladen zu probieren. Er sei zwar nicht der Besitzer, aber da dieser in der Türkei lebt, ist Simsek hier zuständig. „Der Laden ist eine Oase.“ Der ehemalige Späti-Verkäufer lächelt, und man versteht: Es geht hier um viel mehr als ums Bücherverkaufen.

Die Leserquote ist leider nicht sehr hoch hier, erklärt Sinan Simsek. Immer wieder habe man ihm gesagt, dass er mit anderen Büchern mehr verdienen könnte. Aber er führe eben vor allem kritische, liberale Autoren – und die liest eigentlich kaum jemand, außer seinen Stammkunden. Die kommen und fragen nach Empfehlungen, und manch einer bringt auch selbst ein Buch mit, um es Sinan Simsek zum Lesen zu geben. Aber, auch wenn nicht viele Berliner Hermann Hesse oder Nietzsche auf Türkisch lesen wollen: Immer wieder bleiben Passanten stehen und betrachten die Titel in der Auslage. Sinan Simsek sieht es, und seine Miene hellt sich auf.

Griechische Mythologie und türkische Kultur

Das sei auch der Grund, warum er für seine Oase kämpfe, sagt er „Vor allem die Kinder, die hier zweisprachig aufwachsen, sollen sehen, dass man auch auf Türkisch viele unterschiedliche Bücher lesen kann.“ Und viele Kinder kennen den Buchladen inzwischen. Einige kommen regelmäßig, machen hinten am kleinen Tisch ihre Hausaufgaben oder blättern in den Büchern. „Dann versuche ich vor allem, sie neugierig zu machen“, sagt der Buchhändler.

Ein Junge zum Beispiel, erzählt er, kommt regelmäßig und liest immer das Gleiche: griechische Mythologie. „Ich habe mich auch erst gewundert“, sagt Sinan Simsek, „aber dann habe ich mich gefreut.“ Denn jeder, glaubt Simsek, hat schließlich einen eigenen Zugang, sein persönliches kleines Türchen, durch das er in die Welt der Geschichten und Bücher gelangt.

Simsek erinnert ein wenig an den Buchhändler Karl Konrad Koreander aus Michael Endes „Unendlicher Geschichte“, der das Buch für die Hauptfigur Bastian auf dem Tisch liegen lässt und im Hinterzimmer verschwindet – damit Bastian hineinfindet, in die Welt der Fantasie. Es gibt Eltern am Kotti, die schicken ihre Kinder zum Buchladen, wenn sie selbst gerade nicht zu Hause sind. Das Kottbusser Tor gilt als Drogenumschlagplatz – nicht der beste Ort für Kinder also. Die Familien, die im Neuen Kreuzberger Zentrum leben, wissen, dass ihr Nachwuchs bei ihm gut aufgehoben ist. Er selbst ist inzwischen umgezogen, aber er bleibt eine wichtige Bezugsperson für die Kinder vom Kotti.

Aber der Buchladen fordert auch die Deutschen auf, sich mit der türkischen Kultur, Geschichte und aktuellen Politik kritisch auseinanderzusetzen. Denn da gibt es Nachholbedarf, sagt der Buchhändler, den manche für konservativ halten, weil er einen Vollbart trägt. Dabei sei er Alevit, stellt Sinan Simsek klar. Und sein Bart sei eben ganz anders als der von streng religiösen Männern. „Wir müssen uns gegenseitig integrieren“, sagt er noch, dann klingelt das Telefon. Es geht um eine Lesung. Ein Autor aus der Türkei will sein neues Buch vorstellen. Es gibt noch viel zu tun für Sinan Simsek.

Von den Autorinnen erschien bereits: „111 Berliner, die man kennenlernen sollte“ (Emons Verlag, 230 Seiten, 16,95 Euro). Nun begeben sich Lucia Jay von Seldeneck und Verena Eidel für uns auf die Suche nach noch mehr Berlinern.

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