Früherkennung bei Kindern: Vom ersten Milchzahn an
Je eher Schäden am Gebiss erkannt werden, desto besser kann man sie behandeln. Das wirkt sich positiv auf die gesamte Gesundheit aus. Zahnärzte fordern deshalb einheitliche Früherkennungs-Untersuchungen bei Kindern. Einige Kassen bieten sie bereits an.
Ein gesundes Gebiss bis ins hohe Alter wünschen sich alle. Der Wunsch muss nicht unerreichbar bleiben, wenn man mit der Zahnpflege früh genug anfängt. Denn die Grundlage für eine gesunde Entwicklung der Beißerchen wird bereits in diesem Moment gelegt. Deshalb setzen sich Zahnärzte dafür ein, dass zusätzlich zu den allgemeinen Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt demnächst auch eigene zahnmedizinische Früherkennungs-Untersuchungen für Kleinkinder angeboten werden. 2018 soll es so weit sein, auch schon jetzt bieten einige Kassen entsprechende Programme an.
Warum ist ein früher Zahnschutz wichtig?
Was hat man in sehr jungen Jahren nicht schon alles mit seinen Zähnen erlebt? Zuerst ist es ein Gewaltakt, wenn sie durchbrechen und dann das Zahnen mehr zäh als zaghaft abläuft. Denn wenn sich typischerweise die mittleren Schneidezähne im Unterkiefer um den sechsten Lebensmonat als erste den Weg ins Freie bahnen, kann das für viele Babys mit starken Schmerzen einhergehen. Und wenn bis zum dritten Lebensjahr endlich alle Milchzähne da sind, fällt ihnen nichts Besseres ein als wieder auszufallen. Aber all das Leiden wird vom ersten Besuch beim Zahnarzt in den Schatten gestellt, der wegen Karies zum Bohrer greifen muss. Babys und Kleinkindern können traumatische Erlebnisse beim Zahnarzt erspart bleiben, wenn ihre Zahngesundheit von Anfang an besser kontrolliert wird. Denn obwohl Statistiker über die letzten Jahre einen Rückgang der generellen Kariesverbreitung in Deutschland beobachten, verharrt bei Babys und Vorschulkindern die Zahl der auch als „Nuckelflaschenkaries“ bezeichneten frühkindlichen Karies immer noch auf relativ hohem Niveau. Grund: Viele Eltern setzen die Fläschchen mit zucker- und säurehaltigen Getränken wie Säften oder gesüßten Tees gern als Beruhigungsmittel ein. Dabei werden vor allem die oberen Schneidezähne ständig von süßen Getränken umspült. Zerstörerische Folge: Karies. Nun könnte man denken, dass Milchzähne, auch wenn sie ruiniert sein sollten, ja ohnehin wieder ausfallen. „Jedoch haben Kinder mit bereits kariösen ersten Zähnen ein erhöhtes Risiko, auch an den späteren Zähnen Karies zu entwickeln“, sagt Sebastian Ziller, Abteilungsleiter für Prävention und Gesundheitsförderung bei der Bundeszahnärztekammer. Außerdem legten gesunde Zähne von Anfang an die Grundlage für die Sprachentwicklung, beugten späteren Zahnfehlstellungen vor und seien nicht zuletzt von ästhetischer Bedeutung. Je eher Schäden am Gebiss entdeckt werden, desto effektiver kann man sie behandeln und desto positiver kann sich das langfristig auf die gesamte Gesundheit auswirken.
Welche Untersuchungen sind bisher gesetzlich vorgeschrieben?
Auch bisher gehören Begutachtungen der frühkindlichen Mundhöhle zu den gesetzlich vorgeschriebenen und von allen Krankenkassen gezahlten Vorsorgeuntersuchungen von Babys und Kleinkindern. Bis zum 30. Monat haben allerdings bisher keine speziell zahnärztlichen Kontrollen stattgefunden, sondern erfolgten die Begutachtungen vor allem im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U7, die von Kinderärzten durchgeführt werden. Laut Bundeszahnärztekammer zeigte eine Untersuchung jedoch, „dass bei der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchung nur 34,6 Prozent der befragten Mütter Hinweise zur Zahngesundheit ihrer Kinder erhielten“. Ab dem 30. Monat tritt dann auch ein Zahnarzt in die medizinische Vorsorge ein: Bis zum 72. Monat stehen den Kindern drei kostenlose zahnmedizinische Vorsorgeuntersuchungen im Abstand von zwölf Monaten zu.
Welche Untersuchungen sind neu oder kommen bald?
Die Zahnärzte in Deutschland machen sich stark dafür, einheitliche zahnärztliche Früherkennungs-Untersuchungen gegen frühkindliche Karies bereits vor dem 30. Monat einzuführen. Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Bundeszahnärztekammer halten drei neue zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen (abgekürzt „FU 1“ bis „FU 3“) für sinnvoll. Eine entsprechende Richtlinie ist auf den Weg gebracht, muss aber erst noch durch die Instanzen der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen besiegelt werden und soll im Laufe des Jahres 2018 für alle gesetzlich Versicherten in Kraft treten.
Welche eigenen Vorsorgeleistungen bieten Krankenkassen über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus?
Zwar ist die dentale Frühprävention gegen Karies für Kleinkinder bisher noch nicht flächendeckend im Leistungskatalog Gesetzlicher Krankenversicherungen verankert, aber einige Krankenkassen wie AOK Nordost oder Barmer bieten ihren jüngsten Mitgliedern bereits jetzt eigenständig verschiedene zahnärztliche Vorsorgeleistungen an. Für die Eltern entstehen dabei keine Kosten. „Das ist ein wichtiger Schritt, um junge Eltern früh rund um die Mundgesundheit der Kleinsten aufzuklären und um Nuckelflaschenkaries zu verhindern“, sagt Ziller. Kindern, die bei der AOK versichert sind, stehen neben den drei bisherigen gesetzlichen Früherkennungsuntersuchungen zwischen dem 30. und 72. Monat vier zahnmedizinische Vorsorgeuntersuchungen zu. Die Barmer übernimmt für Kleinkinder zwei zusätzliche Untersuchungen zwischen dem sechsten und 30. Monat. Auf der Website der Kasse kann man ein Formular herunterladen, das man vor dem Zahnarztbesuch ausdrucken sollte und auf dem der Arzt die Teilnahme an der Zahnvorsorge dokumentieren kann.
Was passiert bei zahnärztlichen Früherkennungs-Untersuchungen?
Bei den bisher schon laufenden zusätzlichen Zahnkontrollen von Krankenkassen wie der AOK Nordost oder der Barmer untersucht der Zahnarzt die Mundhöhle und schätzt das Kariesrisiko des Kindes ab. Außerdem steht er für Fragen der Eltern bereit und berät sie zu Themen wie Ernährung, Hygiene oder Fluoridversorgung. Die Früherkennungsuntersuchung (FU) 1 zwischen dem sechsten und neunten Monat ist der erste Vorsorgetermin beim Zahnarzt. Hierbei geht es zunächst darum, dass sich eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung aufbaut und dass der Mediziner eine umfangreiche Anamnese erstellt. Er fragt nach der Entwicklung des Kindes, Vorerkrankungen, Fluoridnutzung, Ernährung und Stillen, aber auch möglichen Ängsten und Wünschen der Eltern. In der eigentlichen zahnärztlichen Untersuchung schaut der Mediziner dann nach Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen, auffälliger Plaque oder Zahnfleischentzündungen. „Besonders wichtig ist auch die Beratung der Eltern zur Mundpflege und Ernährung sowie das Einüben der korrekten Putztechnik“, sagt Ziller.
Bei der FU 2 zwischen dem zehnten und 20. Monat sind die Milch-Frontzähne in der Regel durchgebrochen. „Das Kind kann jetzt vielleicht schon allein im Stuhl sitzen und wird durch Vormachen, zum Beispiel an einem Kuscheltier, zur Nachahmung angeregt“, sagt Ziller. Eventuelle zahnmedizinische Defizite sind an einer Zahnfleischentzündung und angefärbter Plaque erkennbar. Möglicherweise gelingt es in diesem Alter bereits, die Zähne professionell zu reinigen.
Bei der FU 3 ab dem 21. Monat gilt das Augenmerk neben der Mundpflege auch der Entwicklung des Gebisses. Daher empfiehlt der Zahnarzt zu diesem Zeitpunkt üblicherweise, dass man dem Kind den Schnuller spätestens im dritten Lebensjahr abgewöhnen sollte. Außerdem raten Experten dazu, dass das Kind seine Eltern bereits früh zu Zahnarztbesuchen begleiten sollte. Das diene dazu, die Atmosphäre einer Zahnarztpraxis besser kennenzulernen. Und das soll dem Kind dabei helfen, keine Angst vor dem Zahnarzt zu entwickeln. Wie auch bei den etablierten Vorsorgeuntersuchungen der gesetzlichen Krankenkassen gegen frühkindliche Karies steht bei all diesen Terminen immer auch eine ausführliche Beratung zur Ernährung und Mundhygiene der Kinder mit auf dem Programm. Denn gerade diese Punkte könne man als Mutter oder Vater am besten beeinflussen.
Wie werden Kinderzähne richtig geputzt?
Bei einem gesunden Kind brechen die Zähne mit einem halben Jahr durch. Dann sollten Eltern beginnen, die Zähne ihres Kindes einmal täglich, am besten abends, mit einer „reiskorngroßen“ Menge fluoridhaltiger Kinderzahnpasta auf einer weichen Kinderzahnbürste zu putzen. Klar kann es passieren, dass Kinder etwas von der Zahnpasta herunterschlucken. Aber das ist kein Problem. Kinderzahnpasta mit 0,05 Prozent Fluoridgehalt führt selbst nach dem Verzehr von 70 Gramm allenfalls zu Bauchschmerzen. Eine Vergiftung ist nicht zu befürchten. Ab dem zweiten Lebensjahr sollte die fluoridhaltige Kinderzahncreme zweimal täglich in einer „erbsengroßen“ Menge angewendet werden.
Bei Kleinkindern müssen Eltern das Zähneputzen übernehmen. Aber auch bei größeren Kindern bis ins Grundschulalter sei es ratsam, dass die Eltern nachputzen. Experten empfehlen, ab dem sechsten Lebensjahr Fluoridzahnpasten für Erwachsene anzuwenden. Wenn sich trotzdem Kariesvorstufen ausbilden, ist der Gang zum Zahnarzt unvermeidbar. Er behandelt die geschädigten Stellen dann mit lokalen Fluoridierungen.
Weitere interessante Artikel rund um die Zahngesundheit finden Sie im Magazin „Tagesspiegel Gesunde Zähne“, darin: Wie kann eine Wurzelkanalbehandlung den Zahn retten? Was ist Karies, und wie bekämpft man sie? Was kann man gegen Kieferschmerzen tun? Wie verändern sich im Alter die Zähne? Was ist von günstigeren Zahnbehandlungen im Ausland zu halten? Außerdem: eine Tabelle mit den Ärzteempfehlungen für die Berliner Zahnarztpraxen. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop, www.tagesspiegel.de/shop, Tel. 29021-520 und im Zeitschriftenhandel.
Von Leonard Hillmann