Zahnspange: Keine Bange mit der Spange
Das Tragen einer Zahnspange muss kein Leidensweg sein. Ein Jugendlicher und der Vater einer Fünfjährigen sprechen über ihre Erlebnisse.
Milan (12, Name geändert):
Seit Oktober 2015 habe ich feste Zahnspangen, ich trage sie noch bis Juli. Eine am Ober-, eine am Unterkiefer. Sie sind mit Brackets auf den Zähnen aufgeklebt. Viele glauben, die Brackets liegen nur auf dem Zahn auf, aber sie sind angeklebt, damit sie nicht abrutschen. Ich konnte mir die Farbe der Brackets aussuchen: unten silbern, oben weiß. Die obere ist dadurch besser getarnt. Wenn ich lächle, möchte ich nicht, dass jeder sofort meine Spange sieht. Ich wollte wegen ihr auch nicht in der Schule gemobbt werden. Aber das ist dann auch gar nicht passiert. Zuerst hatte ich gar keine Angst davor. Dann habe ich gehört und im Internet gelesen, dass Mobbing manchmal vorkommt, das hat mir ein bisschen Angst gemacht. Aber von meinen Freunden hatte niemand Probleme. Ich habe mich trotzdem für die weißen Brackets entschieden, zumindest oben. Unten sind sie ja eh meist durch die Unterlippe verdeckt.
Ich hatte früher schon Spangen, die man herausnehmen konnte. Meine feste Spange bleibt jetzt immer drin. Bei der herausnehmbaren war das Problem: Immer, wenn ich sie nach länger Zeit wieder reinnahm, tat es weh. Zähne und Kiefer mussten sich jedes Mal wieder daran gewöhnen. Einmal habe ich sie eine ganze Woche nicht getragen. Mit der festen Zahnspange passiert das natürlich nicht.
Der Nachteil bei der festen Spange ist, dass ich meine Zähne gründlicher putzen muss. Daran musste ich mich erst mal einen Monat lang gewöhnen. Es gibt für elektrische Zahnbürsten spezielle Köpfe für Spangen. Mit einem normalen Kopf putzt man vor allem die Brackets. Ich habe deswegen noch so kleine Zahnbürstchen. Die kann man sich vorstellen wie die Bürsten, die es für die Zahnzwischenräume gibt – nur ich habe die eben für den Bereich zwischen den Brackets und den Zähnen. Am Anfang habe ich bestimmt eine Viertelstunde dafür gebraucht – inzwischen nur noch zwischen fünf und acht Minuten.
Fehlstellungen des Kiefers können Auswirkungen auf den ganzen Körper haben
Die herausnehmbaren Spangen hatten nicht ausgereicht, meinen Kiefer zu korrigieren. Mein Unterkiefer lag früher viel zu weit hinten. Das kann auf den ganzen Körper Auswirkungen haben und der Rücken dadurch etwas krumm werden. Ich zum Beispiel habe Plattfüße. Als ich deswegen beim Physiotherapeuten war und meine Spange erwähnt habe, meinte er, dass die Plattfüße tatsächlich mit dem Kiefer zusammenhängen können. Ich muss deshalb kleine ringförmige Gummis tragen. Du hakst sie an einem Bracket hinten am Unterkiefer fest und dann das andere Ende an einem Bracket weiter vorne am Oberkiefer. So wird der Unterkiefer nach vorne gezogen. Zuerst musste ich sie den ganzen Tag tragen. Aber wenn man sich daran hält, meinte die Kieferorthopädin, könne man die Gummis irgendwann tagsüber weglassen. Bei mir war das nach einem halben Jahr so weit. Jetzt trage ich sie nur noch nachts. Das ist ganz angenehm. Man merkt es gar nicht. Nur beim Essen hat man nicht den gleichen Bewegungsfreiraum wie sonst. Gähnt man stark, können sie auch mal reißen.
Ich muss selten zur Kieferorthopädin, außer es ist ein Bracket abgefallen, dann gehe ich sofort. Ansonsten alle sieben Wochen zur Kontrolle und Prophylaxe. Dann stellt sie die Drähte etwas enger, damit die Zähne zusammenrücken. Sie hat sich viel Zeit für mich genommen. Falls es Probleme gibt und ein Bracket abfällt, hat sie mir gezeigt, was man tun kann, damit es nicht so herumwackelt. Mir ist schon drei Mal ein Bracket abgefallen. Das ist nicht so schlimm, aber es ist ein Aufwand, sie wieder anzukleben – und teuer. Ich würde jedem empfehlen, dem Kieferorthopäden genau zuzuhören, was man essen darf. Bestimmte Sachen sind nämlich zu klebrig, und die ziehen dann die Brackets ab. Ich habe nicht so gut zugehört und Maoam, Kaugummis, Nimm2- Bonbons gegessen. Solche dehnbaren Süßigkeiten ziehen die Brackets ab wie ein Saugnapf.
Ich würde jedem, der eine Spange bekommt, raten, gut die Zähne zu putzen und Sachen, die man nicht essen darf, wirklich zu vermeiden. Und immer gut der Kieferorthopädin zuhören, nicht einfach dasitzen und denken: Mama macht das schon für mich. Man braucht keine Angst vor der Spange zu haben. Es ist ganz normal, dass sie vielleicht so 24 Stunden wehtut. Man gewöhnt sich an sie.
Gelbgrün mit Glitzer für Jule
Vater von Jule (5, Name geändert): Das Thema Zahnspange tauchte im Leben meiner Tochter auf, als sie vier Jahre alt war und die ersten Milchzähne zu wackeln begannen. Die Zahnärztin hatte einen Kreuzbiss diagnostiziert: der Unterkiefer passt nicht durchweg in den Oberkiefer. Stattdessen beißen einige untere Zähne außen an den oberen vorbei. Die Kieferorthopädin sagte: Das Kind braucht eine Spange, am besten bald. Ich dachte: Die Kieferorthopädin braucht Geld, am besten bald.
Da ich aber zu den Menschen gehöre, die Ärzten glauben, und weil außerdem das Kind einen guten Tag hatte, sagte ich: Wenn Sie sicher sind, dann nehmen wir es halt gleich in Angriff. Also Röntgen und Knetabdruck mit dem unvermeidlichen Gewürge. Das Kind war tapfer, der Abdruck gut, das Bild im zweiten Anlauf scharf. Und: Die Spangendesigns sind ein Traum. Zwar noch nicht im Eisprinzessinnenstil erhältlich, aber in einem Dutzend Farben, wahlweise mit Glitzer oder Delfin, Herz und Löwe. Das Kind wählte Gelbgrün mit Glitzer. Eine kluge Entscheidung, wie sich später herausstellen sollte.
Gut einen Monat später war die herausnehmbare Spange fertig, glitzerte prächtig und saß gut. Ich fürchtete das Schlimmste, da meine Tochter recht empfindlich ist gegenüber kratzenden Waschzetteln und anderen Kleinigkeiten. Die Kieferorthopädin prophezeite starken Speichelfluss wegen ungewohnter Mundfüllung – und der Speichel floss. Das sehr sprachgewandte Kind, auf fast babyhafte Verständlichkeit zurückgeworfen, blieb tapfer: „Die Spange tut so weh.“
Das Kindergartenalter ist ein gutes für Zahnspangen
Mit viel Zuspruch, ohne falsche Versprechungen kamen wir über die Tage, und ab der vierten Nacht schlief meine Tochter durch. Im Kindergarten stand die gelbgrün glitzernde Dose im Waschraum, darauf in großen Druckbuchstaben ihr Name. Das machte was her in der Gruppe. Kindergartenkinder hänseln sich nicht, sondern finden sich höchstens egal – oder bestaunen sich. Uncool ist noch keine Kategorie, schlechte Aussprache normal. Nicht, dass jemand offen neidisch gewesen wäre, aber die Spange war allemal interessant. Die Prognose der Kieferorthopädin, wonach das Kindergartenalter ein gutes für Zahnspangen sei, stimmte offenbar. Und meine Bedenken schwanden wie die Milchzähne meiner Tochter. Denn die Spange korrigierte nicht die Fehlstellung einzelner, ohnehin abgängiger Zähne, sondern Position und Form der Kiefer, aus denen die bleibenden Zähne wachsen. Dass solche Korrekturen in jungen Jahren leichter sind, leuchtet mir ein.
Die Spange ist zweigeteilt mit einem Gewinde, das ich einmal pro Woche um eine Viertel Umdrehung weite, damit der Oberkiefer auseinandergeschoben wird. Tatsächlich drehe ich ihn alle drei, vier Tage um eine Achtelrunde, damit meine Tochter die Prozedur gar nicht merkt. Ansonsten wird das Ding jeden Morgen mit einer Sprudeltablette gereinigt und abgebürstet; mehr Pflege ist nicht notwendig. Nach einem halben Jahr war zu meinem Erstaunen die Spange noch immer nicht verschollen, was vielleicht auch an der guten Wiederfindbarkeit von Gelbgrün mit Glitzer liegt. Jetzt ist eine neue Spange fällig, sagte die Kieferorthopädin. Braunbär auf Pink, aber ohne Glitzer. Das Kind bleibt tapfer, ich schraube meine Achtelrunden, die Ärztin sieht deutliche Fortschritte.
Im September haben wir die Chance, spangenfrei in die Schule zu starten. Ohne Altlasten in den Ernst des Lebens, eine schöne Vorstellung. Das Kind wird den Kopf voll genug haben mit Buchstaben, die geübt werden müssen, mit Turnbeuteln, die nicht vergessen werden dürfen. Während sich andere dann womöglich für ihre Zahnspangen hänseln lassen müssen, sind wir hoffentlich schon in der Erstattungsphase: Nach erfolgreicher Behandlung gibt’s nämlich den Eigenanteil von der Kasse zurück, sagt die Kieferorthopädin. Und wie gesagt: Ich glaube Ärzten.
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