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Wie viele Obdachlose es in Berlin gibt, soll eine Zählung im Januar ermitteln.
© imago images / Jürgen Ritter

Berliner Wohnungslosenpolitik: Volkszählung der Obdachlosen

In der Nacht zum 30. Januar wird ermittelt, wie viele Menschen auf der Straße leben. Das gehört zur neuen „Wohnungslosenpolitik“.

Rund 1200 Plätze für Notübernachtungen stehen in Berlin zur Verfügung, 250 davon das ganze Jahr über. Die Senatsverwaltung für Soziales möchte die Zahl dieser ganzjährigen Plätze möglichst schnell auf 600 erhöhen. Der Rest bleibe wie bisher temporär verfügbar. Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) ist auch bereit, die Kosten für diese zusätzlichen Plätze aus ihrem Etat zu bezahlen. Allerdings müssten im Gegenzug die Bezirke bereit sein, für diese Plätze genügend Räume zur Verfügung zu stellen.

Die zusätzliche Zahl der ganzjährigen Notübernachtungsplätze ist ein Teil der Leitlinien zur Wohnungslosenpolitik, die der Senat am Dienstag beschlossen hat. Sie waren von der Sozialverwaltung erarbeitet und vorgelegt worden. Breitenbach erläuterte die Einzelheiten des Konzepts. Zu den wichtigsten Punkten gehören unter anderem ein „Qualitätsmanagement für den Prozess der Übernahme von Mietschulden, einschließlich des Controllings“, eine Statistik über die tatsächliche Zahl der Wohnungslosen in der Stadt sowie eine Erhöhung der Zahl der Wohnungen für Menschen, die von Zwangsräumung betroffen sind. Diese Leitlinien sind allerdings nur Absichtserklärungen. Die Wohnungslosenhilfe des Senats umfasst derzeit 27 Projekte, sie werden mit jährlich insgesamt 8,3 Millionen Euro unterstützt.

Derzeit gibt es nach Angaben von Elke Breitenbach rund 800 bis 1000 Wohnungen „im geschützten Marktsegment“. Das sind Wohnungen, die von Bezirken vorgehalten werden für Menschen, die entweder von Zwangsräumung bereits betroffen sind oder kurz davor stehen. Die Sozialsenatorin will die Zahl dieser Wohnungen auf 2500 erhöhen.

Leise Kritik übte die Sozialsenatorin an den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die beim Projekt „Housing First“ zu zögerlich reagiert hätten. Bei diesem Projekt wird versucht, Wohnungslose dauerhaft in einer Wohnung unterzubringen. „Da ist bei mir die Freude noch nicht so groß“, sagte Elke Breitenbach in Bezug auf die städtischen Gesellschaften. Die ersten Wohnungen seien nicht von ihnen, sondern von privater Seite angeboten worden. Erst danach seien die städtischen Gesellschaften aktiver geworden. Die Sozialverwaltung unterstützt das Projekt in diesem Jahr mit insgesamt 580.000 Euro. Dadurch haben Vermieter zusätzliche finanzielle Sicherheiten und verlässliche Ansprechpartner durch die beiden Träger: Neue Chance gGmbH gemeinsam mit der Berliner Stadtmission sowie „Housing First für Frauen“, hinter dem der Sozialdienst katholischer Frauen steht.

Zählung bei der „Nacht der Solidarität“

Da niemand in der Stadt wirklich weiß, wie viele Menschen auf der Straße leben, wird es in der „Nacht der Solidarität“ eine umfassende Zählung dieser Menschen geben. In der Nacht zum 30. Januar 2020 werden freiwillige Helfer, darunter viele Studenten, flächenmäßig in der Stadt ausschwärmen, um zu zählen. Dazu wird die Stadt in 447 einzelne Bereiche eingeteilt, in denen jeweils mindestens zwei Personen die Zahl der Betroffenen registrieren. Bei Bedarf werden die einzelnen Teams auch aufgestockt.

Eine Zählung im Sommer wäre zwar sinnvoller gewesen, weil dann mehr Obdachlose in der Stadt leben, aber da viele Studenten in die Zählung eingebunden sind, „mussten wir uns an den Semesterferien orientieren“, sagte Breitenbach. Diese Zählung sollte eigentlich schon im Frühjahr 2019 stattfinden, wurde aber auch aufgrund datenschutzrechtlicher Gründe verschoben.

U-Bahnhöfe Lichtenberg und Moritzplatz im Winter nicht mehr offen

Viele Menschen, die auf der Straße leben, haben im vergangenen Winter in den U-Bahnhöfen Moritzplatz und Lichtenberg übernachtet. Diese Bahnhöfe werden im kommenden Winter ganz sicher nicht mehr als Schlafplätze zur Verfügung stehen. Auch das teilte Elke Breitenbach mit. „Beim Moritzplatz haben wir die Drogensituation unterschätzt“, räumte sie ein. Der Moritzplatz ist ein Treffpunkt von Drogendealern und -konsumenten, sodass es zu diversen Problemen gekommen war. Auch der U-Bahnhof Lichtenberg scheidet im Winter aus, weil „es da derzeit eine schwierige Situation gibt“.

Stattdessen werden im Winter zwei andere U-Bahnhöfe in der Nacht offengehalten, allerdings sagte Breitenbach nicht, welche. „Dabei ist uns klar, dass es für Fahrgäste nicht immer angenehm ist“, aber das müsse man aus humanitären Gründen in Kauf nehmen. Im vergangenen Jahr hatte sich die BVG erst nach Krisengesprächen bereit erklärt, die Bahnhöfe für Obdachlose offenzuhalten. In- frage kommen im Winter nur U-Bahnhöfe mit Zwischendeck. Zudem müssen sie Platz für Toiletten und Wärmecontainer haben.

Auch für sogenannte „safer places“ hat die Sozialsenatorin Pläne. „Safer places“ sind Plätze, in denen Obdachlose in kleineren Gruppen zusammenleben und sich einigermaßen sicher fühlen können. Die Vorstellung, man könne einen großen Zeltplatz für sehr viele Menschen installieren, ist keine Option mehr. Stattdessen werden Orte gesucht, in denen „überschaubar große Gruppen“ leben und über eine angemessene Infrastruktur – sprich: Toiletten, Duschen und Küche – verfügen. Außerdem sollen die Betroffenen die Möglichkeit haben, sich über Hilfsangebote beraten zu lassen. Das Ganze aber, sagte Breitenbach, könne nur funktionieren, wenn alle Bezirke hinter diesem Projekt stünden. Es gebe schon Bezirke, die nach entsprechenden Flächen suchten – genauer wurde die Senatorin nicht.

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