Ohne Wohnung, ohne Zahlen: Obdachlose werden erst im nächsten Jahr gezählt
Noch immer weiß niemand, wie viele Obdachlose in Berlin leben. Die bereits einmal verschobene Zählung erfolgt nun erst im Januar 2020.
Initiativen und Engagierte in der Obdachlosenhilfe werden länger als ursprünglich geplant auf belastbare Daten zur Zahl der in Berlin auf der Straße lebenden Menschen warten müssen. Laut Stefanie Fuchs, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, kann eine ursprünglich für Mitte des Jahres geplante Zählung erst im Januar 2020 erfolgen. „Dann werden wir allerdings über die bloße Zählung hinausgehen und die Menschen gezielt ansprechen, sie auf Hilfsangebote hinweisen“, sagte Fuchs am Dienstag. Durchgeführt werden soll die Zählung von Studierenden, Mitarbeitern von Trägern und Ehrenamtlichen. Zuletzt war im Mai über die Verzögerungen bei der geplanten Zählung berichtet worden. Diese hatten zu Unstimmigkeiten in der Koalition geführt. Ursache für die Verschiebung damals: Datenschutzrechtliche Bedenken.
650.000 Menschen in Deutschland waren 2017 ohne eigene Wohnung. Nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) waren mehr als die Hälfte von ihnen, nämlich 375.000, anerkannte Flüchtlinge. Die Zahl der Obdachlosen, also derer, die ohne jede Unterkunft auf der Straße lebten, schätzt der Verband auf etwa 48.000. Genauere Zahlen sind nicht möglich, weil Wohnungslosigkeit sich nicht in statistisch verlässlichen Zahlen niederschlägt. Die BAGW nutzt deshalb die jährlichen Daten der Wohnungsnotfallberichterstattung in Nordrhein-Westfalen – der bundesweit einzigen systematischen Erhebung – und rechnet sie auf ganz Deutschland hoch.
Demnach waren etwa 70 Prozent der Menschen ohne Wohnung alleinstehend, acht Prozent waren Kinder und Jugendliche. Von den Erwachsenen waren die große Mehrheit Männer (73 Prozent). EU-Bürgerinnen und -Bürger machen 15 Prozent der Wohnungslosen aus, von denen wiederum sehr viele auf der Straße leben müssen. In den Metropolen mache der EU-Anteil an der Straßenobdachlosigkeit sogar etwa 50 Prozent aus. Wohnungslosigkeit allerdings sei nicht in erster Linie durch EU-Zuwanderung geprägt, erklärte die BAGW. Der Verband sprach von einem wachsenden Problem, für das „das unzureichende Angebot an bezahlbarem Wohnraum, die Schrumpfung des Sozialwohnungsbestandes und die Verfestigung von Armut“ verantwortlich seien. Wie stark die Wohnungslosigkeit tatsächlich zugenommen hat, ist nach den Zahlen allerdings schwer feststellbar, weil die BAGW ihre Berechnungsmethode diesmal umgestellt hat.
Die Geschäftsführerin des Verbands, Werena Rosenke, forderte unter anderem eine feste Quote für Wohnungslose bei der Vergabe von Sozialwohnungen und Anreize für Vermieter, ihnen Wohnraum anzubieten. Für die wachsende Zahl von Ein-Personen-Haushalten gebe es zudem zu wenige kleine Wohnungen, mindestens zwölf Millionen fehlten.