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Unter dem Mangel an Pflegekräften leiden auch Patienten - und die Ärzte.
© Getty Images/iStockphoto

Krankenhäuser in Berlin: Volksbegehren soll für tausende neue Pflegekräfte sorgen

Marode Gebäude und gestresste Pflegekräfte: Ein Volksbegehren fordert bessere Kliniken. Gesundheitssenatorin Kolat will Millionen Euro in Kreißsäle investieren.

Langjährige Pflegekräfte, Auszubildende und erfahrene Mediziner verschiedener Kliniken haben am Donnerstag das angekündigte Volksbegehren für bessere Krankenhäuser gestartet. Zunächst müssen dazu in sechs Monaten 20.000 Unterschriften gesammelt werden – damit soll am Donnerstag vor dem Charité-Bettenturm in Mitte begonnen werden. Angesichts der Lage in Rettungsstellen, Kreißsälen und Intensivstationen dürften die Unterschriften zusammenkommen.

Pflegekräfte der meisten Kliniken sprechen seit Jahren von massiven Überstunden, hohem Krankenstand und zunehmender Arbeitsverdichtung – auch, weil die Stadt und somit die Patientenzahl wächst. In Berlin gibt es 22.000 meist belegte Krankenbetten. Und während die Patienten im Durchschnitt älter und somit behandlungsbedürftiger werden, hat die Zahl der Pflegekräfte abgenommen. Nach der Wende waren 20.000 Schwestern und Pfleger in Berlins Kliniken tätig, derzeit sind es 14.000. Zeit für einst Übliches, heißt es, insbesondere im Umgang mit Patienten, bleibe kaum noch.

3000 neue Pflegekräfte für Berlins Kliniken gefordert

Die Initiatoren des Volksbegehrens, die sich um die Gewerkschaft Verdi zusammenfanden, wollen das Land per Gesetz verpflichten, mehr in die Häuser zu investieren – und feste Personalschlüssel einzuführen. Vorbild ist der mit Streiks durchgesetzte Charité-Tarifvertrag. Dort gilt in der Intensivpflege: Eine Schwester versorgt zwei Patienten pro Schicht, statt wie sonst üblich drei, vier oder fünf Kranke. Berlins Kliniken, sagte Lucy Redler, die sich im „Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus“ engagiert, bräuchten ergo 3000 neue Pflegekräfte.

Infoblatt für den geplanten "Volksentscheid für gesunde Krankenhäuser".
Infoblatt für den geplanten "Volksentscheid für gesunde Krankenhäuser".
© Riedl/dpa

Es sei immer wieder überraschend, wie schnell und unvorbereitet Menschen auf Pflege angewiesen sein können, sagte Valentin Herfurth, Pflegeschüler an der Wannsee-Schule: Die derzeit von Union und SPD im Zuge der Groko-Verhandlungen diskutierten Zahlen reichten bei weitem nicht, um den Bedarf zu decken. Mehr Personal, neue Gebäude, bessere Ausstattung – insgesamt würde dies das Land Berlin 385 Millionen Euro im Jahr kosten. Eine Summe, die auch in der Politik kaum jemand bestreitet – zumal das Volksbegehren an Unterstützern gewinnt. Auch Mediziner litten unter der chronischen Unterbesetzung, sagte Peter Bobbert, Landeschef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, der feste Personal- und Qualitätsvorgaben für „dringend erforderlich“ hält.

Und so reagierte Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) am Donnerstag sofort: „Das Pflegepersonal ist in Krankenhäusern aber auch Pflegeheimen jahrelang sträflich vernachlässigt worden.“ Die Forderung nach verbindlichen Personalschlüsseln sei berechtigt. Allerdings weiß die Senatorin, dass 3000 neue Pflegekräfte mindestens 170 Millionen Euro im Jahr an Löhnen und Abgaben kosten würden – Geld, das die Kliniken nicht umgehend erstattet bekämen. Denn die bundesweite Gesetzeslage sieht vor, dass die Bundesländer für Gebäude und Technik aller relevanten Kliniken zahlen, die Krankenkassen aber für das Personal. Erzwänge ein Volksentscheid nun ein Gesetz, dass allen Kliniken mehr Mitarbeiter vorschreibt, wären die meisten Häuser zügig pleite.

Initiative und Senatorin einig: mehr Investitionen in Kliniken

Kolat will über eine Bundesratsinitiative den Rahmen ändern: Über den Bund könnten die Versicherungen zur Finanzierung fester Personalschlüsseln verpflichtet werden – die Kliniken sollen also „die höheren Kosten für das Pflegepersonal vollständig aus den von den Krankenkassen gezahlten Entgelten“ begleichen können. Wenig Probleme hat die Senatorin mit der Forderung nach mehr Investitionen: Die Pauschale an die 50 berechtigten Krankenhäuser der Stadt beträgt in diesem Jahr mit 140 Millionen Euro erstmals seit langem so viel wie im Bundesdurchschnitt üblich ist. Zwänge ein Gesetz den Senat dazu, den Kliniken 200 Millionen Euro pro Jahr für Bauten und Technik zu zahlen, dürfte das Kolat kaum stören – denn sie hatte sich ohnehin mehr Mittel von der Finanzverwaltung gewünscht.

Viel los im Kreißsaal. In Berlin soll in Geburtsstationen investiert werden.
Viel los im Kreißsaal. In Berlin soll in Geburtsstationen investiert werden.
© Karmann/dpa

Die Berliner Krankenhausgesellschaft hat den Sanierungsstau kürzlich mit 2,1 Milliarden Euro angegeben – diese Summe sei nötig, um allerlei Marodes der vergangenen Sparjahre zu modernisieren. Abzuwarten bleibt, wie die Klinikleiter mit verbindlichen Mindestbesetzungen auf ihren Stationen umgehen. Noch, berichtete Johanna Henatsch, Ärztin im Neuköllner Vivantes-Klinikum, betreue eine Pflegekraft in Nachtdiensten zuweilen mehr als 30 Patienten allein.

„Es wird ein Gesamtkonzept gebraucht, das weit über den Inhalt des Volksbegehrens hinausgeht“, sagte hingegen Thomas Seerig, FDP-Pflegepolitiker im Abgeordnetenhaus. „Und wenn Gesundheitssenatorin Kolat das Thema so wichtig ist, sollte sie mehr unternehmen als Bundesratsinitiativen zu starten.“

20 Millionen Euro für Kreißsäle

Unzählige Vorschriften gelten hierzulande, nur für die Anzahl von Pflegekräften in Kliniken nicht. Das Volksbegehren dürfte deshalb weit kommen: Angestrebt wird letztlich dann ein Volksentscheid, für den in einem zweiten Schritt rund 175.000 gültige Unterschriften nötig sind. Im Fall des Gelingens käme es dann zu einer Abstimmung, bei der mehr als 600.000 Wahlberechtigte mit „Ja“ votieren müssten. Das dürfte allenfalls am Jahresende soweit sein.

Um fehlende Fachkräfte ging es aber schon am Donnerstag bei den Grünen im Abgeordnetenhaus: Sie diskutierten über die Probleme in der Geburtsmedizin. An diesem Freitag lädt Gesundheitssenatorin Kolat dazu erneut zum Runden Tisch: Nach Tagesspiegel-Informationen wird Kolat dann 20 Millionen Euro Investitionsmittel für neue Kreißsäle ankündigen, dazu soll es mindestens 100 neue Ausbildungsplätze für Hebammen geben.

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