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Andrang riesig, Aussichten winzig. An Werktagen stehen in der Regel rund 2000 Flüchtlinge auf dem Lageso-Gelände an.
© Reuters/Bensch

Erfassung, Versorgung, Mitarbeiter: Vier Forderungen zur Flüchtlingsaufnahme in Berlin

Ärzte, Helfer und Oppositionspolitiker: Wir haben Beteiligte gefragt, was sich bei der Aufnahme Geflüchteter dringend ändern muss.

Bei der Registrierung der vielen neu in Berlin angekommenen Flüchtlinge soll an diesem Donnerstag eine neue Zeitrechnung beginnen. Heute öffnet die Erstaufnahmestelle in der früheren Landesbank an der Bundesallee. Doch damit sind nicht alle Probleme gelöst – viele werden sich einfach verlagern, befürchten Experten. Hier die wichtigsten Forderungen von Beteiligten.

Die Warteschlange kürzen

Da sind zunächst die schieren Zahlen. Es sind oft 2000 Menschen täglich, die sich vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) versammeln und warten – in zuletzt vier verschiedenen Schlangen für die Kasse, die Terminkunden, die Leistungsempfänger und die Erstregistrierung. Rund 200 der täglich 500 bis 800 „Newcomer“ konnten bisher pro Tag erfasst werden, die anderen warteten vergeblich, meist sagte ihnen das niemand. „Wenn jetzt 80 bis 90 von ihnen mit Bussen zur Bundesallee gebracht werden, sind immer noch 1910 vorm Lageso. Was passiert mit denen?“, fragt die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram. „Den Menschen müsste gesagt werden, welche Nummern nicht mehr bearbeitet werden“, sagt Sabine Burgaleta von „Moabit hilft“.

Überhaupt würde bessere Kommunikation viel helfen. Die Grüne hält es wie ihr Kollege Hakan Tas von der Linksfraktion für sinnvoll, die Menschen dezentral zu registrieren, etwa in den Unterkünften. Ganz besonders, weil bei der winterlichen Kälte speziell Kinder in Gefahr sind; der Gesundheitszustand der Flüchtlinge hat sich zusehends verschlechtert. Manche warten seit Wochen. Mobile Teams des Lageso hatten Registrierungen mit Ankündigung in den Notunterkünften ja versucht, mit Zetteln – und doppelter Arbeit. Viele Flüchtlinge waren auch nicht da, sondern unterwegs zum Lageso, dies empfanden sie als sicherer. Die Mitarbeiter müssten dafür nun dringend Laptops bekommen.

Bessere medizinische Versorgung

Die Caritas managt viele der Probleme auf dem Gelände des Lageso und kümmert sich auch um die gesundheitliche Versorgung der Wartenden. Sie beklagt die Zustände. „Es droht eine humanitäre Katastrophe“, sagt Caritas-Sprecher Thomas Gleissner. „Es regnet, es ist kalt, kleine Kinder stehen blau angelaufen und zitternd nachts in der Warteschlange – das kann so nicht weitergehen. Die Warteschlange muss überdacht und beheizt werden, und zwar sofort.“ Derartiges sei doch kein Hexenwerk. Die Zelte auf dem Vorplatz des Lageso sollten nachts zugänglich gemacht werden. Die Caritas arbeitet mit vielen anderen Trägern der Gesundheitswirtschaft zusammen, etwa dem Hebammenverband und der Ärztekammer. „Es muss dringend und unverzüglich ein Koordinierungsstab für die medizinische Versorgung der Flüchtlinge geschaffen werden“, so Gleissner. Bisher muss sich jeder Flüchtling einmal im Quartal in die Schlange stellen, um einen neuen Krankenschein zu bekommen, der ihm Zugang zu eingeschränkten medizinischen Leistungen gewährt. Die Ärztekammer ist genau wie die Caritas, Grüne und Linke der Meinung, Flüchtlinge sollten einfach eine Chipkarte erhalten wie jeder Kassenpatient. Das würde auch das Lageso entlasten, denn all jene würden in der Schlange nicht mehr auftauchen, die nur einen Krankenschein brauchen.

Versorgung dezentralisieren

Warum soll angesichts der Notlage nicht ähnlich verfahren werden wie bei den Flüchtlingen vom Oranienplatz? Das fragt sich Canan Bayram. „Da stehen Leute an, um Geld zu bekommen, und mittags ist dann die Kasse leer“, sagt Bayram, die als Anwältin nach eigenen Angaben die Behörde noch aus der Zeit kennt, als sie funktionierte. „Viele stehen an und haben gar nichts“, sagt Bayram. „Denen wäre schon geholfen, wenn sie einfach etwas Taschengeld bekämen.“ Dies könnte in den Unterkünften erledigt werden – und wieder wäre die Schlange kleiner und das Lageso entlastet. Auch Caritas-Sprecher Gleissner ist dafür: „Es wäre logisch und sinnvoll, die Menschen in den Unterkünften gleich zu registrieren.“

Mehr Mitarbeiter

Es besteht ein riesiger Rückstand an Anträgen, der nur mit wesentlich mehr Mitarbeitern abgearbeitet werden kann – an welchem Standort auch immer. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi forderte viel mehr Personal für die Behörden und Institutionen, die mit Aufnahme und Integration befasst sind. Viele Beschäftigte arbeiteten seit Monaten an der Belastungsgrenze. Sie leisteten 12-Stunden- Einsätze; es gebe psychische Zusammenbrüche, es müsse schnell gehandelt werden, sagte Bezirkschefin Susanne Stumpenhusen. Im Hauptausschuss warf der Grünen-Haushälter Jochen Esser dem Senat vor, einen Teil der Probleme selbst verschuldet zu haben. Es gebe seit langem bei der Registrierung „einen Flaschenhals“. Als „völlig falsches Signal“ bezeichnete die Caritas die Verkürzung der Lageso-Öffnungszeiten. Das Amt hatte seine Arbeitszeiten wegen des Andrangs auf 6.30 Uhr bis 19.30 Uhr erweitert und ein Schichtsystem eingeführt, aber den Personalrat nicht einbezogen. Ein Mitglied des Personalrats stellte einen Eilantrag dagegen und bekam vor dem Oberverwaltungsgericht Recht. Berlin ist laut Gericht das einzige Bundesland, in dem es für ein solches Vorgehen eines Behördenleiters keine Rechtsgrundlage gibt.

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