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66 Prozent gaben in der Umfrage an, insbesondere an Hitzetagen „negativ beeinträchtigt“ zu sein.
© Ottmar Winter/PNN

Klimawandel und Unternehmen: Viele Berliner Betriebe leiden unter den Folgen von Wetterextremen

Hitze und Sturm beeinträchtigen die Produktion, mindern Umsätze und die Produktivität der Mitarbeiter. Das zeigt eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer.

Sturm, Starkregen, Hitzeperioden: Die Produktion wird beeinträchtigt, die Umsätze brechen ein, und die Produktivität der Mitarbeiter sinkt. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK Berlin).

Auch, wenn in diesem Jahr der Berliner Sommer eher wechselhaft daherkommt und erst seit wenigen Tagen wieder deutlich spürbar ist, wie heiß es zu dieser Jahreszeit in der Stadt werden kann, leiden die Unternehmen darunter, dass die Wetterextreme sich in den vergangenen Jahren gehäuft haben.

Und noch etwas wird anhand der Befragung deutlich: Während sich die meisten über Klimaschutz viele Gedanken machen und ihre Betriebe daraufhin – etwa in der Verringerung des CO2-Ausstoßes – umgestalten und Beschäftigte schulen, wie Energie eingespart werden kann, werden die Folgen des Klimawandels bislang noch zu wenig bedacht.

Bereits im Februar hatte die IHK 230 mittelständische Unternehmen aus allen Branchen befragt: Diese kamen aus der Industrie, der Entsorgungswirtschaft, dem Gastgewerbe oder Groß- und Einzelhandel bis zur Digital- und Gesundheitswirtschaft. Aufgrund der Coronakrise konnten die Ergebnisse, die dem Tagesspiegel nun vorab vorliegen, erst verspätet ausgewertet werden.

Die Idee, mittelständische Unternehmen zu befragen, wie gut sie auf den Klimawandel vorbereitet sind, habe es schon etwas länger gegeben. Denn das Berliner Energie- und Klimaschutzkonzept 2030 „bildet mit seinen 100 Maßnahmen einen ersten Fahrplan auf dem Weg zur Klimaneutralität. Darin enthalten sind auch Maßnahmen zur Klimaanpassung“, sagte eine IHK–Sprecherin.

Man habe sich mit der Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr dazu ausgetauscht. „Schnell wurde deutlich, in Sachen Klimaschutz passiert schon viel, es hapert allerdings noch, was die Anpassung an den Klimawandel betrifft“, sagte die Sprecherin.

40 Prozent der Befragten haben sich noch nie mit den Klimawandelfolgen für ihren Betrieb befasst

Die daraufhin gestartete Umfrage ergab: 40 Prozent der Befragten hatten sich für ihr Unternehmen noch nie bewusst mit den Folgen des Klimawandels und mit „Anpassungsstrategien“, wie es in der Umfrage heißt, befasst. Zudem kam heraus, dass lokale Unternehmen besonders unter extremen Hitzeperioden leiden – wie es vor allem 2018 und 2019 der Fall war. Der „Trend“ werde sich in Zukunft noch verstärken, glaubt man bei der Kammer.

Das zeigten verschiedene Klima-Modellrechnungen, auf deren Basis davon auszugehen sei, dass Berlin mit seinen hoch verdichteten Stadtteilen besonders anfällig „gegenüber der zu erwartenden Zunahme von Hitzeereignissen, häufigeren Starkregenperioden sowie periodisch auftretenden Trockenphasen ist“. Darauf müsse sich die Stadt nun vorbereiten, empfehlen die Experten der Berliner IHK.

66 Prozent sagen: Hitze wirkt sich auf die körperliche und psychische Belastung der Mitarbeitenden aus

66 Prozent gaben in der Umfrage an, insbesondere an Hitzetagen „negativ beeinträchtigt“ zu sein. Die körperliche und psychische Belastung der Mitarbeitenden wirke sich auf die Produktivität aus: „Unwohlsein, Gereiztheit und ein ausgelaugtes Gefühl“ führen eben nicht gerade zu Spitzenleistungen.

Die Büros und Produktionsräume heizen sich zu sehr auf, häufig gebe es keine Klimaanlage, und die Unternehmen müssen im Gegenzug mehr Geld für Kühlungstechnik oder andere Produkte ausgeben, die das Arbeiten etwas erleichtern. Busse und Lkw könnten oft nicht richtig fahren, die Brandlast sei erhöht, technische Geräte seien deutlich störanfälliger.

Starkregen oder Sturm führen dazu, dass Kunden oder Partner nicht rechtzeitig anreisen können

Die Wetterextreme, neben Hitze auch Starkregen und Sturm, führten auch dazu, dass Mitarbeitende, aber auch Veranstaltungsteilnehmer oder Kunden, nicht rechtzeitig anreisen können – alles in allem macht der Betrieb dadurch Verluste.

Andere Unternehmen berichten davon, dass Hoch- und Niedrigwasser auf den Flüssen in der Schifffahrt zusätzliche Liegetage – und damit zusätzliche Kosten verursachen. Ausbleibende Winter führen beispielsweise auf Weihnachtsmärkten oder bei Winterdiensten zu einem herben Einbruch der Geschäftstätigkeit. In den meisten Fällen, so hat die Befragung ergeben, sind die Schäden, die durch Wetterextreme verursacht wurden, nicht versichert. Nur 26 Prozent der Befragten sind dagegen versichert.

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Nikolaus Fink, Inhaber von „Die Marktplaner“, kann den Umsatzeinbruch bestätigen. Er führt den Neuköllner Betrieb, der Wochenmärkte, zum Beispiel am Maybachufer in Kreuzberg und am Hermannplatz in Neukölln, veranstaltet und Marktstände vertreibt. Sein Hauptproblem: Wind und Sturm. „Das ist für uns in den letzten Jahren ein großes Thema, denn entweder können wir gar nicht erst aufbauen oder müssen mittendrin abbauen, weil es zu gefährlich wird“, sagt Fink.

Die Umsatzeinbrüche dadurch seien deutlich. Die Tage mit zu starkem Wind bis Sturm seien nicht nur im Sommer bei Unwettern ein Problem, „sondern ganzjährig“, beschreibt der Unternehmer.

Häufigere Unwetter, wie hier über dem Potsdamer Platz, und starke Hitze mindern auf Dauer Produktivität und Umsatz.
Häufigere Unwetter, wie hier über dem Potsdamer Platz, und starke Hitze mindern auf Dauer Produktivität und Umsatz.
© Imago/Thomas Becker

Seit 2017 sei ihm das richtig aufgefallen. Die Marktplaner arbeiteten mit speziellen Wetter-Apps, um die Situation einzuschätzen. Bis Windstärke 6 dürfe Fink Marktstände aufbauen, aber die Schirme würden mit Gewichten verstärkt. Ab Windstärke 8 spricht man von „stürmischem Wind“, der die Marktplaner früher viel seltener getroffen habe.

„Wir verleihen 180 Marktstände, zum Beispiel für Straßenfeste oder bei Projekttagen an Schulen“, schildert Fink. Diese Veranstaltung hätten häufig abgesagt werden müssen, weil die Windprognose zu stark gewesen sei.

Langfristig müsse vor allem stadtplanerisch umgedacht werden

Was daraus folgt? Die präzise Wetterprognose per App ist eine Sache. Die andere: Die Markthändler müssten sich an die neue Situation anpassen. Stände aus Holz seien bei stärkerem Wind zu riskant. Einige Markthändler überlegten, direkt aus dem Anhänger zu verkaufen – doch das bedeute wieder Geld investieren: 30.000 bis 50.000 Euro müsse man für so einen Anhänger ausgeben, gibt Fink zu bedenken.

Risiko Sturm. Nikolaus Fink von „Die Marktplaner“ macht starker Wind geschäftlich zu schaffen.
Risiko Sturm. Nikolaus Fink von „Die Marktplaner“ macht starker Wind geschäftlich zu schaffen.
© privat

Auch die Direktbauern, von denen die Marktleute abhängig seien, hätten Probleme: Immer, wenn die Böden zu trocken werden, weil es zu wenig regnet, gebe es das Bewässerungsproblem. Eigentlich müssten dann Tiefenbohrungen gemacht werden, aber das erfordere nicht nur eine Erlaubnis, sondern koste ebenfalls wieder Geld.

Fink, studierter Landschaftsplaner, meint, dass langfristig Lösungen gesucht werden müssten – vor allem stadtplanerische. Er nennt das Beispiel Hermannplatz in Neukölln, wo Fink einen seiner Wochenmärkte betreibt. Durch die Bebauung des Platzes seien die Windverhältnisse besonders extrem, sagt Fink.

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„Da hat man früher nicht drüber nachgedacht.“ Auch in der Studie werden stadtentwicklerische Überlegungen empfohlen: „Der Stadtentwicklungsplan Klima sollte unter Beteiligung von Stakeholdern – darunter auch Wirtschaftsvertreter – als Klimaanpassungs-Fahrplan für besonders stark belastete Räume beziehungsweise Flächen unabhängig von der Coronakrise zügig weiterentwickelt werden.“ Nur so könne sich Berlin zukunfts- und krisensicher aufstellen .

Einige Unternehmen wollen der Entwicklung nicht tatenlos zusehen: Fast ein Drittel der Befragten hat bereits in den Gesundheitsschutz der Beschäftigten investiert. Die meisten Unternehmen kümmerten sich mit flexibler Arbeitszeit, Sonnenschutz, Bepflanzungen oder Trinkwasserspendern um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter.

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