Tourismus in der Hauptstadt: Verstecken sich die Bezirke hinter der Marke "Berlin"?
Die Zitadelle Spandau droht durch Umbenennung ihren Lokalbezug zu verlieren. Auch in anderen Teilen der Stadt wird provinziell klingendes abgeworfen.
Wenn wir uns Berlin mal als einen Menschen vorstellen, dann ist das ein ziemlich zwiespältiger Typ: Draußen laut und selbstsicher à la Herz mit Schnauze, drinnen aber voller Angst davor, dass die Welt ihn als hohlen Hochstapler erkennt, der mit verblendeten Touristen ein weltweit einzigartiges Schneeballsystem der Begeisterung in Gang gebracht hat.
Das darf natürlich keiner merken, und deshalb tönt der Ruf der Stadt nach Art des Scheinriesentums mit jedem Kilometer Entfernung um so lauter.
Touristenfänger
Zum Beispiel in Spandau. Spandau ist eine Großstadt mit alten Gassen, viel Grün und Wasser und einer eigenen Ikea-Filiale, das würde irgendwo in der Oberpfalz für eine ausgeglichene wirtschaftliche wie seelische Bilanz reichen. Aber Spandau – „bei Berlin“, wie der Spandauer sagt –, hängt eben eingeklemmt zwischen dem megalomanen Berlin und dem kleineren, aber bedeutend schickeren und reicheren Potsdam, das reicht allemal für eine permanente Krise zwischen betonter Eigenständigkeit und geradezu dänischem Hygge-Gekuschel.
Möglicherweise ist dort deshalb die Idee aufgekommen, die Zitadelle, jene in Berlin weltberühmte mittelalterliche Festung, von "Zitadelle Spandau" in "Zitadelle Berlin" umzubenennen. Beides ist ja formal richtig, und der Grundgedanke läuft vermutlich darauf hinaus, Touristen ein wenig zu ihrem Glück zu zwingen.
Sie sitzen beispielsweise in Neuseeland, bereiten sich auf Börrrlinn vor, würden nie was in Spandau buchen – aber die Zitadelle, one of the best-kept Renaissance fortresses in Europe, sie steht ja laut neuem Namen in Berlin.
Und schon rollen die Rollkoffer in die richtige Richtung; es handelt sich im Grunde um jenen Effekt, den auch die Hoteliers der Stadt nutzen, wenn sie ihre Nächtigungsstätte mit Beinamen wie „Airport“, „Hauptbahnhof“ oder „Potsdamer Platz“ versehen, unabhängig davon, ob diese Einrichtungen überhaupt in der Nähe sind.
All das ist auch ganz im Sinne des lange angekündigten offiziellen Tourismuskonzepts der Stadt. Es soll bekanntlich den Touris den Stadtrand schmackhaft machen, damit drinnen in der Mitte mal ein bisschen Ruhe im Soziotop einkehrt. Die Kunst bestünde also darin, den Hauch von Provinz aus den Namen zu entfernen.
So, wie es gerade mit dem Schloss Charlottenburg auf der neuen Zwei-Euro-Münze passiert: „Berlin“ steht dort schlicht unter dem feinziselierten Schlossrelief, und zweifellos werden viele Ahnungslose nun sagen, „ah, das neue Berliner Schloss, schau mal, die Kuppel ist aber schön geworden!“
Es wird abgeworfen, was nach Provinz klingt
Berlin, Berlin, alle brauchen mehr Berlin. Wegen der Internationalität! Der Friedrichstadtpalast beispielsweise, komplett unaussprechlich außerhalb des preußischen Sprachraums, ist gerade dabei, sich schleichend in „Palast Berlin“ umzubenennen, da die Zeit der Pietät für den unter Tränen abgerissenen Palast der Republik nun wohl endgültig vorbei ist.
Und was ist mit Friedrichsfelde? Der Tierpark im ebenso schwer artikulierbaren Ortsteil weit draußen, dessen Existenz zu Mauerzeiten sich selbst genug war, hat längst auf „Tierpark Berlin“ umgeschaltet. Und wenn nicht alles täuscht, machen sich auch die „Gärten der Welt“ langsam im Sprachgebrauch von ihrer Marzahner Basis los.
Es wird abgeworfen, was nach Provinz klingt, das ist bei den ehrgeizigen Sportlern nicht anders: Wer bei den „Reinickendorfer Füchsen“ trainiert, ist dadurch als Amateur kenntlich, während die „Füchse Berlin“ das Geld reinbringen. Bei Hertha BSC sind sie schon einen Schritt weiter, das ist Weltfußball, da steht das kleine B schon fast ganz allein für die große Heimatstadt. Füchse, diese Herthaner!
Einen Schritt weiter
Allerdings: Wer hat’s erfunden? Die Politik war es, die aus dem berühmten Roten Rathaus das allerweltsmäßige „Berliner Rathaus“ gemacht hat, vermutlich, um den Gedanken zu löschen, dass dort einst Kommunisten den Gang der Dinge in Ost-Berlin gelenkt haben. Wer heute noch vom „Roten Rathaus“ redet, der macht sich als verbissener Traditionalist kenntlich, als ein Reaktionär, der sich den Erfordernissen des modernen Stadtmarketings absichtlich in den Weg stellt.
So gesehen ist Spandau mit der Umbenennung der Zitadelle aber zu kurz gesprungen. Warum nicht gleich den ganzen Bezirk in „Berlin“ umtaufen? Die anderen Sehenswürdigkeiten, die Nikolaikirche, die ... Nikolaikirche, und ... alle anderen eben, sie könnten dann so bleiben, wie sie sind. Angebote aus Potsdam nehmen wir übrigens gern entgegen. Schloss Sanssouci Berlin? Würde zweifellos eine neue Invasion von Rollkoffern in Gang setzen. Sie müssten dann allerdings auf dem Weg vom Flughafen Berlin einen Umweg über die Zitadelle machen.