Die A 100 in Berlin: Verlängerung der Stadtautobahn - ein Baustellenbesuch
Die Verlängerung der Stadtautobahn ist eine riesige, aber wenig beachtete Baustelle. Und eine enorm teure. Ein Besuch.
Die Bauarbeiter sind gerade wieder abgetaucht. Irgendwo da unten in der braunen Brühe des gefluteten Docks müssen sie sein, wo das Schlauchboot ankert und der gelbe Stahlzylinder am Kranhaken schwebt. In mehreren Metern Tiefe betonieren die Männer die Sohle, auf der die Fahrbahn der Stadtautobahn verlaufen soll. Sie arbeiten nonstop, damit keine Fugen nötig werden, durch die später Grundwasser eindringen könnte.
Es ist ein Knochenjob für unerschrockene Spezialisten, den die staunende Öffentlichkeit erstmals in den 1990ern wahrnahm, als am Potsdamer Platz die Fundamente fürs neue Viertel im Wasser gegossen wurden. Hier in Neukölln allerdings schaut niemand zu, sofern er nicht zufällig ein Zimmer im Hotel Estrel bewohnt – mit Blick auf diese sehr horizontale Riesenbaustelle, deren schlammiges Band sich wie ein monströs vergrößerter Wattwurm von der Grenzallee bis zur Bezirksgrenze nach Treptow zieht. Wer nicht begreifen kann, wie 3,2 Kilometer Straße fast eine halbe Milliarde Euro – 150 000 Euro pro Meter! – kosten können, bekommt hier eine Ahnung davon.
Ein 385 Meter langer Tunnel
Am besten, man geht mit Arne Huhn erst in das versteckte, nur mittwochs von 16 bis 18 Uhr geöffnete Besucherzentrum an der Sonnenallee, die hier einen Schlenker um die Baugrube macht. Und dann auf die andere Straßenseite: Hier entsteht ein 385 Meter langer Tunnel. „Wer Los eins nicht gesehen hat, hat die Baustelle nicht gesehen“, sagt Huhn.
Er leitet beim Senat den Projektbereich Ingenieurbauwerke und muss den Durchblick behalten durch das, was sich in der trüben Brühe tut. Los eins allerdings ist bereits in trockenen Tüchern bzw. Wänden: Eine etwa zwölf Meter tiefe Grube, in der Bauarbeiter in orangen Jacken wie Spielzeugmännlein wuseln. Auf dem fertig betonierten Grund installieren sie hier schon die Verschalungen für die Tunnelwände.
Die Grube ist so tief, weil die künftige A 100 hier sowohl die Grenzallee als auch ein darunter kreuzendes Industriebahngleis unterquert. „Minus-zwei- Lage“ heißt das im Fachjargon. Bemerkenswert, weil der bereits vorhandene Anschlussstummel am Dreieck Neukölln in Plus-eins liegt, also den Abzweig Richtung Schönefeld überspannt.
Das ergibt eine Tunnelrampe mit sechs Prozent Neigung. Solche Steigungen und Gefälle seien für eine Autobahn „schon oberstes Ende“, sagt Huhn. Im Gebirge bleiben an solchen Stellen gern die Lastwagen hängen. In Berlin wird die BSR hier bei der ersten Schneeflocke herbeieilen müssen. Und rund ums Jahr muss die Drainage funktionieren: Unter der Fahrbahn werden Stauräume gebaut. Pumpen drücken das gereinigte Wasser dann in den Neuköllner Schifffahrtskanal. Insgesamt bekommt der neue Abschnitt bis zum Treptower Park drei solcher Senken.
Knapp 400 Menschen arbeiteten dort
Dass an der einen Stelle noch die Taucher das Fundament betonieren, während an der anderen schon die Tunnelwände wachsen, ist planmäßig. Die zeitlich versetzten Arbeiten in den insgesamt 27 Baudocks verteilen nicht nur die Kapazitäten der Firmen und Arbeiter, sondern auch die abertausenden Lkw-Fahrten, mit denen der Aushub weggebracht werden muss – zu Lagern in Berlin und Kiesgruben in Brandenburg. Immer mal ist auch ein Findling dabei, der geborgen oder zertrümmert werden muss. Die meisten lägen in etwa sechs Meter Tiefe, sagt Huhn.
Also im Grundwasser, dessentwegen der Aufwand überhaupt getrieben wird: Würde man bloß eine riesige Rinne graben, flösse das umgebende Erdreich einfach nach – schlimmstenfalls mitsamt den Nachbargebäuden. Also müssen erst „Schlitzwände“ errichtet und die betonierte Sohle verankert werden: durch mächtige Stahlstifte wird eine Masse gedrückt, die sich am Ende im Erdreich aufplustert wie ein Korken. Seitlich werden jeweils ein paar hundert Anker gebraucht, nach unten einer pro Quadratmeter, also Tausende. Das Grundwasser drücke mit bis zu 14 Bar, sagt Huhn. Da kann allenfalls ein Wasserwerfer der Polizei mithalten.
Zusätzlich stützen übereck angebrachte, mächtige Stahlrohre während der Bauzeit die Wände der Docks. Die fertige Autobahn – sowohl der Tunnel als auch der nordwärts anschließende Trog – soll dann schwer genug sein, um unten zu bleiben. Von sieben Baulosen seien fünf vergeben, sagt Huhn. Knapp 400 Menschen arbeiteten zurzeit auf der Baustelle; später würden es mehr.
Bisher laufe alles nach Plan
Der Auftrag für die Kreuzung mit der Ringbahn nahe der Kiefholzstraße werde wohl Ende Januar vergeben; an sechs Wochenenden soll die S-Bahn für die Arbeiten gesperrt werden, erstmals im Juni. Als letztes wird die Anschlussstelle Treptower Park gebaut. Wobei die aktuellen Lose nur die Ingenieurbauwerke betreffen – also die Basis für die Straße, die 2022 freigegeben werden soll. Bisher laufe alles nach Plan, sagt Huhn. Die Frage, wie sinnvoll und zeitgemäß dieses Projekt zu diesem Preis ist, muss ihn nicht umtreiben. Er muss es nur abliefern.
Während die einen Anwohner ab 2022 wohl etwas weniger Verkehr vor der Tür haben werden, wird es bei anderen lauter. Immerhin bekommt die Piste streckenweise eine Lärmschutzwand, außerdem entsteht parallel ein Geh- und Radweg. Warum man nicht die ganze Autobahn im Tunnel verschwinden lässt? Das wäre noch viel teurer, sagt Huhn und nennt als Stichwort nur „Brandschutz“. Was hier gebaut wird, ist also die billige Variante. Besser gesagt: Die relativ billige.