Spuren zu „Spreelichtern“ und AfD: Verfassungsschutz vermutet verbotenes Neonazi-Netzwerk hinter Sarg-Aufmarsch
Ein Anti-Corona-Protest in Cottbus beschäftigt die Sicherheitsbehörden. Spuren führen in den Landtag, zu den „Spreelichtern“ und „Zukunft Heimat“.
Barbara Domke fühlte sich an eine Zeit erinnert, als Männer in schwarzen Gewändern und mit Masken durch die Städte zogen und den Volkstod propagierten. Die Cottbuser Grünen-Politikerin twitterte: „Sind die Spreelichter zurück?“
Gemeint ist ein Neonazi-Netzwerk, auch bekannt als „Widerstandsbewegung Südbrandenburg“, 2012 vom Innenministerium in Potsdam verboten wegen „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ und „aktiv-kämpferischen Vorgehens gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“.
Es war am Sonnabend, 14. November. Rund zwei Dutzend Personen in schwarzen Mänteln liefen durch die Innenstadt von Cottbus, Hochburg der rechten Szene im Land.
Die Polizei teilte später mit: „Kurz nach 14 Uhr durchquerte eine schwarz gekleidete Personengruppe die Spremberger Straße, die einen Sarg mit der Aufschrift ,Bringt die Toten raus‘ bei sich trug.“
Die Polizisten schrieben eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Es war angeblich ein Protest gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.
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Doch der Brandenburger Verfassungsschutz sieht auch Hinweise auf Verbindungen zu den „Spreelichtern“. Und noch mehr: Die Spuren führen bis in den Landtag – in die AfD-Fraktion. Es war auch mehr als ein Aufmarsch, sondern die Inszenierung für einen Film, mit Anleihen bei einem verbotenen Neonazi- Netzwerk.
Um die Corona-Maßnahmen geht es dabei aus Sicht des Verfassungsschutzes ohnehin nicht. „Das Ziel der Akteure ist, den demokratischen Rechtsstaat zu delegitimieren, die Entgrenzung des Rechtsextremismus voranzutreiben und die Verschmelzung der Cottbusser Mischszene weiter zu forcieren“, hieß es auf Tagesspiegel-Anfrage.
Klare Bezüge zu rechtsextremistischem Verein "Zukunft Heimat"
Zu sehen sind auf dem Video die schwarz gekleideten Personen, dazu der Sarg, zu hören ist dumpfes Marschieren. Ein verzerrte Stimme stellt die Corona- Schutzmaßnahmen als Ausdruck eines Überwachungsstaats dar, die Namen von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), von Charité-Virologe Christian Drosten und der Bundeskanzlerin fallen: „Erschießt die Maskenverweigerer, Merkel erhöre uns.“
Nach Angaben des Innenministeriums bestehen bei einigen Teilnehmern Bezüge zum Verein „Zukunft Heimat“, der in Südbrandenburg gegen Flüchtlinge demonstriert und seit Jahresbeginn vom Verfassungsschutz beobachtet und als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird.
Der ehemalige Kopf der Spreelichter, Marcel F., zieht nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes im Hintergrund beim Verein die Strippen. Dessen Chef Christoph Berndt ist zugleich Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag.
Auch deshalb wird die Landespartei vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt. Auch ein Vertreter aus dem Bereich des Magazins „Compact“ war dabei, es ist ebenso ein rechtsextremistischer Verdachtsfall. Vertreter der örtlichen AfD wurden ebenso gesehen.
Zwar gab es auch in anderen Städten außerhalb Brandenburgs ähnliche Aktionen. Doch der Verfassungsschutz sieht im Cottbuser Fall eine Besonderheit: die Inszenierung und die Qualität der Videoproduktion.
Optische Inszenierung wie bei den Spreelichtern
Die „Art der Durchführung, optische Inszenierung, semiprofessionelle Beschaffenheit des Videos und mediale Begleitung“ seien Indizien für mögliche „Verbindungen zur verbotenen ,Widerstandsbewegung in Südbrandenburg‘“, erklärte ein Sprecher des Innenministerium dem Tagesspiegel.
Die Macher der Aktion könnten nicht nur „von der neonationalsozialistischen Propagandatätigkeit“ der „Spreelichter“ inspiriert worden sein, es seien überdies auch „personelle Überschneidungen“ möglich.
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Einer der Ersten, die das Video verbreiteten, war der AfD-Landtagsabgeordnete Daniel Freiherr von Lützow. Er postete es bei Facebook. Nach dem bislang vorliegenden Bildmaterial war ein Mann an der Produktion des Videos beteiligt, der auch AfD-Fraktionschef Berndt bei der Corona-Demo in Berlin in der vergangenen Woche mit Kamera begleitet hat.
Es ist Paul M., einst trat er als Aktivist der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ in Erscheinung, der Verfassungsschutzbericht führt ihn als „Paul“ und „Bartender IB“ in der Liste rechtsextremistischer Liedermacher.
Er arbeitet offenbar wieder für die AfD-Fraktion im Landtag. Jedenfalls soll er dies nach Tagesspiegel-Informationen angegeben haben, um auf die Pressetribüne im Plenarsaal zu kommen. Zuvor hatte er sich dafür als Journalist anmeldet, doch wegen fehlender Nachweise wollte der Landtag das nicht mehr akzeptieren.