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Graffiti der Berlin Kidz an einem Eckhaus am Halleschen Tor in Berlin-Kreuzberg.
© Kai-Uwe Heinrich

Graffiti in Berlin: „Verbreite deinen Namen möglichst oft"

Graffiti polarisiert: Für die einen ist es nur Vandalismus, für andere ein kreativer Ausdruck ihrer selbst. Ein Einblick in die Berliner Szene.

In Berlin widmen sich immer mehr Galerien und Ausstellungen der Graffitiszene. Nachdem das Kunstprojekt „The Haus“ für lange Schlangen und große Aufmerksamkeit sorgte, präsentiert seit dem Wochenende die Urban Nation Galerie in Schöneberg verschiedene Facetten kreativer Straßenkunst.

„Graffiti oder das, was man heute oft als Streetart bezeichnet, ist längst ein anerkannter Bestandteil des Stadtbildes“, sagt Ibo Omari. Der 37-Jährige ist Vorsitzender des Kreativ-Vereins „Die Kulturellen Erben“, in dem sich einige der Berliner Graffitipioniere sammeln.

Eine Momentaufnahme

„Für mich ist das eine Art Doppelmoral“, erklärt der Sprayer Josef Dube, der hauptberuflich soziale Graffitiprojekte mit Kindern betreut. „Die Leute finden Graffiti in der Straße schlecht, halten es für Vandalismus – aber genau das Gleiche auf einer Leinwand in einer Galerie ist plötzlich Kunst.“ Dabei ist sich die Szene weitgehend einig: Die eigentliche Graffitikunst kann nicht in Museen stattfinden, sondern lebt mit und auf der Straße.

Graffiti haben immer einen Kontext, leben genau in dem Moment ihres Entstehens und oft nicht lange darüber hinaus. Ihre Essenz ist im Wesentlichen der Schnappschuss, der davon gemacht wird, bevor der nächste Reinigungstrupp sie wieder entfernt oder der nächste Sprayer sie übermalt. Dabei lässt der Sprayer mit jedem Namenszug gewissermaßen einen Teil seiner selbst an der Wand, repräsentiert sich selbst oder seine Graffiti-Crew.

Berlin bleibt klassisch

Anfang der achtziger Jahre schwappte die Graffitibewegung gemeinsam mit der Hiphop-Kultur aus den USA nach Berlin. „Wir saßen zu Hunderten da und haben beobachtet, wie Leute wie Shek und Amok ihre Pieces an die Mauer gesprayt haben“, erzählt Omari. Stil und Form orientierten sich an den US-amerikanischen Vorbildern, die die Züge der New Yorker Metro bemalten und ihre Namen auf Güterwaggons durch den Kontinent rollen ließen.

Damals entstand ein eigener Berliner Stil, der als „Berlin Wildstyle“ international bekannt wurde. Und schon damals stand das eigene Ego im Vordergrund: „Verbreite deinen Namen möglichst oft, möglichst groß und an markanter Stelle – als Sahnehäubchen am besten auch noch mit besonders viel Style“, beschreibt es Sprayer Dube. „Die Berliner Graffitiszene ist da immer noch sehr klassisch.“ Am meisten Anerkennung bringen nach wie vor bemalte Züge und auffällige Produktionen entlang der Bahnstrecken.

Dabei messen sich die – fast ausschließlich männlichen – Sprayer sowohl in Quantität als auch in Qualität. Ein einzelnes, herausragendes „Piece“, also ein besonders aufwendig und mehrfarbig gestalteter Namenszug, sorgt genauso für Aufmerksamkeit wie viele einfache „Bombings“, einfachere Namenskürzel, die in der gesamten Stadt auftauchen.

Josef Dube betreut soziale Graffitiprojekte mit Kindern.
Josef Dube betreut soziale Graffitiprojekte mit Kindern.
© Madlen Haarbach

Sprayen und Surfen

In letzterer Kategorie machte sich insbesondere die Berliner Crew 1UP einen Namen, die zwischenzeitlich bis zu 50 Leute umfasst haben soll. Das international vernetzte Kollektiv fällt vor allem durch Überfallkommandos auf, bei denen sie mit vielen Menschen in wenigen Minuten ganze Züge bemalen. Ähnlich bekannt ist die ÜF-Crew, die auch unter dem Namen „Berlin Kidz“ auftritt.

Die Kidz revolutionierten die Berliner Graffitiszene durch riskante Abseilaktionen und vertikale Schriftzüge in Blau und Rot, die sich an der Brasilianischen Graffitibewegung Pixaçao orientieren. Die Sprayer haben auch die Tradition des „S-Bahn-Surfens“ wiederbelebt, bei der es regelmäßig zu schweren Unfällen kommt. So starb im September 2016 ein 22-Jähriger nahe dem U-Bahnhof Möckernbrücke, nachdem er beim „Surfen“ auf dem Dach der U1 gegen einen Stahlträger geprallt war.

Die Berlin Kidz verbreiten unter anderem Videos, bei denen sie auf der S-Bahn picknicken oder Fahrrad fahren. „Solche Aktionen sprechen natürlich den jugendlichen Leichtsinn an“, erzählt Dube. Er beobachtet seit einigen Jahren einen Wandel innerhalb der Szene: „Mittlerweile macht gefühlt jeder kleine Junge Graffiti“, berichtet er.

Der Fame ist das Ziel

Die Konkurrenz sei viel stärker geworden: Es gäbe immer weniger freie Flächen und gleichzeitig mehr Strafverfolgung als früher. Die Sprayer würden dadurch vermehrt auf Quantität statt auf Qualität setzen, schnelle und einfache Motive bevorzugen. Längst entscheidet dabei auch nicht mehr nur die Straße darüber, wer besonders viel „Fame“ erlangt: Auf Youtube und Instagram verbreiten sich die Bilder rasant, Klicks werden zur neuen Währung im Kampf um das Ansehen in der Szene.

Viele Sprayer versuchen sich nun auch am Spagat zwischen illegalen Aktionen und kommerziellen Projekten. Während Crews wie 1UP längst zur Marke geworden sind und ihr eigenes Merchandise verkaufen, geben andere Sprayer Graffitiseminare oder fertigen Auftragsarbeiten an.

Reinigen ist Zeitverschwendung

Ibo Omari bemängelt derweil vor allem das Fehlen legaler Flächen. Seit Jahren setzt er sich auch politisch für die Schaffung neuer Spots ein: „Da werden teilweise horrende Summen an Steuergeldern für die Reinigung von Flächen verschwendet, die seit Jahrzehnten traditionelle Graffitiwalls sind. Egal wie oft die sauber gemacht werden, da sprayt zwei Tage später eh wieder jemand hin“, sagt er.

„Warum macht man diese Flächen nicht zu legalen Spots? Das würde die Qualität der Arbeiten verbessern und den Konkurrenzdruck auf der Straße verringern.“

Verschiedene Kollektive experimentieren längst mit Alternativen zur Null-Toleranz-Politik, die auch Alternativen zu den kommerziellen Graffiti-Galerien sein wollen: Die Kulturellen Erben etwa geben Malpässe aus, mit denen an der Graffitiwall am Gleisdreieck organisiert gesprayt werden darf. Auf diese Art entstehen statt der schnellen Buchstaben kreative Kunstwerke, und ganz legal.

Die kulturellen Erben bieten seit zwei Jahren in Kooperation mit dem Quartiersmanagement Schöneberg kostenlose Graffitiworkshops für Kinder und Jugendliche an, mehr online unter kulturelle-Erben.de.

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