Berliner Tierarzt auf Hilfsmission in Afrika: Unser Mann in Gambia
Der Berliner Tierarzt Florian Reichert war auf ehrenamtlicher Mission in Gambia – und hat dabei für sich etwas wiederentdeckt.
D er Hund, der Florian Reichert am Morgen seines zweiten Einsatztages gebracht wurde, war von einem Auto angefahren worden. Das Gelenk am Hinterlauf war schwer verletzt, der untere Teil des Beins baumelte hin und her, die Wunde war offen und verschmutzt und voll Fliegen. Man sagte Reichert, der Unfall sei vom Vortag, vielleicht lag er auch länger zurück. So sah es jedenfalls nach Berliner Maßstäben aus.
Reichert säuberte die Verletzung und legte dem Hund, der Micky hieß, einen stützenden Verband an. Dann fing er an, das Tier von den Zecken zu befreien, gab aber bald auf. Es waren zu viele. „Allein an einer Pfote 30 oder 40 Stück“, sagt er.
200 tierische Patienten
Zehn Frühlingstage hat der Berliner Tierarzt Reichert, ein jungenhafter Typ mit runder Brille, Anfang 30, im westafrikanischen Gambia verbracht. Die Reise ging nach Wellingara bei Serekunda, der größten Stadt in Afrikas kleinstem Land. Rund 200 Tiere hat er in der Zeit behandelt, zudem täglich Kurse angeboten für diejenigen, die mit Tieren zu tun haben. Er ist in einer Charlottenburger Tierarztpraxis beschäftigt und kann von seinem außergewöhnlichen ehrenamtlichen Einsatz allerhand erzählen. Stattgefunden hat der im Dienst der Berliner „Welttierschutzgesellschaft“, die mit ihrem Projekt „Tierärzte Weltweit“ in Schwellen- und Entwicklungsländern gratis veterinärische Aus- und Weiterbildung anbietet – in Absprache mit örtlichen Behörden und anderen Hilfsorganisationen. Manch einer fühlt sich da noch an die US-Fernsehserie Daktari erinnert, das heißt Doktor auf Suaheli.
Esel müssen oft schwere Ladungen ziehen
In Gambia, Amtssprache Englisch, ist die medizinische Versorgung „generell mangelhaft und vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. Auch im privaten Sektor ist nur eine begrenzte Diagnostik und Behandlung möglich“. Das schreibt das Auswärtige Amt Berlin – und bezieht sich auf kranke Menschen. Wie ergeht es erst kranken Tieren? Reicherts Einsatz wurde per Radio bekannt gegeben, und die Gambier waren aufgefordert, ihre kranken Tiere zu bringen: ein paar Hunde, Ziegen, Schafe, und vor allem Esel, die Lasten-, Zug- und Nutztiere der Armen. Sie hatten oft Verletzungen am Maul, weil ihre mittellosen Besitzer das Gebissstück fürs Halfter selber aus Metallstücken zusammenschieden und es so scharf ist, dass es sich ins Fleisch schneidet.
Berliner füttern ihre Tiere oft fett
Oder sie hatten Entzündungen auf dem Rücken von vereiterten Druckstellen. Ein Besitzer hat Motoröl in die Wunde geschmiert, in der Hoffnung, seinem Esel damit etwas Gutes zu tun. Das hätten sie kaum wieder abbekommen, sagt Reichert. Sauer werde er bei so etwas nicht. Die Menschen meinten es ja nicht böse, sie wüssten es eben nicht besser. Das sei in Berlin nicht anders, wo allzu oft das kleine dicke Hündchen erst Pralinen bekäme und dann mit Bauchweh und Durchfall zum Tierarzt gebracht werde. Nein, chauvinistische Überheblichkeitsgedanken liegen Reichert fern. Zumal die meisten der Berliner mit Bibliotheken in Reichweite und Internetzugang es besser wissen könnten – anders als die Gambier.
Von den 1,7 Millionen Einwohnern des Landes ist fast die Hälfte nicht alphabethisiert. Nur neun Gambier sind Tierarzt. Die haben ihre Praxen in den städtischen Zentren entlang der Atlantikküste. Im Landesinnern ist die Versorgung den sogenannten Paravets überlassen, tierärztlichem Hilfspersonal, dessen Ausbildungsstand sehr unterschiedlich ist. Die einen haben nur mal einen Impfkurs mitgemacht, die anderen eine akzeptable Grundausbildung, wieder andere verabreichen Antibiotika nach Farbe. „Und vieles heilt ja auch so“, sagt Reichert, „und wenn nicht, hat Gott es nicht gewollt.“
Alle machten begeistert mit
In der ersten Workshopeinheit, die er in den Räumen des Department of Livestock Services (Abteilung für Landwirtschaft und Gartenbau) gab, ging es um die fünf Freiheiten der Tiere: die Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung, von Unbehagen, von Angst und Leiden, von Schmerz, Verletzung und Krankheit und die Freiheit zum Ausleben normalen Verhaltens. Die 26 Seminarteilnehmer bekamen als Hausaufgabe, die Tiere, denen sie am Nachmittag begegnen würden, auf diese Freiheiten zu überprüfen. „Die haben alle begeistert mitgemacht.“ An anderen Tagen ging es um Dosierungen: Wie rechne ich Einheiten auf die Größe der Tiere um? Dann um Diagnostik. Was kann ich ohne Gerätschaften messen: die Herz- und Atemfrequenz. Die Teilnehmer schrieben eifrig mit, aber dann fragte einer: „Was ist Atemfrequenz?“ Reichert lacht, als er das erzählt. Das sei das Schwierige gewesen: herausfinden, wer was weiß, was bekannt ist. Überhaupt sei ihm die Praxis lieber gewesen als die Theorie, das Unterrichten – auch, weil er sich selbst den großen Stress gemacht habe, alles wissen zu sollen. Was außer ihm wohl kaum einer erwartet habe. Praktisch ging es dann ums Spritzen setzen, Entwurmen – oder Verbände anlegen, was die Seminarteilnehmer an sich gegenseitig ausprobierten. Sie hätten viel Spaß gehabt, sagt Reichert. Wie überhaupt die Freundlichkeit und Wissbegier seiner Seminaristen überwältigend gewesen sei.
Das gefiel ihm, unmittelbar zu helfen
Vieles anderes, was beim ersten Afrikabesuch irritieren kann, war für Florian Reichert nicht mehr neu. Er kennt etwa Gambias großen Nachbarn, den Senegal, hat dort Freunde und Bekannte. So wunderte er sich nicht über die Gemächlichkeit des Lebens, in deren Folge nur wenig gemäß deutschen Pünktlichkeitsvorstellungen gelingt. Auch in Deutschland gibt es übrigens Kollegen, die sich engagieren.
Dass aber an einem Tag vom gambischen Präsidenten für die Zeit von neun bis 13 Uhr ein allgemeiner Putztag verfügt wurde und Autofahren in der Zeit verboten war, sodass niemand etwa im Sammeltaxi zum Workshop kommen konnte, erstaunte dann aber auch ihn. Die Zeit sei sehr anstrengend gewesen, aber auch sehr lehrreich. Er habe Parasiten gesehen, die es hier nicht gebe, und unter Bedingungen operiert, die hier undenkbar seien. Weil es nicht anders ging. Und vor allem das habe ihn auch begeistert: Das Tier ist da, es ist krank, und du kannst ihm helfen, also tu etwas. Das sei so anders gewesen als im Berliner Alltagstrott, wo man im Zweifel lieber eine Überweisung ausstelle. Dieses unmittelbare Helfen habe „die Passion vom Anfang wieder geweckt“, sagt Reichert: „Das, warum man mal Tierarzt geworden ist.“