Gemeinde klagte gegen Gottesdienstverbot: „Uns wurde das Coronavirus an den Hals gewünscht“
Die konservative katholische Gemeinde „Institut St. Philipp Neri“ klagte gegen das Gottesdienstverbot. Nun erhält Probst Gerald Goesche Hass-Mails. Ein Interview.
Zwei Mal stand über die Ostertage die Polizei vor der Kirche St. Afra in Gesundbrunnen, ein weiteres Mal kam das Ordnungsamt. Grund waren Beschwerden von Nachbarn, die vermutet hatten, dass trotz Verbot Gottesdienste abgehalten werden. Dabei habe man sich regelkonform verhalten heißt es bei der Gemeinschaft „Institut St. Philipp Neri“. Als einzige Berliner Gemeinde hatte sie gegen das Verbot der Gottesdienste geklagt und war sogar vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Ein Eilantrag scheiterte aber. Wir sprachen darüber mit Probst Gerald Goesche.
Sie standen in den vergangenen Wochen sehr stark in der Öffentlichkeit. Wie war das für Sie?
Es war eine Achterbahnfahrt. Einerseits habe ich mich gefreut, dass die Ostermesse in der Öffentlichkeit eine so große Rolle gespielt hat. Es gab auch viele positive Reaktionen. Für unsere kleine Gemeinde war die Aufmerksamkeit ungewohnt. Es war ein bisschen viel.
Sie wurden auch angefeindet.
Ich habe eine Art von Hass erlebt, das war unglaublich. Ich habe Mails, SMS und Anrufe erhalten. Es gab Leute, die haben uns Corona an den Hals gewünscht und gesagt, wir sollten doch alle sterben.
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Wieso haben Sie gegen das Verbot der Gottesdienste geklagt?
Ostern ist Ostern. Das kann man nicht so einfach beiseite schieben. Es geht um die Ausübung der Religionsfreiheit. Uns ist klar, dass es Einschränkungen wegen des Coronavirus geben muss. Wir wollen risikofreie Gottesdienste mit bis zu 50 Menschen und 1,50 Meter Abstand zwischen ihnen. Gottesdienste sind wichtig für Gläubige. Es geht aber auch um das Grundrecht Freiheit. Wir fragen uns, ob das nicht zu leichtfertig einschränkt wird. Wir denken, dass ein Mindestmaß an Freiheit erlaubt bleiben muss. Supermärkte und Baumärkte haben geöffnet, Gottesdienste sind verboten. Ist das verhältnismäßig?
Auf Essen kann man nicht verzichten, auf Gottesdienste schon.
Ich gönne es jedem, in seiner Freizeit zu werken, aber lebensnotwendig ist das nicht, wenn Baumärkte öffnen. Ich finde es falsch, dass der Staat in dieser Situation nur materielle Dinge als notwendig betrachtet. In Gottesdiensten loben wir Gott. Das ist Kräftigung und Trost für Gläubige. Gerade in der Krise gibt das Halt. Manche Menschen verstört es geradezu, dass dies jetzt nicht mehr möglich ist.
Wieso haben Sie sich dafür entscheiden mit ihrer Klage gegen die Linie der katholischen Kirche zu handeln? Das Bistum Berlin hat Sie für Ihren Alleingang kritisiert.
Die Bischöfe sind längst nicht alle für das Verbot der Gottesdienste. Die Bischofskonferenz steht aber unter einem gewissen Konsens-Druck. Wir wollten einen kritischen Diskurs anstoßen. Manchmal braucht es dafür eben einen Alleingang.
Sie haben vor dem Bundesverfassungsgericht verloren, wollen Sie trotzdem weiter gegen das Verbot vorgehen?
Das Bundesverfassungsgericht äußerte mehr Verständnis für die Religionsfreiheit als das Verwaltungsgericht Berlin und stellte fest, dass deren Einschränkung über den 19. April hinaus geprüft und immer wieder begründet werden muss. Ich werde mich nun mit meinem Anwalt beraten, wie wir das auszulegen haben.
Das „Institut St. Philipp Neri“ ist seit 2006 in der Graunstraße in Gesundbrunnen zu Hause: eine konservative, katholische Gemeinschaft, die ihre Sonntagsmessen auf Latein feiert. Der Priester zelebriert mit dem Rücken zur Gemeinde, so wie es vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der katholischen Kirche üblich war. Das „Institut St. Philipp Neri“ ist eine „Gemeinschaft päpstlichen Rechts“ und untersteht nicht dem Erzbistum Berlin.