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Weniger Autoverkehr würde die Schadstofferzeugung verringern.
© dpa

Verkehr in Berlin: Umweltbundesamt fordert generelles Tempo 30 in Städten

Die Messstellen belegen einen zu hohen Schadstoffanteil in der Innenstadt. Das Umweltbundesamt will Autoverkehr stark reduzieren.

Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) lässt derzeit prüfen, ob auf weiteren Abschnitten von Hauptstraßen Tempo 30 eingeführt werden soll. Hauptziel dabei ist, den Ausstoß von gesundheitsgefährdenden Stickoxiden zu verringern. Das Umweltbundesamt (UBA) unter der Leitung der früheren Berliner Verkehrsstaatssekretärin Maria Krautzberger geht viel weiter. Das Amt forderte am Donnerstag erneut, Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit in Städten zu machen. Tempo-50-Fahrten müssten dann besonders ausgewiesen werden.

So weit geht die rot-rot-grüne Landesregierung – noch – nicht. Im Koalitionsvertrag spricht sie sich zwar für weitere Tempo-30-Bereiche aus, aber vor allem aus Lärmschutz-Gründen. Bis 2020 sollen „lärmmindernde, zur Mobilitätssicherheit beitragende Tempo-30-Abschnitte auf Hauptverkehrsstraßen geschaffen und in sensiblen Bereichen, wie beispielsweise vor Schulen, vorab schnell umgesetzt werden“, heißt es dort.Auch beim Umweltbundesamt steht die Lärmminderung im Vordergrund. Aber wenn es gelinge, den Verkehr flüssig zu halten, hätten Studien gezeigt, dass dann auch weniger Stickoxide in die Luft geblasen werden, sagen die amtlichen Umweltschützer.

Messstationen in Berlin

Dass Verkehr Schadstoffe erzeugt, lässt sich an den 16 Berliner Messstationen sehen: Am Mittwoch hatten die Geräte beim Stickstoffdioxid an der Silbersteinstraße in Neukölln einen Tagesmittelwert von 79 Mikrogramm je Kubikmeter Luft registriert. An der Schildhornstraße in Steglitz waren es 63 Mikrogramm und am Hardenbergplatz in Charlottenburg 59 Mikrogramm. Zulässig sind nach EU-Vorgaben 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft. An der Messstelle im Grunewald waren es dagegen lediglich 13 Mikrogramm. Und auch der Schichauweg in Marienfelde kam lediglich auf 15 Mikrogramm je Kubikmeter. In den vergangenen Tagen waren die Verhältniswerte ähnlich. Im Jahr 2015 lagen die Werte an allen innerstädtischen Straßenmessstellen über dem Grenzwert, am Stadtrand dagegen generell darunter.

Karte der Messstationen in Berlin.
Karte der Messstationen in Berlin.
© Karte: Tagesspiegel

Als besonders kritisch stuft Günther etwa 20 bis 30 Brennpunkte ein, darunter die Leipziger Straße, die Frankfurter Allee, die Silbersteinstraße und die Karl- Marx-Allee. Man müsse nun genau prüfen, welche Kombinationen zur Schadstoffreduzierung sinnvoll seien, sagte die Senatorin, die sich zuvor vorwiegend dem Klimaschutz gewidmet hatte. „Es geht nicht darum, Verkehr zu entschleunigen“, sagte Günther am Donnerstagabend im Tagesspiegel-Wirtschaftsclub. „Es geht um Verstetigung“ – und die sei laut mehrerer Untersuchungen bei Tempo 30 leichter zu erreichen. Das solle nun im Einzelfall geprüft werden. Aufwendig werde es, wenn Ampeln umprogrammiert werden müssen.

Tempo 30 ist nichts Neues in Berlin

Neu wäre Tempo 30 auf Hauptstraßen nicht. Von den 1540 Kilometern gilt das Tempolimit tagsüber bereits auf 372 Kilometern und nachts auf 164 Kilometern, vorwiegend zum Lärmschutz. Zuletzt hat der Bundesrat das Einführen von Tempo-30-Abschnitten besonders vor Kindertagesstätten und Schulen erleichtert. Hier soll die Sicherheit verbessert werden. Und von den Nebenstraßen liegen ohnehin rund 70 Prozent in Tempo-30-Zonen.

Nach Studien, die das Umweltbundesamt ausgewertet hat, halten sich Autofahrer langfristig zum großen Teil an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Allerdings gibt es in Berlin auch abschreckende Beispiele. Mehrere Schulen haben bekanntlich den Schülerlotsendienst eingestellt, weil aggressive Autofahrer die Kinder gefährdet hatten. Verkehrsreferent Martin Schlegel vom Umweltverband BUND fordert deshalb, das Tempo-30-Limit auch konsequent durch stationäre Radaranlagen zu überwachen.

AfD, CDU und FDP lehnen Vorschlag ab

Nach der AfD haben am Donnerstag auch die CDU und die FDP Günthers Überlegungen abgelehnt. Der Reinickendorfer CDU-Bundestagsabgeordnete Frank Steffel sieht im Einführen von Tempo 30 eine „Kampfansage an die Menschen in den Außenbezirken, die jeden Tag zur Arbeit pendeln müssen.“ Tempo 30 würde deren Fahrzeit noch weiter verlängern. Der Senat müsse den Verkehr flüssiger machen, forderte Steffel. Tempo 30 helfe dabei nicht. Das Umweltbundesamt hatte, wie berichtet, ermittelt, dass Tempo 30 die Fahrzeit nur geringfügig verlängere, was volkswirtschaftlich kaum relevant sei. Umweltsenatorin Günther betonte, dass der Ausstoß von Stickoxiden allein durch die Temporeduzierung von 50 auf 30 Kilometer pro Stunde nicht sinke, sondern erst durch Vermeidung von Stop-and-Go-Verkehr. Wo Tempo 30 zu mehr Staus führe, werde es auch nicht eingeführt. Außerdem „wollen wir nicht anordnen, das Auto stehen zu lassen, sondern die Menschen motivieren, auf Busse und Bahnen umzusteigen“.

Die FDP-Fraktion forderte unter der Überschrift „Groben Unfug verhindern – Kein Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen in Berlin“ den Senat in einem Dringlichkeitsantrag auf, darauf zu verzichten. Die Umweltdaten seien vorgeschoben, um verkehrspolitische Fakten zu schaffen, deren Vor- und Nachteile nicht abgewogen worden seien.

Bahnen und Busse müssen Hauptverkehrsmittel werden

Für das Umweltbundesamt dagegen ist der Weg klar: Der Autoverkehr soll insgesamt reduziert werden. Zum Rückgrat des Verkehrs müsse das Fahren mit Bahnen und Bussen werden. Um den Nahverkehr erweitern zu können, müsse der Bund seine Zuschüsse, die sogenannten Regionalisierungsmittel, für die Länder erhöhen. Fuß- und Radverkehr sowie Car-Sharing sollten das System ergänzen.

Regine Günther sieht Berlin in einem Dilemma, denn „die Kommunen müssen korrigieren, was der Bund und die Industrie angerichtet haben.“ Zum einen sei Berlin vom Vertragsverletzungsverfahren der EU wegen der zu schmutzigen Luft betroffen. Zum anderen könne die Stadt schon im Sommer in eine ähnliche Situation geraten wie kürzlich Stuttgart, weil dann ein Gerichtsurteil zu einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) erwartet werde. Die DUH hat bereits in mehreren Städten Fahrverbote eingeklagt; das in Stuttgart geht bisher am weitesten, weil es auch relativ neue Fahrzeuge betrifft. „Langfristig führt kein Weg daran vorbei, die Verursacher, die schmutzigen Diesel, aus der Stadt fernzuhalten“, sagte Günther am Donnerstag. Wenn die Stadt selbst nichts unternehme, könnten die Fahrverbote von Gerichten verhängt werden.

Obwohl auch der innerstädtische Wirtschaftsverkehr maßgeblich zum Stickoxidproblem beiträgt, hält Günther Ausnahmeregelungen für Nutzfahrzeuge für unvermeidlich – weil es für Last- und Lieferwagen bisher praktisch keine Alternativen zum Dieselantrieb gebe.

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