Drama im Park: Um das Monbijou-Theater tobt erbitterter Streit
Die Zukunft von Berlins erfolgreichster freier Bühne steht in Frage. Das Monbijou-Theater soll sich wandeln, um zu bleiben. Doch wer bestimmt das?
- Kai Müller
- Laura Hofmann
- Kevin P. Hoffmann
Dies ist die Geschichte einer Stadt, zweier Männer und eines Theaters. Obwohl es das Theater an seinem Ort im Herzen Berlins gar nicht geben dürfte, ist es mit mehr als 100.000 Zuschauern im Jahr erfolgreicher als jede andere freie Bühne Berlins. Nach zwei Jahrzehnten steht seine Existenz nun plötzlich auf dem Spiel. Der Grund dafür ist ein Streit zwischen den beiden Männern. Denn die Stadt wächst, und die Ansprüche der beiden Männer tun es auch.
Es geht in dieser Geschichte um Eitelkeiten, Macht und Geld und darum, ob die Stadt ein anarchisches Kulturprojekt politisch kontrollieren sollte.
So weit der Prolog.
Es treten auf:
– Christian Schulz, 49, geboren in München, Schauspieler und Geschäftsführer der Monbijou Theater GmbH, seit 1989 in Berlin;
– David Regehr, 52, geboren in München, Bühnenbildner und Teil der künstlerischen Leitung des Monbijou-Theaters, seit 1997 in Berlin;
– die Liegenschaftsverwaltung der Humboldt-Universität (HU), auf deren Fläche das Amphitheater jeden Sommer errichtet wird;
– das Bezirksamt Mitte, das die jährliche Sondergenehmigung erteilt, ohne die es das Theater an diesem Ort gar nicht gäbe.
– die Bezirksverordnetenversammlung von Mitte (BVV), in der die Mehrheit der Politiker den Monbijoupark als Naherholungsraum schützen will, sich gegen dessen Kommerzialisierung wehrt, aber für das Theater sind;
– Sven Diedrich, 52, geboren in Potsdam und seit 1970 in Ost-Berlin, Mitglied der Linken, sitzt in der BVV Mitte seit 1995;
– sowie weitere Stadträte, Lokalpolitiker, Justiziare, Schauspieler und Theaterleute, ein Kulturstaatssekretär und ein Kultursenator, der aber von alldem nichts wissen will.
Ort der Handlung:
Das Betondach eines früheren Tierversuchsbunkers der Charité, angrenzend der Monbijou-Park, die Spree. Derzeit zu sehen sind nur ein paar polnische Holzhütten, in denen winters Märchen vorgetragen werden. Das Monbijou-Theater ist noch eingelagert – ein provisorisches, aus Brettern und Balken, alten Türen und Fenstern zusammengenageltes Amphitheater, das etwas Wildes und Unfertiges ausstrahlt. Sein Aufbau sollte längst begonnen haben. Dass dies noch nicht geschehen und derzeit offen ist, ob es überhaupt rechtzeitig zur Sommersaison geschieht, hat mit dem Streit zu tun – und der vertrackten Ausgangslage.
Als Christian Schulz im Frühjahr 1989 für ein Psychologiestudium nach West-Berlin zieht, ist es, als würde er an einen Ort zurückkehren, an dem für ihn alles begonnen hat. Seine Eltern waren 1969 von Ost-Berlin aus nach Bayern geflohen, die Mutter schwamm schwanger durch die Donau. In Berlin will er sich ausleben. Mitte der Neunzigerjahre wird er Schauspieler.
Es ist die Zeit, da noch überall im Zentrum verwilderte Brachflächen existieren, wo in Kellergewölben und aufgelassenen Schuppen illegale Bars aufmachen, benannt nach den Wochentagen, an denen sie geöffnet haben. Leerräume werden „bespielt“, indem ein Podest zusammengezimmert und Flaschenbier herbeigeschafft wird, Kühltruhen und Kassen gibt es bald auch. Diesem anarchischen Unternehmertum verdankt Berlin einen Teil seiner internationalen Ausstrahlung. Weltberühmte Clubs wie etwa Ostgut, Berghain, Bar 25, Cookies und das Tempodrom sind aus Provisorien hervorgegangen, weil ihre Betreiber einfach machten, statt um Erlaubnis zu fragen und ihre Investitionen durch Besitzrechte abzusichern. Deshalb sind sie ständig auf der Suche.
Der erste Gedanke: Ein Kackort
Christian Schulz sucht 1998 eine neue Spielstätte für sein Hinterhof-Theater. Als er auf dem Sockel des früheren Bunkers steht, denkt er: „Das ist ein Kackort, der sieht scheiße aus.“ Doch seine Fantasie geht über die Wirklichkeit hinaus. Hier, vor dem Panorama aus Museumsinsel, Monbijoupark und Spree, würden er und seine Theaterfreunde unter freiem Himmel etwas etablieren, das sich Shakespeare nicht besser hätte ausdenken können. Auf einer Fläche, die niemand braucht, niemanden interessiert, die es einfach gibt und, wie Schulz heute sagt, „ansonsten zum Kotzen ist“.
Ähnliches passiert zur selben Zeit im Mauerpark, auf dem RAW-Gelände, entlang brachliegender Uferstreifen der Spree. Leute wie Schulz fühlen sich angezogen von Plätzen und Nischen mit brüchiger Aura, die in der Gegenwart noch nicht angekommen sind. Irgendwann werden sie das sein, aber noch nicht, und wenn es so weit ist, dann wird nicht unbedeutend sein, wer sie besetzt hat. Wir sind die Richtigen, denken Leute wie Schulz, weil wir den kaputten Charme Berlins erhalten. Weil wir für das leben, was wir tun.
Von Dauer ist fast keines der Projekte. Sie verschwinden wieder. Doch Schulz baut sich mit der Zeit ein kleines Imperium auf aus Clärchens Ballhaus, das er gleichberechtigt mit David Regehr betreibt, aus Strandbar Mitte, einer Kneipe in der Gipsstraße und einer weiteren Bar in einem Stadtbahnbogen. Nicht schlecht für einen, der von sich sagt, dass er Theatermacher sei.
Sogar ein Herrenhaus in Brandenburg gehört dazu, das ihm aber mehr als alles andere Probleme bereiten wird. Mit dem Erwerb von Schloss Schwante, das er aufwendig renoviert, um es in einen Kulturort zu verwandeln, verliert er seinen Rückhalt. Niemand versteht, was er vorhat. Sein Ensemble wendet sich gegen ihn, die Politik distanziert sich von ihm, sein Vertrauter David Regehr löst sich aus dem „Traumteam“, das sie beide waren. Wie konnte es so weit kommen?
„Zu erfolgreich geworden“
Ein Treffen in seinem Café Altes Europa wenige Tage vor der Entscheidung, wie es weitergehen soll. Die meisten Stühle sind noch hochgestellt, die Espressomaschine läuft gerade an. Schulz ist leger gekleidet, trägt einen schwarzen Cowboy-Hut und sagt mit ausladender Geste, dass er das Café und all die anderen Gastronomien nur nebenbei führe, „um ein stabiles System zur Finanzierung des Theaterbetriebs zu haben“. Man hat noch nicht Platz genommen, da hat er das schon klargestellt.
Allerdings, so räumt er mit Blick auf den Monbijoupark ein, habe sich „das Ganze in seinen Dimensionen ein bisschen verschoben, weil es zu erfolgreich geworden ist“.
Die Sache, scheint es, ist auch für ihn immer unübersichtlicher geworden, seine Nerven liegen blank. Noch im Oktober habe er David Regehr damit beauftragt, die Öffentlichkeitsarbeit für „mein Theater“ zu machen. „So ein Vertrauen hatte ich in den Kerl.“ Schulz sieht sich von einem Komplott entmachtet. Man wolle ihn aus etwas herausdrängen, das er als sein „Lebenswerk“ betrachtet.
Ursprünglich wurde das Monbijou-Theater von ihm und Roger Jahnke gegründet, dessen namensgebende Hexenkessel-Hoftheater-Truppe auf Goldoni- und Shakespeare-Komödien sowie darauf spezialisiert ist, dass sie das Publikum in ihr Spiel mit einbezieht. „Abbruch“, ruft da zum Beispiel ein frustrierter Romeo, „bringt doch nichts, das ist doch nur Kulisse hier, alles Theater!“
Schulz sagt, er habe Regehr 2002 dazugeholt, „weil ich gesehen habe, dass er, ein Landschaftsmaler und Bühnenbildner, der weit herumgekommen war“, das Niveau der Bühne anheben konnte. Regehr habe einen anderen Horizont besessen als die Leute des Hexenkessel-Hoftheaters. Doch stellt es Schulz auch so dar, dass er allen stets erklären musste, was sein neuer Kompagnon vorhat. Irgendwann sei ihm das nicht mehr möglich gewesen, sagt er. Es kommt zum Krach.
Die Hexenkessel-Mannschaft steigt 2015 aus, Regehr und Schulz stehen vor dem Nichts. Vor einem Neuanfang. Sie setzen nun auf moralische Themen, drängen das Derbe, Überschminkte, Märchenhafte zurück, um Schillers „Räuber“ oder „Die Mitschuldigen“ von Goethe aufzuführen. Die Einnahmen steigen.
Noch drei Wochen bevor im Januar die Betriebsgenehmigung für 2019 zurückgewiesen wird, hört Schulz vom Bezirksamt nur, dass er sich keine Sorgen zu machen brauche. Er kennt das Procedere und weiß: Es gibt Regelungen, und es gibt die Stadt. Er meint: wo kein Kläger, da kein Richter. „Das ist das Format an diesem Ort seit 20 Jahren. Duldung bedeutet, dass die Stadt etwas von diesem Projekt hat, ohne dass man sich an den Anwohnern vergeht.“ Diesen Teil der Abmachung hat er im Griff. Denkt er.
I. Akt: Der Deal
„Wir sind alle Kinder der Neunziger“, sagt der linke Bezirkspolitiker Sven Diedrich. Er hat den rauen, direkten Tonfall des Brandenburgers. Die ergrauten Haare raspelkurz, grauer Dreitagebart. Zum Lesen schiebt er sich eine Brille mit zerbrochenem Bügel ins Gesicht. Er hat schwere Zeiten hinter sich. Der Pioniergeist der Neunziger hat ihn nicht nur geprägt, sondern auch in den Bankrott getrieben. Rosa Luxemburg hieß Diedrichs Kneipe, mit der er 2012 im Dreieck von Volksbühne, Babylon-Kino und Karl-Liebknecht-Haus einen Szenetreff für Linke, Bohémiens, Punks und Künstler schaffen wollte. Kein Touri-Magnet.
Heute denkt Diedrich, dass er sich selbst überschätzt habe. Was wusste er schon von Gastronomie? Er machte Fehler über Fehler, ließ Schwarzarbeit zu, wurde wegen Steuerschulden und nicht gezahlter Sozialabgaben vorbestraft. Als er 2015 Insolvenz anmelden musste, ging die Bürgschaft, die ihm David Regehr zuvor gewährt hatte, auf Clärchens Ballhaus über.
Die Genehmigung kam immer hinterher
Verstrickt in den Theaterkrach ist er aber nicht wegen dieser alten Schuld, an die er sich kaum noch erinnern kann. Verstrickt ist er sowieso. Vergangenen August war er bei Schulz’ Hochzeit eingeladen. Seine Tochter war Praktikantin bei Schulz. Als Schulz mal eine Wohnung suchte, half Diedrich aus. „Wir mochten uns, waren uns sympathisch“, sagt er. Schulz, der agil und mitreißend auftreten kann, habe sich „über alles hinweggesetzt“, erinnert sich Diedrich. „Wenn er keine Genehmigung für sein Theater hatte, dann hat er’s trotzdem aufgebaut. Das fand ich ganz sympathisch, so ein bisschen Anarchie. Die Genehmigung kam dann immer hinterher, wenn das Theater längst spielte.“
Diedrich hat als BVV-Mitglied viel dafür getan, das umstrittene Theaterprojekt an seinem Ort zu halten. Für eine dauerhafte Einigung müssen aus seiner Sicht jedoch Fragen geklärt werden: „Wem geben wir diese öffentliche Fläche? Warum? Und unter welchen Bedingungen?“
Als Diedrich im Sommer von Überlegungen im Bezirksamt erfährt, das Theater schließen zu wollen, sieht er sich gefordert. Er schreibt: „Christian, du musst da was verändern. Sonst kriegst du ein Problem.“
Aus Sicht des Bezirks lautet der Deal mit Schulz: Er darf die Strandbar so weit ausdehnen, wie er es zur Querfinanzierung des Theaters benötigt. Der Konflikt darum schwelt seit Langem, flammt immer wieder auf. BVV-Mitglied Frank Bertermann von den Grünen spricht von einer „de facto privatisierten Fläche“. Seine Partei, die von Anfang an gegen einen Event-Ort an der Stelle war, sieht sich längst in ihren Befürchtungen bestätigt.
Essensreste und Ratten
Anwohner beschweren sich über den Lärm der Musik und des Flaschenlagers. Es gibt Beschwerden über Werbeaufdrucke auf Sonnenschirmen und Liegestühlen, die direkt gegenüber des Weltkulturerbes Museumsinsel unangebracht seien. Die Toiletten seien zu schmutzig. Im Sommer 2018 wird Schulz vom Straßen- und Grünflächenamt aufgefordert, für mehr Sauberkeit im Park zu sorgen. Da sind sie, die Kläger. Und die Richter?
Auflagen vom Bezirksamt erhält Schulz nicht und er verstößt auch gegen keine. Er habe stets auf Missstände reagiert, sagt er und sieht sich als Opfer seines Erfolges. Berlin hat ihn groß gemacht, sollte es ihn jetzt wieder kleinkriegen?
„Ich weiß“, sagt er in dem für ihn typischen gespreizten Tonfall, „dass ich ein Privileg genieße, aber was wir dort aufgebaut haben, ist so einzigartig, dass ich behaupte, die Stadt hat keinen Fehler gemacht, als sie mir das Privileg eingeräumt hat.“
II. Akt: Der Aufstand
Im Prinzip könnte das Gerangel um den exklusiven Ort ewig so weitergehen. Denn es spielt sich auf einer Verwaltungsebene ab, auf der nur wichtig ist, ob die Voraussetzungen einer amtlichen Genehmigung gegeben sind. Dafür sind technische Kriterien zu erfüllen. Als sich jedoch im Sommer Leute aus dem Ensemble an Sven Diedrich und andere Bezirksverordnete wenden mit der Bitte, etwas gegen die haltlosen Zustände in der Garderobe und die miserablen Arbeitsbedingungen zu unternehmen, da wird das Theater plötzlich zu einem sozialen Problemfall.
Aus dem Protokoll einer Mitarbeiterversammlung vom August 2018 geht hervor: Das Ensemble fühlt sich beim Umziehen extrem beengt, kann nicht duschen, und für Frauen und Männer gibt es nur einen sanitären Raum. Die Essensreste der Pizzeria lockten Ratten in den Theaterbau. Vor allem aber beklagen sie, dass eine Bar im Zuschauerraum aufgebaut wird, an der bis kurz vor Vorstellungsbeginn Getränke ausgeschenkt werden. Überhaupt würden sich die Schauspieler respektlos behandelt fühlen von Schulz, der sie anschnauze („Halt die Klappe!“).
Hat er seinen Geschäftsfreund verraten?
Zunächst glaubt Diedrich, dass er das Problem unter Duzfreunden klären kann: „Wenn wir Hinweise über wirklich besorgniserregende Zustände bekommen, hat die Politik die verdammte Pflicht, darauf zu reagieren. Und wenn mich das die Freundschaft mit Christian Schulz kostet“, fährt er sichtlich bewegt fort, „dann ist das eben so“.
Schulz selbst beteuert, dass er ein gutes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern hat. An der künstlerischen Konzeption des Theaters sei er „so sehr beteiligt wie jeder andere“. Eingeweihte berichten, dass es immer schon eine Arbeitsteilung von Schulz und Regehr gab. Wenn sie ein Projekt im Bezirksausschuss vorstellten, habe Regehr gesprochen. Denn Schulz’ Temperament habe ihn oft über’s Ziel hinausschießen und Menschen beleidigen lassen, die er eigentlich überzeugen sollte. „Obwohl wir das Theater gemeinsam entwickelt hatten, musste ich irgendwann erkennen, das gehört schon doch alles ihm“, sagt Regehr. Er ist ein großer Mann in brauner Breitcordhose, weißem Hemd und grünem Wollpullover, der es gewohnt ist, auf die Welt hinabzublicken. Zwei Meter misst er, und seine Gesten sind kraftvoll, wie er da am alten Holztisch in seiner Wohnung sitzt. An der Wand hängen Kohlezeichnungen von Felsformationen und idyllischen Ruinen. Deutsche Romantik.
Auf die Frage, ob er seinen Geschäftsfreund verraten habe, sagt er lange nichts. Grübelt, als würde er eine mögliche Antwort wie auf einer imaginären Bühne an die richtige Position rücken. Dann erwidert er, dass das Problem für ihn nicht persönlicher Art sei. Die zwischenmenschlichen Spannungen hätten weiter unterdrückt werden können. „Wie wir uns benahmen, lagen wir vor zehn Jahren richtig. Aber schon vor fünf Jahren nicht mehr. Dass man an diesem Ort in der Stadt eigennützig handelt, funktioniert nicht. Nicht mehr“, sagt Regehr.
„Ich bin der Chef“
Im Folgenden spricht Regehr ruhig und klar von einem Anpassungsdruck, auf den das Theater nur mit strukturellen Veränderungen reagieren könne. Da sei die Bühne, die sich von einer, die keine Scheu vor zu flachen Späßen hatte, zu einer fortentwickelt habe, die keine Scheu mehr vor Tiefe kenne. Und da ist eine Geschäftsführung, die ihr keinen „sicheren Rahmen“ geben könne. Und sicher, das bedeutet für Regehr, dass alle Beteiligten zufrieden sein müssen.
„Der Satz, ,Ich bin der Chef', funktioniert nicht in einem Haus, das von sich selbst denkt, es sei ein freies Theater. Wo Schauspieler parallel zu ihrem Bühnenjob Türen reparieren, weil sonst alles auseinanderfällt. Und es passiert auch schon mal, dass ein Kostüm kaputtgeht und nicht gleich repariert werden kann. Man kriegt einen Anruf, soundso ist nicht da, kannst du? Klar, ich komme. Sich in einem solchen Umfeld als Chef aufzuspielen, zieht den Unwillen aller auf sich.“
Abgang und Vorhang.
Pause.
Zeit für eine Zwischenbilanz.
Die Zeiten scheinen unweigerlich vorbei, da man Bierbänke ans Spreeufer tragen und Lebensgefühl verkaufen kann. So ist der Kampf ums Monbijou-Theater auch einer um die letzten Flecken, die wenig kosten und viel einbringen. Merkwürdigerweise leiten Bezirkspolitiker wie Diedrich daraus den Imperativ ab, dass Geld, das auf öffentlicher Fläche in Mitte verdient wird, zuallererst in Mitte investiert werden soll. Mitte first! Doch eine schriftliche Vereinbarung gibt es darüber mit Schulz nicht. „Das war nur so lose vereinbart“, sagt Regehr, „und wurde stärker angemahnt, je mehr sich der Barbetrieb in den Park erstreckte.“
Unter dem Druck der Gentrifizierung verändern sich auf diese Weise die politischen Spielregeln auch für ein alternatives Kulturprojekt, das einem alternativen Milieu nicht mehr alternativ genug ist. Diedrich drückt es so aus: Kommunaler Raum werde vom rot-rot- grünen Senat zurückerobert und nirgendwo mehr privatisiert, da dürfe der Monbijoupark nicht für wirtschaftliche Eigeninteressen genutzt werden.
III. Akt: Die Prüfung
Der Bezirk versucht im Herbst 2018 vergeblich, sich einen Überblick über die Finanzen der Theater GmbH zu verschaffen. Als Gesprächspartner bietet sich ihm nicht Schulz selbst, sondern ein sogenannter „Freundeskreis“ des Monbijou-Theaters an. Der Verein setzt sich aus Regehr und weiteren Mitgliedern des künstlerischen Leitungskreises sowie aus Kennern der freien Theaterszene zusammen. Schulz steht nach eigenen Angaben hinter der Initiative. Sie soll in einem Arbeitskreis auf Bezirksebene nach einer dauerhaften Lösung für das Theater suchen, wird sich jedoch als Vehikel für Schulz’ Entmachtung entpuppen.
Rechtlich betrachtet, operiert der Arbeitskreis, dem Abgeordnete aus vier Fraktionen angehören, im luftleeren Raum. Er kann den Unternehmer Schulz nicht zwingen, seine Finanzen offenzulegen. Trotzdem gibt der dem Drängen nach und lässt zwei Mitglieder des Freundeskreises einen Blick in seine Bücher werfen. Sie haben ungehinderten Zugang, werden sie später beteuern. Aber über die Werkzeuge einer Wirtschaftsprüfung, die nötig wären, verfügen sie nicht. Es stellt sich heraus, dass die Umsätze des Theaters seit 2014 von 1,12 Millionen Euro auf 1,35 Millionen gestiegen sind. Dem stehen im Jahr 2017 Produktionskosten von 1,16 Millionen sowie weitere Kosten in Höhe von 400.000 Euro gegenüber. Das Theater verbucht demnach einen Verlust von 200.000 Euro, was einem Drittel seines Umsatzes entspricht.
Die Ergebnisse sind für die „Freunde“ so unbefriedigend, dass sie das Zahlenwerk als belanglos abtun, wie ein Eingeweihter berichtet. Nicht nur werden Gewinne darin nicht ausgewiesen. Was auch fehle, so der Vorwurf, sei eine vollständige Aufstellung der Einnahmen. Insbesondere das Kartensystem weckt Misstrauen. Die langen Schlangen an der Abendkasse deuteten auf einen viel höheren Absatz hin als angegeben, mutmaßen sie. Die Tickets seien überdies nicht nummeriert. Das veranlasst die frühere Verwaltungschefin des Theaters „Hebbel am Ufer“, Mitglied im Freundeskreis, Martina Geßner, sich eingehend mit dem Ticket-System zu befassen. Sie findet keine Hinweise auf möglichen Betrug. Geld beiseitezuschaffen, gebe das System nicht her, sagt sie, wenn der Laden jeden Abend ausverkauft sei und 95 Prozent der Tickets online abgesetzt würden. Geßner macht Vorschläge, wie man auch die letzten fünf Prozent lückenlos kontrollieren könne. Doch niemand geht darauf ein.
Von Betrug ist die Rede
Stattdessen wendet sich Diedrich im Oktober mit einem Schreiben an Schulz und wirft ihm vor, sich „mit offensichtlich falschen Antworten“ aus der Affäre ziehen zu wollen. Denn viele Leute wüssten oder ahnten, „dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Von Betrug ist die Rede.“ Der Ruf unseriösen Wirtschaftens ist zu diesem Zeitpunkt durch nichts belegt. Doch der Verdacht reicht, um Schulz’ ökonomisches Modell zu diskreditieren.
Im Februar verlässt Martina Geßner den Freundeskreis. In einem Schreiben an Regehr beklagt sie, dass er offenbar eine „Zerschlagung der aktuellen Strukturen“ anstrebe. Daran wolle sie nicht mitwirken. Sie sieht ein Theater in Gefahr gebracht, das frei auch insofern ist, dass man sich ausprobieren und Fehler machen kann, weil künstlerische Irrwege nicht so schwer wiegen. Welches andere Theater kennt diesen Luxus? Den gibt es nur um den Preis einer geringen Kontrolle.
Der Wunsch des Bezirks, die Gewinne vollständig ins Theater zurückfließen zu sehen, lässt Regehr und seine Mitstreiter die Idee einer gemeinnützigen Struktur entwickeln. Dadurch würden zwar weiterhin Gewinne verbucht werden können, doch müssten sie reinvestiert werden. Regehr sagt, dass man mit höheren Gagen auch bessere Schauspieler engagieren könne. Ihm schwebt denn auch vor, sich noch stärker den Originaltexten deutscher Klassiker zuzuwenden. Ein Defizit von 200.000 Euro sollte sich mühelos mit den Einnahmen der Strandbar auffangen lassen. Das weiß er jetzt.
Die Idee der Gemeinnützigkeit findet sofort Anklang bei den Bezirkspolitikern. Da sich Schulz diesem Vorschlag zunächst verweigert, fühlt sich Regehr in der Bringschuld. Wie soll er erklären, dass der, der das Sagen hat, immer wieder Nein sagt? „Im Bezirk hatten sich einige Leute jahrelang für das Theater eingesetzt“, sagt er. „Deren Bedürfnis nach mehr Transparenz dadurch zu kontern, dass man ihr Ansinnen als unnötig und vermessen zurückwies, zerstörte eine Basis.“
Am 20. Dezember beschließt die BVV, dass die Nutzung der Parkfläche nur durch gemeinnützige Träger erfolgen solle. Regehr, der auf diesen Beschluss vorbereitet war, bewirbt sich mit der Theater an der Museumsinsel gGmbH um den Mietvertrag. Schulz versäumt den Beschluss zunächst, zieht Mitte Januar mit einer eigenen gemeinnützigen Gesellschaft nach. Doch bei einem Treffen aller Beteiligten am 14. Februar wird ihm bewusst, dass nur noch von einer geordneten Übergangsregelung gesprochen wird. „Sie haben da ein Schiff, und das wird jetzt gekapert“, hört er den HU-Vertreter sagen. Schulz' sieht sich vor vollendete Tatsachen gestellt.
Das Entgegenkommen an ihn sieht so aus, dass sein Ausstieg „ohne unzumutbaren Schaden“ für seine Firma vonstattengehen soll. Man bietet ihm Geld an für die Nutzung der Theaterbauten und der darin integrierten Gastronomie. Doch er wird das ausschlagen. Einerseits, weil er sich als Theatermacher versteht. Die anderen haben es einfach nicht drauf, denkt er andererseits, aus dem Nichts ein Theater aus dem Boden zu stampfen. „Dieses Wissen zaubert man nicht aus dem Hut“, meint er, „da muss man schlau sein.“
Das Theater geht weiter?
David Regehr zieht in seiner Wohnung einen Prospekt aus einem Stapel. Es zeigt eine Arena, von ihm entworfen für das 200-jährige „Faust“-Jubiläum. Einzelne Szenen von Goethes Stück wurden nämlich zum ersten Mal am 24. Mai 1819 in dem Lustschloss aufgeführt, dem der Monbijou-Park seinen Namen verdankt. Regehr tippt mit dem Finger auf eine Barock-Fassade, die er dem Theater geben will. Sie ist dem ausgebrannten Schloss an gleicher Stelle nachempfunden. Dahinter soll sich die Bar verbergen. Er hat an alles gedacht, scheint es.
IV. Akt: Die Entscheidung
Die Entscheidung fällt vor einer Woche. Aus der Erklärung der HU geht nicht hervor, nach welchen Kriterien Regehr den Zuschlag bekommt und sein Kontrahent nicht, der zu diesem Zeitpunkt über ein Theater, einen Mitarbeiterstab und die erforderlichen technischen Bescheinigungen verfügt. Für Baustadtrat Ephraim Gothe, der in der Auswahlkommission gesessen hat, ist entscheidend für die Wahl, dass Regehr künftig einem Beirat Einblick über die Geldflüsse gewähren will. In einem Offenen Brief beklagen Mitarbeiter von Schulz, dass ihnen die Entlassung drohe.
Musste das sein? Der Versuch, den Status quo eines kaum abgesicherten Theaters zu verändern, mündet in einem vorläufigen Debakel. Oder stellt sich die Gemeinnützigkeit womöglich als ein für Berlin richtungsweisender Schritt heraus? Das Theater geht weiter. Die Frage ist: zu welchem Preis?