Gentrifizierung in Berlin: Uferhallen-Künstler fürchten Verdrängung durch Investoren
Nach dem Verkauf des 19.000-Quadratmeter-Areals in Gesundbrunnen sorgen sich Mieter um die Zukunft. Sie wünschen sich Unterstützung des Senats.
Es ist ruhig auf dem Gelände der Uferhallen in Gesundbrunnen. Kein Klopfen, kein Hämmern, kaum Geräusche, die auf die kreativen Arbeiten in den Innenräumen der Backsteingebäude hindeuten. Viele Künstler, die sonst in den zahlreichen Ateliers auf dem 19.000-Quadratmeter-Gelände ihrer Arbeit nachgehen, sind im Urlaub. Ein paar Fahrräder lehnen gegen Stapel aus Holzlatten, vor einem Atelierfenster wächst ein Gemüsegarten auf Palettenbeeten. Die große Halle mit dem Adidas-Logo, die der Konzern vor zwei Jahren gemietet hat, ist verschlossen. Im angrenzenden Café Pförtner unterhalten sich Künstler und andere Gäste leise beim Frühstückskaffee.
Die Gespräche drehen sich an diesem Tag auch um die Neuigkeiten vom Mittwoch: Seitdem ist bekannt, dass die Uferhallen den Besitzer wechseln werden. 95 Prozent der Uferhallen AG fallen in die Hände einer Gruppe von Privatinvestoren. Laut Mietern stehen hinter dem Käufer Augustus Capital die Samwer-Brüder, bekannt als Gründer von Rocket Internet und Anteilseigner von Zalando. Eine Bestätigung gibt es dafür bisher nicht.
Angst vor steigenden Mieten
Nicht erst seit Bekanntgabe des Millionendeals herrscht Sorge unter den rund 50 Künstlern, die auf dem Gelände Ateliers gemietet haben. Droht dem Areal ein ähnliches Schicksal wie vielen anderen Berliner Freiräumen, die in den vergangenen Jahren ihren besonderen Charakter verloren haben?
„Ein so hoher Kaufpreis wirft die Frage auf, wie sich der Deal rentieren soll, ohne dass die Mieten erhöht werden“ sagt Bernhard Kotowski vom Berufsverband Bildender Künstler (BBK). Die Ankündigung der angeblich mit dem Umbau betrauten Firma Realace, es gehe um eine „behutsame Weiterentwicklung ohne Eile“ und „langfristige Investitionen“, gelte es nun zu konkretisieren. „Die Stadt sollte die Firma beim Wort nehmen und ihre Zusammenarbeit anbieten, um an den Entscheidungen beteiligt zu werden“, fordert Kotowski.
Viele Mieter fühlen sich machtlos, sie befürchten, in die Planung der Zukunft der Uferhallen nicht mit einbezogen zu werden. Einige haben gehört, dass der Deal als vollzogen gilt, wenn die Käufer bis zum 29. September überweisen.
"Entmündigt und hilflos"
Das Gelände gehörte bis 2006 der BVG, die hier U-Bahnen und Busse reparierte. Dann kaufte die Uferhallen AG für rund sechs Millionen Euro das Grundstück. AG und beteiligte Künstler hatten den Plan, dass möglichst viele Kleinaktionäre Anteile am Gelände kaufen, damit genau der jetzige Fall nicht eintritt: Dass ein Großinvestor mit dem Gelände machen kann, was er will. Aus der Anfangszeit stammen einige der Mietverträge, die noch bis zu 20 Jahre Laufzeit vor sich haben. Das ist aber längst nicht mehr üblich: Die meisten Mieter hier haben übliche Gewerbeverträge, die der Eigentümer mit einer Frist von drei bis sechs Monaten einfach kündigen kann. Das ist auch der Grund, warum sich niemand namentlich äußern will.
„Es gibt offenkundig eine gewisse Einschüchterungskultur auf dem Gelände“, sagt auch Kotowski. Unbequemen Mietern sei schon gedroht worden, dass sie aus ihrem Atelier fliegen, heißt es auf dem Gelände. „Der Verwaltungschef droht jedem, der sich hier nicht still verhält, mit Kündigung“, sagt ein Mieter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Informationen, wie es jetzt mit ihnen weitergeht, bekämen sie auch nicht: „Dass niemand Rede und Antwort steht, macht es noch schwieriger, aufzubegehren.“ Man fühle sich „entmündigt und hilflos“. Der Vorstand war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Kultur braucht Subkultur
Eine Künstlerin auf dem Hof ist Antje Blumenstein. Sie hofft, dass der Verkauf der Aktienmehrheit nicht das Aus für die Künstler auf dem Ufergelände bedeutet. „Es wird sich herausstellen, ob die neuen Aktionäre ein Interesse haben, diesen wichtigen Kulturstandort zu erhalten“, sagt sie. Auch die Samwer-Brüder könnten sich ja vom Saulus zum Paulus wandeln, hofft sie. Und auch Berlin habe ein Interesse daran: Die Stadt verliere ohnehin schon viele Künstler, die sich die Mieten für Ateliers nicht mehr leisten können und die deshalb nach Leipzig ziehen. „Lebendig wird eine Stadt nicht allein von neu gebauten Häusern, sondern vor allem durch ihre Subkultur“, appelliert sie. „Wenn Berlin weiter von seiner Künstlerszene profitieren will, kann der Senat nicht zulassen, dass Künstler dauernd vertrieben werden.“
Ein anderer Mieter ist da wenig hoffnungsvoll. Er befürchtet, dass die Verantwortung, die eigentlich auf den neuen Eigentümern laste, jetzt an die Stadt abgegeben wird. „Da kann man dann Schlange stehen und hoffend warten, dass einem ein Stück Atelier zufälllt“, sagt er.
Blumenstein will unterdessen lieber neue Modelle für Künstler, Kleingewerbe und Freischaffende entwickeln: Das Land Berlin, das für den Kauf des Geländes mitgeboten hatte, müsse im Ernstfall das Geld nutzen, um ein anderes Gelände zur Verfügung zu stellen. Denkbar seien dann auch Genossenschaften, mit denen Künstler selbst für ihre Sicherung sorgen. Wichtig sei dabei aber, dass es eine Perspektive gibt: „Wir wollen nicht alle fünf Jahre woanders hin vertrieben werden.“
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