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Zurück zum Regelunterricht noch vor den Sommerferien? Die Berliner Bildungsverwaltung lehnt das ab.
© Sebastian Gollnow/dpa

Bildungsverwaltung gegen mehr Präsenzunterricht: Überall wird gelockert, nur bei Berlins Schulen nicht

Trotz sinkender Inzidenz will die Berliner Bildungsverwaltung keinen Regelunterricht vor den Ferien. In Brandenburg wird anders geplant.

Wenn ab Freitag vor den Berliner Kneipen wieder die Gläser klirren, verfolgen Berlins Schüler:innen den Unterricht weiterhin jeden zweiten Tag – oder jede zweite Woche – vor dem Bildschirm. In vielen Bereichen werden dieser Tage die zuvor strengen Regelungen wegen sinkender Inzidenzen gelockert.

Nur bei den Berliner Schulen ändert sich vorerst: nichts. Die Klassen bleiben weiter im Wechselunterricht. Doch die Debatte darüber gewinnt angesichts der laufenden Öffnungsschritte an Fahrt.

Berlins Grüne sprechen sich dafür aus, auch Kinder wieder häufiger in der Schule zu unterrichten – auch draußen. „Mit dem Stufenplan hätte man auch einen Sommerstufenplan für corona-konformen Unterricht auf den Weg bringen müssen“, sagte die Fraktionsvorsitzende Silke Gebel.

Es brauche eine Synchronisation der Öffnungsschritte aus anderen Bereichen mit den Schulen. Das gelte auch bei den Absprachen mit dem Land Brandenburg. „Dann können sich die Kinder wieder im ganzen Klassenverband zusammen sehen.“ Möglich sei das etwa auf dem Pausenhof oder in angrenzenden Parks, sagte Gebel.

Ähnlich äußerte sich die bildungsplitische Sprecherin der Grünen-Faktion, Marianne Burkert-Eulitz. „Wenn die Inzidenzen so gering bleiben wie jetzt, dann müssen wir auch wieder mehr Präsenzunterricht anbieten.“

Auch die Berliner SPD-Vorsitzende und Spitzenkandidatin ihrer Partei zur Abgeordnetenhauswahl, Franziska Giffey, machte sich für Schulöffnungen stark. Mit ihrem wohl letzten Aufschlag als Bundesfamilienministerin forderte Giffey am Vorabend ihres Rücktritts eine Rückkehr zum Regelbetrieb der Schulen trotz Pandemie.

„Wir müssen jetzt gucken, dass die Kinder Schritt für Schritt in die Normalität zurückkehren können“, sagte Giffey am Dienstagabend laut Nachrichtenagentur dpa in der RBB-Sendung „Wir müssen reden!“. Begleitet werden müsse dies weiterhin mit Corona-Tests, aber auch durch Impfungen von Eltern und Fachkräften.

Scheeres-Behörde hält an Entscheidung fest

Die von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) geführte Senatsbildungsverwaltung blieb dagegen am Mittwoch bei ihrer Haltung. „Es ist der Wunsch der Schulen und der Lehrkräfte, Planungssicherheit zu haben“, sagte ein Sprecher.

Kurz vor dem Ende des Schuljahres wieder neu zu planen, bringe nichts, zumal eine Umstellung Zeit brauche. Die Sommerferien beginnen in Berlin in diesem Jahr bereits am 24. Juni und somit früher als in vielen anderen Bundesländern. Zudem seien viele Lehrkräfte noch nicht durchgeimpft.

Gegen mehr Präsenzunterricht vor den Ferien sprach sich auch der FDP-Bildungspolitiker Paul Fresdorf aus. "Wir unterstützen den Wechselunterricht bis zu den Sommerferien, weil insbesondere in den Oberschulen noch nicht alle Lehrkräfte geimpft sind", sagte er. Nach weiteren Schritten in Richtung Regelbetrieb zu rufen, nannte er "unverantwortlich".

In Brandenburg hingegen hat Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) eine Öffnung der Schulen für den Präsenzunterricht noch vor den Sommerferien in Aussicht gestellt, sollten die Inzidenzzahlen weiter zurückgehen. Die Entscheidung dazu werde in der kommenden Woche im Kabinett getroffen, sagte Ernst.

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Die Rückkehr zum Normalbetrieb ist eigentlich schon durch die seit dem 23. April geltende Bundesnotbremse geregelt: Ab einer Inzidenz von 165 müssen alle Schulen in den Distanzunterricht gehen. Liegt die Sieben-Tage-Inzidenz für fünf Tage darunter, fällt die Notbremse weg. Dann ist Wechselunterricht angesagt und ab einem Wert von 100 und niedriger ist voller Präsenzunterricht zulässig.

Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) hat die weitere Öffnung von Brandenburgs Schulen in Aussicht gestellt.
Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) hat die weitere Öffnung von Brandenburgs Schulen in Aussicht gestellt.
© Soeren Stache/dpa-Zentralbild/ZB

Mehrere andere Länder haben angekündigt, schon in den kommenden Wochen möglichst komplett zur Präsenz zurückzukehren. In Nordrhein-Westfalen soll das ab 31. Mai der Fall sein, sagte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Mittwoch im Landtag.

Rheinland-Pfalz hat eine landesweite Regelung: Nach den Pfingstferien sollen die Schulen noch zwei Wochen im Wechselunterricht bleiben. Und ab dem 21. Juni möglichst komplett in die Präsenz zurückkehren - wenn der Inzidenzwert stabil unter 100 bleibt. Ähnlich ist es in Hamburg, wo seit 17. Mai alle Jahrgänge halb im Klassenraum und halb zu Hause unterrichtet werden.

In der benachbarten Hansestadt Bremen arbeiten seit Montag alle Grundschulen in voller Klassenstärke und ohne Maskenpflicht, die weiterführenden Schulen sollen in der kommenden Woche nach längerem Wechselunterricht ganz in die Klassenzimmer zurückkehren.

In Schleswig-Holstein sind in Flensburg, Nordfriesland und Dithmarschen schon jetzt alle Schüler:innen von der 1. bis 13. Klasse wieder täglich in der Schule. Auch in Bayern und Baden-Württemberg stehen umfassende Schulöffnungen offenbar unmittelbar bevor.

Baden-Württemberg ist einem Überblick des Deutschen Schulportals zufolge strenger, als das Bundesgesetz verlangt. Hier können die weiterführenden Schulen erst ab einer Inzidenz unter 50 „in den Präsenzunterricht unter Pandemiebedingungen“ gehen – mit Masken- und Testpflicht.

Auch in Bayern gilt für alle Schulstufen Wechselunterricht bei einer Inzidenz zwischen 50 und 165. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte aber am Dienstag an, dass nach den Pfingstferien alle Kinder und Jugendlichen in Regionen unter Inzidenz 50 wieder Präsenzunterricht haben sollen.

Kinder- und Jugendärzte warnen vor den Folgen der Schulschließungen

Unterdessen warnen Kinder- und Jugendärzte: Die Folgen der Schulschließungen für Kinder und Jugendliche seien erheblich, die Psychiatrien mittlerweile überlaufen. „Es gibt psychiatrische Erkrankungen in einem Ausmaß, wie wir es noch nie erlebt haben“, sagte der Sprecher des Verbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Jakob Maske.

Beim BVKJ sprach man sogar von einer „Triage“: Wer nicht suizidgefährdet ist und „nur“ eine Depression hat, werde nicht mehr aufgenommen. „Kinder und Jugendliche müssen zurück ins normale Leben – ganz unabhängig von der Impfung“, sagte Maske. Sie seien weniger durch eine Corona-Erkrankung gefährdet als durch die „verheerenden Langzeitfolgen.

Auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Jörg Dötsch, fordert, Kindern wieder „ein normales soziales Leben“ zu ermöglichen. „Schulen öffnen, Kitas öffnen – natürlich gemäß den geltenden Leitlinien und mit angemessenen Testungen“, sagte der Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik Köln.

„Je länger die Beschränkungen andauern und wir Kindern die Teilhabe verweigern, desto problematischer ist es für ihre Entwicklung.“ Dieser Schritt dürfe nicht von möglichen Impfungen gegen das Coronavirus für Kinder abhängen, betonte er. Der Epidemiologe  Timo Ulrichs von der Berliner Akkon Hochschule für Humanwissenschaften findet es unverständlich, dass die Berliner Schulen beim Wechselunterricht bleiben sollen. „Das ist ungerecht und unfair“, sagte er am Mittwoch im RBB. Schließlich seien die Einschränkungen der Notbremse auch mit dem Ziel erfolgt, die Schulen möglichst früh  wieder öffnen zu können.

Deutscher Lehrerverband erst bei Inzidenz unter 50 für vollen Präsenzunterricht

Der Deutsche Lehrerverband plädierte derweil erst für eine Rückkehr zum vollständigen Präsenzunterricht bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50. Bei vollständigem Präsenzunterricht ohne Abstandsregelung solle man sich an der entsprechenden Empfehlung des Robert Koch-Instituts orientieren, „solange viele Lehrkräfte und fast alle Kinder noch nicht geimpft sind“, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger.

Das Impfen der Schüler:innen rückt nun in den Vordergrund. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) plädiert vor dem Impfgipfel nun für eine schnelle Impfung von Schüler:innen. Der Charité-Virologe Christian Drosten hatte wiederholt darauf hingewiesen, wie wichtig es sein wird, möglichst bald auch Kinder und Jugendliche zu impfen.

Virologe Christian Drosten plädiert für schnelle Impfungen von Kindern und Jugendlichen, da sie besonders mobil seien.
Virologe Christian Drosten plädiert für schnelle Impfungen von Kindern und Jugendlichen, da sie besonders mobil seien.
© Michael Kappeler/dpa

Wenn  die Erwachsenen durchgeimpft sind, sei gerade bei ungeimpften Kindern mit einer verstärkten Infektionstätigkeit zu rechnen. Hinzu komme das Risiko des gefährlichen PIMS-Syndroms bei Kindern nach einer Covid-19-Infektion.

Ungeachtet der sinkenden allgemeinen Inzidenz bleiben die Schulen ein Risikofaktor. Charité-Virologe Christian Drosten betont, dass die Schulen in gleichem Maße wie alle anderen Bereiche zum Infektionsgeschehen beitragen. Seit den Impfungen in den hohen Altersgruppen sind die höchsten Inzidenzen bei den Jüngeren zu finden, von zehn bis 24 Jahren, also gerade auch unter Schülern.

Modellrechnungen der TU Berlin haben zudem gezeigt, dass neben der Impfkampagne und den Notbremse-Maßnahmen vor allem auch Schulschließungen zum Absinken der dritten Welle beigetragen hätten. Drosten sagte in seinem jüngsten Podcast, dass sich die Situation erst dann stark konsolidieren werde, wenn die jungen, sehr mobilen Menschen durchweg geimpft seien.

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