Türkei-Referendum: Türken in Berlin stimmen ab heute in der Heerstraße ab
Ja oder Nein? Diese Frage spaltet die Türken in Berlin. Nun stimmen sie über Erdogans Verfassungsreform ab. Zu Besuch beim Wahllokal in Westend.
Während die Autofahrer den Kreisverkehr am Theodor-Heuss-Platz beachten, hat Kemal Kurt nur Augen für den blauen Himmel über Berlin. Der Ende 30-Jährige steht an diesem sonnigen Freitagmittag vor einem Friseurgeschäft in der Reichsstraße in Charlottenburg. Als er einen letzten Zug an seiner Zigarette zieht, krümmen sich seine Augenbrauen. „Ich bin mir noch unsicher“, sagt er und schüttelt den Kopf. Dann blickt er auf die Straße, grübelt, sagt: „Ich werde Ja ankreuzen.“
Kurt, der eigentlich anders heißt, ist einer von 139.000 in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern lebenden wahlberechtigten Türken, die ab Montag im türkischen Generalkonsulat über die umstrittene Verfassungsreform des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan abstimmen können. Bis zum 9. April können sie im Generalkonsulat an der Heerstraße abstimmen. Bundesweit gibt es 13 Wahllokale in denen insgesamt 1,4 Millionen Türken wahlberechtigt sind.
Brexit, Trump und nun das Türkei-Referendum
Ja-Sagern wie Kurt geht es bei der Reform nicht um die Verfassungsänderung, sondern nur um die Person Recep Tayyip Erdogan. Geht das Referendum nämlich durch, wäre die ohnehin schon enorme Einflussmacht des türkischen Staatspräsidenten auch gesetzlich verankert.
Kemal Kurt ist längst in Erdogans Bann: „Der Präsident hat seine Gegner vernichtet und lässt sich nicht von jedem etwas sagen“, sagt er. Dass der Friseur sich bei einer Wahl einmal hinter Erdogan stellen würde, war nicht immer ein Selbstläufer. Denn Kurt ist Anhänger der türkischen Nationalistenpartei MHP – die rechtsextreme Partei verstand sich bis vor wenigen Jahren als klare Opposition zu der islamisch-konservativen AKP von Erdogan. Für Kurt ist inzwischen aber klar: „Ausländische Mächte wollen die starke Türkei aufhalten.“ Die Frage, wer diese Mächte seien, beantwortet Kurt nicht.
Wer die Reichsstraße nur ein wenig weiter läuft, kann Muharrem Gürbüz begegnen. Der studierte Bauingenieur und Besitzer des italienischen Restaurants „Adelino“ nimmt es Erdogan vor allem übel, dass er die Gewaltenteilung in der Türkei ausgehebelt hat. Dennoch verurteilt der 44-Jährige Erdogan-Fans wie Kurt nicht. „Das sind eigentlich gute Kerle, die aber sehr von der politischen Polarisierung beeinflusst worden sind.“ Gürbüz erwartet, dass das Referendum sehr knapp ausgehen wird – ähnlich wie der Brexit und die US-Präsidentschaftswahl. „Die Stimmen der im Ausland lebenden Türken könnten deshalb die Entscheidung bringen“, sagt er.
Wahlbeteiligung noch nicht abzuschätzen
Gürbüz schätzt, dass bis zu zwei Drittel der Türken in Berlin für Erdogan stimmen werden. „Erdogan-Anhänger sind besser mobilisiert. Das liegt aber auch an dem türkischen Staatsapparat, dessen Wahl-Propaganda für die Verfassungsreform allgegenwärtig ist.“
Für den Erfolg von Erdogan in Deutschland macht Gürbüz aber auch die Deutschen verantwortlich: „Viele Türken werden in ihrem privaten Umfeld oder bei der Arbeit vorwurfsvoll von Deutschen angesprochen. Wenn jemand ein tiefes Verständnis hat und die Türkei kritisiert, ist das kein Problem. Das ist aber leider selten der Fall. Im Ergebnis rufen sie bei Türken eine Trotzreaktion aus, weshalb sie dann erst recht für Erdogan sind.“
Wie viele Wahlberechtigte am Montag in das türkische Generalkonsulat an der Heerstraße kommen werden, um von ihrer Stimme Gebrauch zu machen, ist noch unklar – bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren hatten 49.000 türkische Staatsbürger ihre Stimme abgegeben. „Evet“ oder „Hayir“ – ja oder nein? Melek K. will sich nicht mehr entscheiden müssen. Die 18-jährige Kurdin hat am Freitagmittag ihren türkischen Pass abgegeben. „Ich kann mich mit dem Land nicht mehr identifizieren“, sagt sie.