Berlin-Kreuzberg: Tumulte und Gewalt bei Festnahme - Ermittlungen gegen Polizisten
Bei einer Festnahme am Kottbusser Tor wenden Berliner Polizisten Gewalt an. Daraufhin werden sie von Passanten mit Flaschen und Steinen beworfen.
Es war ein Einsatz, der außer Kontrolle geriet – und der eine Debatte über die schwierige Arbeit der Polizei auf den Straßen Berlins, über Attacken gegen Beamte, aber auch über Polizeigewalt ausgelöst hat. Am Donnerstagnachmittag gegen 16.20 Uhr war die Polizei von einem Zeugen informiert worden, dass er in Kreuzberg einen mutmaßlichen Fahrraddieb erkannt habe. Die alarmierten Beamten fanden den Mann am Kottbusser Tor und nahmen die Personalien des 22-jährigen sudanesischen Staatsbürgers auf.
An dieser Stelle hätte alles erledigt sein können, der 22-Jährige hätte seines Weges gehen können, die Beamten wollten ihre Streifenfahrt gerade fortsetzen. Doch dann soll der Mann auf den Einsatzwagen zugerannt sein, gegen das Fahrzeug getreten und die hintere Tür aufgerissen haben. Die Beamten wollten den 22-Jährigen daraufhin festnehmen, doch der leistete erheblichen Widerstand, trat und schlug um sich. Passanten versammelten sich und beschimpften die Polizisten. Die beiden Beamten konnten den Mann in dem Gerangel nur mit Mühe am Boden halten – und wurden von Beobachtern mit Flaschen beworfen.
Diese Szenerie wurde von Passanten festgehalten, bei Twitter und Youtube kursieren mehrere Videos, die auch von der Polizei für echt gehalten werden. Zu sehen ist auch, wie der 22-Jährige versucht sich loszureißen, wie die Polizisten ihn nur mit Mühe festhalten können – und die Lage zunächst nicht unter Kontrolle bekommen, weil sie Attacken abwehren müssen. Eine Erfahrung, die Berliner Beamte immer wieder machen müssen: Sie nehmen eine Person fest, werden von einer Menschenmenge umringt und angegriffen, müssen sich verteidigen.
Es flogen Steine, Blumentöpfe, Aschenbecher
Bei dem Vorfall am Donnerstag wurden weitere Einsatzkräfte zum Kottbusser Tor beordert. Es flogen auch Steine, Blumentöpfe und Aschenbecher. Die Beamten mussten den Tatort absichern, setzten Pfefferspray ein. Der am Boden liegende Sudanese hatte sich noch immer nicht beruhigt, trat und schlug um sich. Drei Beamte versuchten den Mann zu fixieren, lagen teilweise auf ihm.
Auf den Videos ist zu sehen, wie sie ihn schlagen oder mit dem Knie treten. Dann kommt ein weiterer Beamter heran und tritt von der Seite zweimal zu. Auf den Videos ist zu hören, wie mehrere Personen gegen das Vorgehen der Polizei lautstark protestieren und beleidigen: „Hurensöhne“. In den sozialen Medien wird der Polizei sogar die Misshandlung eines mutmaßlichen Fahrraddiebes vorgeworfen.
Die Lage beruhigte sich erst wieder, als der Mann in einen Polizeiwagen geschafft und weggefahren wurde. Vier Männer im Alter von 16 bis 36 Jahren sind noch wegen der Attacken auf die Beamten vorläufig festgenommen worden, ihre Personalien wurden festgestellt. Insgesamt drei Beamte sind bei dem Einsatz verletzt worden, sie mussten in Kliniken ambulant behandelt werden. Ermittelt wird nun wegen schweren Landfriedensbruchs.
Ermittlungen gegen Polizeibeamte und vier Männer
Ermittelt wird aber auch gegen die Polizeibeamten. „Wir leiten ein Verfahren ein“, sagte ein Behördensprecher am Freitag. Betroffen sind die an der Festnahme beteiligten Beamten, vor allem aber jener Polizist, der mehrfach auf den am Boden festgehaltenen Sudanesen eingetreten hat. Das für Beamtendelikte zuständige Dezernat des Landeskriminalamtes hat zu klären, ob und inwieweit der Einsatz von Gewalt verhältnismäßig war. Zumindest Schläge können als verhältnismäßig gelten, um Widerstand zu brechen.
In einer ersten Reaktion sagte ein Sprecher, der Beamte, der zugetreten hat, habe „deutlich überreagiert“. Für Sebastian Walter, den Vizechef der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus wirft der Polizeieinsatz Fragen auf. „Die zirkulierenden Videos sind nur schwer zu ertragen. Eine Prüfung und Aufklärung der genauen Umstände des Einsatzes ist notwendig und rechtsstaatlich geboten.“ Ähnlich äußerte sich die Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne).
Tom Schreiber, Innenexperte der SPD-Fraktion, bezeichnete es als „völlig richtig“, dass jetzt gegen die Beamten ermittelt werde. Zu klären sei, ob bei der Festnahme „rechtlich sauber und verhältnismäßig gearbeitet wurde“. Allerdings habe sich der Täter „aggressiv und renitent“ verhalten. In solchen Situationen müsse die Polizei zum Selbst- und Eigenschutz „intensiver eingreifen“. Schreiber kritisierte auch das Geschehen rund um die Festnahme. „Es widert mich an, wenn Personen zielgerichtet Flaschen und Steine auf die Polizei bei einer Festnahme werfen“, sagte Schreiber. „Die Täter stellen sich gegen den Rechtsstaat und nehmen Verletzungen in Kauf.“
Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sagte: „Festnahmen sind nicht immer einfach und es kommt dazu, dass Polizisten Gewalt anwenden müssen.“ Wenn jedoch der Verdacht bestehe, dass ein Beamter den gesetzlichen Rahmen überschritten habe, werde das genau analysiert. Fehlverhalten müsse Konsequenzen haben.
„In den Polizeiuniformen stecken Menschen, die sich wehren müssen, wenn sie angegriffen werden“, erklärte Jörn Badendick, Sprecher des Personalvertretungsverbandes „Unabhängige“. Zwangsmaßnahmen wie bei der Festnahme am Kottbusser Tor seien von dem Willen getragen, die Rechtsordnung durchzusetzen.