Bilanz der Gigafactory-Anhörung: Tesla sieht sich mit neuen Gefahren konfrontiert
Der Showdown zur Gigafactory ist vorbei. Acht Tage lang trugen die Tesla-Kritiker ihre Einwände vor. Gerät der Zeitplan des Konzerns doch noch ins Schlingern?
Endlich, der Showdown ist vorbei. Es war kurz vor 21 Uhr, Vollmond, als Tesla-Projektmanager Alexander Riederer am Freitagabend in der Dunkelheit vom Gelände der Stadthalle von Erkner fuhr. In einem Tesla natürlich, mit Werbung für die neue Gigafactory in Grünheide, die der Konzern dort in Rekordtempo hochzieht: "Build the Future at Gigafactory Berlin." Nein, kein Kommentar, nur eine Bemerkung: Er genehmige sich nun ein Bier.
Ja, die Erleichterung war auf allen Seiten spürbar, ob auf der Tesla-Bank, bei den Kritikern oder auch den Behördenvertretern, dass der Anhörungsmarathon zur neuen Gigafactory doch noch geschafft wurde, man nicht in die dritte Woche musste. Nach acht Tagen, geplant waren ursprünglich drei.
Das Landesumweltamt hatte diese gesetzlich vorgeschriebene Erörterung, zu der 414 Verfasser von Einwendungen gegen die Gigafactory im Rahmen des laufenden umweltrechtlichen Genehmigungsverfahrens für die Fabrik geladen waren, in Erkner veranstaltet. Es war also vor allem die Bühne für Kritiker und Gegner des Vorhabens, die sich diese Gelegenheit nicht entgehen ließen.
In seinem Schlusswort dankte Verhandlungsführer Andre Zschiegner vom Landesumweltamt den Einwendern, die mit ihren Hinweisen der Behörde helfen würden, die Genehmigungsentscheidung auf eine "breitere Fakten- und Datengrundlage" zu stellen.
"Sie haben uns jede Menge Hausaufgaben mitgegeben"
Er betonte erneut, dass der Ausgang offen sei, "es kann in die eine oder die andere Richtung gehen". Es nötige ihm "allergrößten Respekt" ab, auf welch hohem fachlichen Niveau alles abgelaufen sei, wie lange die Einwender ausgeharrt hätten, so Zschiegner. "Sie haben uns jede Menge Hausaufgaben mitgegeben."
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Nun werde alles protokolliert und gewichtet, mit jedem Hinweis müsse und werde die Behörde sich auseinandersetzen. Zschiegner schloss nicht aus, dass das Auswirkungen auf die Zeitschiene des Genehmigungsverfahrens haben kann. "Es ist alles vernünftig zu prüfen, abzuwägen, um eine möglichst rechtssichere Entscheidung zu treffen", sagte Zschiergner. "Dafür nehmen wir uns die Zeit, die wir brauchen."
Kippt der Zeitplan von Tesla noch?
In den acht Tagen war es in der Stadthalle von Erkner hart zur Sache gegangen, mit teils heftiger Kritik an den Plänen von Tesla, die auf offener Bühne - ob zu Wasser, Emissionen, Verfahren - auf den Prüfstand kamen.
Am letzten Tag gingen die Umweltverbände mit einem Vorstoß an die Öffentlichkeit, der den Zeitplan von Tesla kippen könnte, im Sommer 2021 in Grünheide die ersten Autos vom Band rollen zu lassen: Die Brandenburger Naturschutz- und Umweltverbände - Naturschutzbund, Grüne Liga, Verkehrsclub Deutschland sowie die Bürgerinitiative Grünheide - haben eine erneute Auslegung der Planungsunterlagen für die neue Gigafactory des US-Elektroautobauers beantragt. Auch das werde zu prüfen sein, sagte Zschiegner.
Verbände sehen Auswirkungen auf Wasserhaushalt
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am Freitag vor Ort kritisierten Vertreter der Umwelt-Organisationen das Eilverfahren und auch die konkreten Planungen für die Fabrik, warnten vor negativen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt der Region und nahe Landschafts- und Naturschutzgebiete wie das Löcknitztal.
"Es zeigt sich an verschiedenen Stellen, dass die vollmundigen Versprechungen, mit denen Tesla auch beim Umweltschutz auftritt, nicht eingehalten werden", sagte der auf Umweltrecht spezialisierte Rechtsanwalt Thorsten Deppner, der das Landesbüro der anerkannten Naturschutzverbände berät.
Tatsächlich wirbt Tesla damit, in Grünheide die "fortschrittlichste Fabrik der Welt" zu bauen. Als Beispiel nannte Deppner die von Tesla in der Gigafactory angekündigte "Lackiererei der nächsten Generation". Deppner behauptete, dass Tesla es den Unterlagen nach bisher nicht einmal schaffe, in der Lackiererei den "derzeitigen Stand der Technik" einzuhalten. Die betreffe den Wasserverbrauch und die Emission von Lösungsmitteln. Die Lackiererei verbrauche Wasser in einem Maße, so Deppner, "wie es der Durchschnitt der europäischen Autohersteller längst nicht mehr braucht".
Die Tesla-Bank hingegen hatte in der Anhörung zurückgewiesen, dass man mit dem Wasserbrauch der Lackiererei Schlusslicht sei. Die Werte lägen im Mittelfeld, im oberen Drittel, und man arbeite kontinuierlich an weiteren Verbesserungen, hieß es.
Auch die Berliner Wasserbetriebe haben indes Bedenken, dass verunreinigte Abwässer der Gigafabrik Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung der Bundeshauptstadt haben könnten, wie bei der Anhörung bekannt wurde. Sie fordern ein Reinheitsgebot für die Fabrik.
Umweltverbände: Unterlagen teils unvollständig und veraltet
Eine aus ihrer Sicht nötige Neuauslegung der Planungsunterlagen begründen die Verbände damit, dass die gesamte Öffentlichkeits- und Verbändebeteiligung - und damit auch die Anhörung - auf Grundlage von teils unvollständigen und teils überholten Unterlagen erfolge.
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"Wir haben es mit einem übereilten Zulassungsverfahren zu tun", sagte Deppner. Beschleunigung werde über alles gestellt. Das Ausmaß von Änderungen der Planungen im laufenden Verfahren sei ungewöhnlich, so der Rechtsanwalt. Zugleich sei die Genehmigungsbehörde ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen, den Umweltverbänden rechtzeitig alle erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen. "Transparenz geht anders."
Bürgerinitiative über Gigafactory: Charakter einer Chemiefabrik
Es sei der "falsche Standort", warnte Nadine Rothmaier, Kreischefin des Naturschutzbundes. Die Grüne Liga sieht sich nach dem bisherigen Verlauf der Anhörung nachträglich darin bestätigt, Anfang des Jahres - vergeblich - gegen die Rodung von 90 Hektar Wald geklagt zu haben. "Es ging uns schon damals um das Verfahren", sagte Geschäftsführer Michael Ganschow und forderte erneut ein Raumordnungsverfahren, da die Auswirkungen der Gigafactory auf die gesamte Region gravierend seien.
Und Steffen Schorcht von der Bürgerinitiative Grünheide sagte, die geplante Gigafactory habe den Charakter einer Chemiefabrik: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in einem westdeutschen Bundesland möglich wäre, eine solche Fabrik in einem Trinkwasserschutzgebiet zu bauen." Wenn Audi es schaffe, in Mexiko eine Autofabrik mit einem geschlossenen Wasserkreislauf zu bauen, "dann sollte das auch für Tesla in Grünheide möglich sein". Laut Schorcht stehe man inzwischen bundesweit mit Bürgerinitiativen in Kontakt, etwa der gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21.
Behauptung: Zauneidechsen und Schlingnattern getötet
In der Anhörung war seit Donnerstag vor allem über Auswirkungen der Fabrik auf Natur, Umwelt und Klimaschutz debattiert worden, was neben der Wasserproblematik den größten Zündstoff birgt. Prompt ging es wieder hoch her, auch mit Vorwürfen und Anschuldigungen gegen Tesla und die beteiligten Brandenburger Behörden.
So erhoben örtliche Naturschützer und Anwohner den Vorwurf, dass bei der Rodung der 90 Hektar großen Kiefernwaldfläche Anfang des Jahres Zauneidechsen und Schlingnattern - streng geschützte Tierarten - nicht umgesetzt, sondern durch Fahrzeuge getötet worden seien. Beweise dafür gibt es bisher nicht.
Das von Tesla beauftragte Büro, das Flora und Fauna des Areals untersucht und die ökologischen Begleitmaßnahmen vorgenommen hatte, hatte auf dem Areal nur eine Zauneidechse gefunden und umgesetzt. Laut Landesumweltamt und Tesla ist das korrekt gelaufen. Tesla-Projektmanager Alexander Riederer versicherte, dass auch vor den nächsten geplanten Rodungen "eine fachgerechte Umsiedlung" dieser Tierarten "erfolgen muss" und "erfolgen wird".
Sängerin Julia Neigel griff Tesla frontal an
Für Tesla ordnet sich die in Grünheide geplante weltweit vierte Gigafactory in die "Mission" des Unternehmens ein, die Energie- und Verkehrswende zu beschleunigen.
Damit hatte Projektmanager Riederer während der Anhörung auch den Zeitdruck bei der Errichtung erklärt. Als es am Freitag fast am Ende der Anhörung um den "Klimaschutz" ging, kritisierte Anwalt Deppner, dass Tesla bislang keine Daten vorgelegt hat, "wie viele Treibhausgase in dieser Anlage erzeugt werden".
Die Sängerin Julia Neigel, die mehrere Anwohner aus Grünheide vertritt und den bayerischen Umweltverein VLAB unterstützt, griff Tesla erneut frontal an: "Wenn Sie klimabewusst wären, hätten Sie den Standort nicht ausgewählt!" Es dürfe kein Industriegebiet werden.