Demonstration gegen Wohnungsnot: Tausende gegen Verdrängung und explodierende Mieten
Mehr als 10.000 Menschen protestierten am Sonnabend für bezahlbare Mieten und gegen Gentrifizierung. Das Thema bewegt ganz unterschiedliche Leute.
Gisela Mochalski ist 81 Jahre alt und steht im strömenden Regen am Potsdamer Platz. Eigentlich sei das nicht mehr ihre Sache, sagt sie, demonstrieren, die Lautstärke, der Menschenauflauf und dann auch noch dieses Wetter. „Aber jetzt wollen’se mich raushaben.“ 83 Jahre alt sei der Mietvertrag ihrer Wohnung in Zehlendorf, „mein Elternhaus, dort bin ich geboren und aufgewachsen“. Jetzt blühe der Schimmelpilz, sie habe nasse Wände im Wohnzimmer, „man kann sich nicht vorstellen, in welchen Verhältnissen ich lebe“, sagt Mochalski. „Und der Eigentümer tut nichts. Der will mich loswerden, deshalb setzt er die Wohnung nicht instand.“ Mehrmals habe ihr Vermieter, der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen, ihr eine „Umsetzung“ angeboten, ein Umzug in ein anderes Haus der Eigentümergesellschaft. Mochalski lehnte ab. „Ich habe da mein ganzes Leben verbracht. Das lasse ich nicht mit mir machen.“
So wie Mochalski geht es vielen, die an diesem Sonnabend zum Potsdamer Platz gekommen sind, um an der Demonstration „Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“ teilzunehmen. Ein breites Bündnis aus mehr als 240 Initiativen hatte zum Protest aufgerufen – Künstler, Gewerkschaften, Verbände, Berliner. Sie demonstrieren gegen steigende Mieten in der Stadt, gegen Immobilien als Spekulationsobjekte, für ein schärferes Mietrecht.
Gemeinsamer Nenner: "So geht es nicht weiter"
Zur Anfangskundgebung um 13.45 Uhr sind es nicht mehr als 2000 Teilnehmer, bei angekündigten 4000. Um 15.30 Uhr reicht der Demonstrationszug dann aber vom Checkpoint Charlie über Schützenstraße und Leipziger Straße bis zum Potsdamer Platz. Die Polizei spricht von mehr als 10 000 Teilnehmern. Es wird klar: Das Thema beschäftigt viele Berliner.
„Wir brauchen bezahlbare Räume in der Stadt“, sagt Sonja Hornung, die ein Plakat mit der Aufschrift „Ganz Berlin Milieuschutzgebiet“ hochhält. „Wir hoffen, dass unser Protest der Politik Druck macht, endlich Reformen durchzusetzen.“ Hornung hat den Protest für den Berufsverband Bildender Künstler in Berlin organisiert. Viele seien ihrem Aufruf gefolgt, sagt sie. „Es ist das erste Mal, dass wir als Künstler in so großer Zahl hier zusammenkommen, um gemeinsam gegen die horrend steigenden Mieten zu protestieren. So geht es nicht weiter.“
Dass es so nicht weitergehen soll, da sind sich die Teilnehmer der Demonstration einig – so unterschiedlich sie auch sind: Familien mit Kindern sind gekommen, Jugendliche, ältere Menschen. Sie skandieren: „Keine Profite mit der Miete“ und haben bunte Schilder beschriftet. „Spieglein, Spieglein an der Wand – wer ist der Nächste am Straßenrand“, steht da drauf und „Mieten runter, Stadt bleibt bunter.“ Die Stimmung ist friedlich, Teilnehmer tanzen zu Sambatrommeln und Musik von Lautsprecherwagen, viele haben Trillerpfeifen dabei.
Parteien und Politiker sind unerwünscht
Die Polizei fährt weit voraus, sperrt die Straßen ab, zeigt sich kaum am Demonstrationszug. „Es sind ein paar Linksextreme dabei“, sagt Steffen Dopichay, der den Einsatz für die Polizei leitet. „Aber wir gehen davon aus, dass es friedlich bleibt. Das hier ist bürgerlicher Protest.“
So sieht es auch Steffen Doebert, der mit seinen Nachbarn zur Demonstration gekommen ist und mit einem Plakat gegen „Miethaie“ demonstriert: „Die Mieten haben sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren verdoppelt und verdreifacht“, sagt er. „Die Löhne wachsen aber nicht mit, das ist alles aus dem Gleichgewicht geraten.“ Wer weniger verdiene, werde immer stärker aus den Innenstädten und Kiezen verdrängt. „Das ist doch einfach nicht mehr fair“, sagt er.
Michael Müller äußert Unterstützung
Parteien und Politiker, so hatten es die Veranstalter im Vorfeld ausdrücklich erklärt, sind bei dem Protest nicht erwünscht – es sei denn, als Privatpersonen. Der Regierende Bürgermeister, Michael Müller (SPD), äußerte sich in einer Mitteilung unterstützend: „Danke an die vielen Initiativen, die mit der großen Mietendemonstration am Samstag ein Zeichen der Zivilgesellschaft für bezahlbares Wohnen und gegen Verdrängung setzen.“ Berlin habe alle vorhandenen gesetzlichen Mittel ausgeschöpft, der Bund müsse jetzt liefern. „Herr Seehofer, machen Sie Ihren Job und setzen Sie die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zügig um“, forderte Müller.
Doch hat Berlin, hat der rot-rot-grüne Senat tatsächlich schon genug getan, damit die Mieten bezahlbar bleiben? Das sehen die Bürger, die am Sonnabend auf die Straße gegangen sind, vermutlich nicht so. „Es muss sich etwas ändern, und zwar bald“, sagt Gisela Mochalski.