Ausstellung "Zimmerfreiheit" in Berlin-Schöneberg: Tagsüber Galerie, nachts Hotelzimmer
Kunst und Sex: Das ist die Potsdamer Straße. Eine Ausstellung bringt beide Welten zusammen.
Wenn man aus der grauen Potsdamer Straße hinein in den Projektraum Zwitschermaschine tritt, explodiert rundherum die Farbe. Die Wände, die Decke und sogar der Fußboden sind in Gelb, Blau, Rot und Pink getaucht. Mittendrin: ein Bettgestell mit weißen Bezügen. „Ich möchte mit den Besuchern auf eine neue Art und Weise kommunizieren“, sagt die kolumbianische Künstlerin Carolina Amaya, die den Raum gestaltet hat. Die Farben sollen nicht nur ihre eigenen Emotionen widerspiegeln, sondern bei den Betrachtern auch ähnliche auslösen.
Man betritt das Kunstwerk
Dafür wählte das Team rund um Amaya und die beiden Kuratoren Denis Leo Hegic und Michelle Houston einen außergewöhnlichen Ansatz: „Wir wollten die Idee der Installation weiterdenken“, sagt Hegic. Man betritt nun nicht nur eine Galerie mit Bildern an den Wänden, man betritt im wörtlichen Sinne das Kunstwerk. Und auch das ging den Künstlern, die unter anderem an dem Urban-Art-Projekt „Wandelism“ mitwirkten, nicht weit genug. „Wir haben uns gedacht: Warum nicht einfach im Kunstwerk schlafen? Oder vielleicht sogar ein Kind in dem Kunstwerk zeugen?“
Die Idee ist so simpel wie radikal: Der Raum, der tagsüber als Kunstgalerie dient, verwandelt sich ab 8 Uhr abends in ein Hotelzimmer. Interessierte können den Raum buchen und die Nacht in dem Kunstwerk verbringen.
Dabei sind das Konzept und auch die Potsdamer Straße nicht zufällig gewählt. „Wenn ein Street Artist in eine Galerie geht, nimmt er immer auch ein Stück Straße mit“, sagt Hegic. Urbane Kunst brauche stets einen lokalen Bezug, eine Verbindung zu ihrer Umgebung. Auf der Potsdamer Straße sind es vor allem zwei Welten, die parallel und fast unabhängig voneinander existieren.
Während tagsüber Kunstaffine die vielen Galerien besuchen, verwandelt sich der Kiez um die angrenzende Kurfürstenstraße spätestens in den Abendstunden in einen der größten Straßenstriche Europas. Vor den Schaufenstern der Kunstmeile verkaufen Frauen etwas Ähnliches wie die Galerien: Träume, Emotionen, Obsessionen, aber auch Ängste.
Zwei Parallelwelten
„Wir wollten diese beiden Welten zusammenbringen“, sagt Hegic. So, wie der Kiez abends seine Realität verändere, verändere auch die Kunstinstallation ihre Funktion. Das Hotelzimmer hat hier eine verbindende Funktion: Sowohl im Leben von Künstlerinnen wie Amaya, die als Nomadin international arbeitet, als auch in dem der Prostituierten spielt es eine Rolle.
Gleichzeitig versteht sich das Kunstprojekt als Kritik an der Kunstszene. „Es gibt hier unzählige Künstler und Besucher, die beispielsweise die Debatte um #MeToo und sexuelle Belästigungen sehr intensiv führen, aber das Schicksal der Prostituierten direkt vor ihrer Tür komplett ausblenden“, sagt Houston. Wobei diese Falschheit der Kunstszene auch „eine gewisse Sexyness“ habe, ergänzt Hegic.
Die Künstlerin Amaya versteht ihr Werk als eine Art Post-Pornografie: „Ich entblöße meine Gefühle und schieße sie als Farben in die Welt – und die Menschen müssen sehen, wie sie damit umgehen“, sagt sie. Die Besucher betrachten nicht nur die Gefühlswelt der Künstlerin, sondern betreten sie körperlich – und übernachten vielleicht sogar in ihr.
Die Installation steht so einerseits für ein Stundenhotel, andererseits für die Unbarmherzigkeit des Kunstmarktes – und all jene Emotionen, die diese beiden Welten verbinden. Madlen Haarbach
Installation „Zimmerfreiheit“, 12. Juli bis 4. August, Projektraum Zwitschermaschine, Potsdamer Straße 161. Infos, auch zur Buchung, unter www.zwitschermaschine-berlin.de oder per Mail an contact@berlinartsociety.com.