Keine Corona-Pause für sexuell übertragbare Krankheiten: Syphilis-Infektionen in Berlin angestiegen
Die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie haben auch das Sexualverhalten vieler Menschen verändert – mit Folgen für Infektionen mit Geschlechtskrankheiten.
Heute ein schnelles Date und morgen vielleicht eine nette Bekanntschaft in einem Club: Was vor Corona für manche Menschen selbstverständlich war, ging seit Mitte März plötzlich nicht mehr ohne Weiteres. Die Corona-Pandemie hat mit ihren Einschränkungen für einige Monate auch das Beziehungs- und Sexualverhalten verändert. Das wiederum hat sich aus Expertensicht vermutlich auch auf sexuell übertragbare Infektionen ausgewirkt.
„Ich glaube, dass die sexuell übertragbaren Infektionen in der Zeit geringer waren, wahrscheinlich haben sich zu Beginn fast alle Menschen an die Regeln des Social Distancing gehalten“, sagt Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit, anlässlich des Welttages Sexuelle Gesundheit am 4. September.
Allerdings seien die Infektionszahlen insgesamt betrachtet wahrscheinlich nicht wesentlich geringer als im Vorjahr. „Die Menschen, die sexuell sehr aktiv waren und es auch wieder sind, haben seit den Lockerungen auch wieder sexuell übertragbare Infektionen akquiriert“, sagt Brockmeyer. Etwa nach Ostern, als erste Lockerungen in Kraft traten, seien auch wieder verstärkt Infektionen aufgetreten.
Verschiedene sexuell übertragbare Krankheiten (STI) wie Gonorrhö (Tripper), Chlamydien- und HPV-Infektionen sind in Deutschland nicht meldepflichtig. Deshalb lägen dazu auch keine Daten vor, sagt eine Sprecherin des Berliner Robert Koch-Instituts (RKI).
Zahlen sammelt das RKI aber unter anderem zu Syphilis-Infektionen. Hier gab es von Januar bis Juli bundesweit einen Rückgang im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von rund 3400 auf rund 3200 Infektionen. In einigen Bundesländern stieg die Zahl dieser Infektionen in dem Zeitraum allerdings, etwa in Berlin von 651 auf 690.
Bundesweit gingen die Syphilis-Zahlen zurück, doch in einigen Bundesländern stiegen sie
Nach Beobachtungen des Berliner Arztes Sven Schellberg könnte das am veränderten Sexualverhalten liegen: „Während der Corona-Zeit hat die Zahl der Erkrankungen zugenommen, für die man etwas längere Kontakte braucht“, sagt Schellberg. „Die Leute treffen sich nicht mehr zu Quickies, sondern eher im kleinen Kreis von fünf bis zehn Personen und verbringen mehrere Stunden zusammen.“ Längere Sexualkontakte begünstigten die Übertragung der Syphilis, erläutert der Mediziner.
In seiner Praxis, die auf sexuelle Gesundheit spezialisiert ist, habe er einen Syphilis-Anstieg um etwa 30 Prozent beobachtet. Sexuelle Erkrankungen seien in der Corona-Zeit insgesamt nicht deutlich weniger geworden. „Was wir sehen, ist eine qualitative Veränderung“, sagt Schellberg. „Normalerweise sind Infektionen häufig, die man sich bei der schnellen Nummer holt wie etwa Chlamydien oder Gonokokken.“ Für deren Übertragung reiche schon ein kurzer Oralverkehr.
Rückläufige HIV-Zahlen mit Vorsicht zu betrachten
Rückläufig sind laut RKI die HIV-Zahlen. Doch die sind mit Vorsicht zu betrachten: Zwischen einer Infektion und der Diagnose könne sehr viel Zeit vergehen, erläutert die RKI-Sprecherin. Derzeit untersuchten Wissenschaftler des RKI genauer, wie sich die Corona-Zeit auf verschiedene Infektionskrankheiten ausgewirkt hat.
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Der Welttag Sexuelle Gesundheit soll für das Thema sensibilisieren, das sexuell aktive Menschen betrifft. Die Weltweite Vereinigung für Sexuelle Gesundheit (World Association for Sexual Health, WAS) hat den Tag erstmals 2010 ausgerufen. Im aktuellen Jahr richtet sich der Fokus auf sexuelle Gesundheit in der Corona-Pandemie.
„Vor allem Single-Frauen sind insgesamt vorsichtiger geworden“, sagt die Erfahrung der Frankfurter Ärztin und Referentin beim Bundesverband von Pro Familia, Daniela Wunderlich, mit Blick auf sexuelle Kontakte.
Glaubt man Dating-Plattformen wie Tinder, sank das generelle Interesse an Partnersuche allerdings nicht. Im April berichtete Tinder beispielsweise im Vergleich zum Beginn des sogenannten Lockdowns von einem Nachrichtenzuwachs um 62 Prozent. (dpa)
Anja Sokolow