Crystal Meth: Synthetische Drogen breiten sich in Berlin weiter aus
Die Drogenproblematik bleibt aktuell in der Hauptstadt. Oft werden die Rauschgifte aus legalen Stoffen wie Badesalz hergestellt. Verkauft werden sie dann über das Internet - oder in der U-Bahn. Ein Report.
Sie sind oft als Badesalz, Lufterfrischer oder Duftpulver getarnt – doch es handelt sich um Modedrogen: Diese „Legal Highs“ verbreiten sich nach Tagesspiegel-Informationen derzeit auch in Berlin. Denn die Vertreiber lassen sich immer wieder Neues einfallen, um mit Rauschmitteln Geld zu machen. Die künstlich hergestellten Drogen ahmen die Wirkung von Cannabis nach. Verkauft werden sie fast ausschließlich über das Internet.
Das Problem: Sie sind nicht einmal illegal. Die Drogenköche bedienen sich eines Tricks: Sie ändern immer wieder die Molekularstruktur leicht, so dass die Substanzen dann nicht unter das Betäubungsmittelgesetz (BTMG) fallen und das Verbot nicht mehr greift. „Die kriminellen Drogenköche sind dem Gesetzgeber meist einen Schritt voraus“, berichtet ein Ermittler. Ein bis zwei Jahre dauere es häufig, bis die Stoffe dem BTM-Gesetz unterstellt sind. „Da haben sich die Täter längst auf andere Mittel konzentriert“, sagt der Fahnder. Im kürzlich vorgestellten Europäischen Drogenbericht sind im Jahr 2012 in den EU-Ländern 73 bis dahin unbekannte künstlich hergestellte Substanzen entdeckt worden. Das sei die höchste Zahl von neu gemeldeten Drogen, hieß es in dem Bericht.
Ohnehin breiten sich die synthetischen Drogen wie Crystal Meth auch in Deutschland besorgniserregend aus. Auch im Drogenbericht der Bundesregierung, der am Mittwoch vorgestellt wurde, heißt es, dass insbesondere Sachsen und Bayern ein Problem mit diesen extrem süchtig machenden synthetischen Methaphetaminen haben.
In Berlin mag der stellvertretende Leiter des Rauschgiftdezernates beim Landeskriminalamt, Michael Kallin, nicht von einer „Crystal-Meth-Flut“ für die Hauptstadt sprechen. Und das, obwohl die Zahl der Ermittlungsverfahren beim LKA von elf im Jahr 2010 auf gleich 24 im vergangenen Jahr gestiegen ist. Diese Steigerung habe mit einem „Großverfahren“ zu tun: Anfang 2013 war den Fahndern ein vietnamesischstämmiger Händler in die Fänge geraten und eine erhebliche Menge Crystal konnte von den Beamten bei einer Durchsuchung sichergestellt werden.
Die extrem süchtig machende Droge, die einen schnellen körperlichen Verfall zur Folge hat, wird nach Polizeierkenntnissen vor allem in Laboren in Tschechien, aber auch in den Niederlanden hergestellt. Ein Rauschgiftermittler berichtet dem Tagesspiegel, dass sehr wohl eine Crystal-Meth-Welle „auf Berlin zurollt“, auch wenn die Behörde nicht davon sprechen will. Vize-Dezernatsleiter Kallin sagt dazu: „Wir haben die Lage im Blick.“
Das bedeutet, dass die Ermittler bei der Bekämpfung des internationalen Rauschgifthandels auch weit über die europäischen Grenzen hinaus schauen müssen. Drogenfahnder fürchten, dass die Ausbreitung von Crystal erst der Anfang ist: Erst kürzlich wurden vom Hamburger Zoll 30 Tonnen einer Substanz namens Apaan – in Waschmittelcontainern getarnt – sichergestellt. Laut einem Fahnder handelt es sich dabei um einen Stoff, der wiederum zur Herstellung einer ebenfalls verbotenen Substanz, des sogenannten BMK, benötigt wird. Aus dieser produzieren die Drogenköche Crystal. Laut dem Ermittler kommt Apaan, das in der chemischen Industrie lediglich in Kleinstmengen zu Forschungszwecken benutzt wird, aus China. Apaan selbst ist in Deutschland nicht verboten. Die kürzlich entdeckten Container waren laut Frachtpapieren für Tschechien bestimmt. Dort befinden sich laut Polizei meist die Drogenküchen zur Herstellung von Crystal.
Heroin wird vor allem in der U7 und U8 verkauft
Unter thailändischen Prostituierten ist vor allem der Mischkonsum von Crystal mit den Amphetamintabletten „Yabaa“ beliebt. Die kleinen „Thai-Pillen“ sind vor einigen Jahren vor allem in der thailändischen Hauptstadt Bangkok populär geworden und machen ebenfalls extrem abhängig. Die Prostituierten ließen sich laut dem Ermittler die Pillen, die pro Stück etwa 25 Euro kosten, per illegalem Taxikurierdienst in die Bordelle oder Spielhallen fahren – plus 10 Euro Aufschlag für die Botenfahrt.
Grundsätzlich sei in Berlin jede Droge zu bekommen, schildert Kallin. Während der Konsum der als Partydroge bekannten Ecstasypillen eher zurückgegangen sei, sind weiterhin Cannabis, Heroin, Kokain und eben synthetische Drogen hier am meisten verbreitet.
Das Heroin wird in sogenannten Szenekügelchen vornehmlich in der U-Bahn auf der Strecke der U7 und U8 vertickt. Die Konsumenten: alte und junge Junkies. Die Händler: laut Ermittlern meist junge Männer zwischen 16 und 23 Jahren libanesischer Herkunft. Das Kügelchen, etwa 0,3 Gramm, wird für rund zehn Euro verkauft. Kallin hat ausgerechnet, dass mit Heroin in Berlin ein Umsatz von 110 Millionen Euro im Jahr gemacht wird – wenn man zugrundelegt, dass es rund 10 000 schwerst opiatabhängige Menschen gibt, die etwa dreimal am Tag einen Schuss brauchen.
Die Klientel, die Koks konsumiert, sei erfahrungsgemäß eine ganz andere. Mit rund 20 Euro pro Verkaufseinheit sei das weiße Pulver viel teurer als andere harte Drogen. „Vom Heroinkäufer gibt’s für uns manchmal eine Aussage. Vom Kokainkäufer gibt’s einen Brief vom Anwalt“, beschreibt Kallin den Unterschied.
Immerhin ist die Zahl der Drogentoten in Berlin in den vergangenen drei Jahren von 155 im Jahr 2009 auf 113 im vorigen Jahr zurückgegangen. Die Gründe kann der Kriminaloberrat auch nur vermuten – ähnlich, wie die Verantwortlichen in der Senatsverwaltung für Gesundheit meinen, hätten der Ausbau der Kontaktstellen, Streetworkarbeit und Drogenkonsumräume geholfen, Todesfälle zu verhindern. Der Kriminaloberrat betont: „Die Zahl der Süchtigen bestimmt eben den Markt.“