Suchtbericht der Bundesregierung: Drogenkonsum in Deutschland: Je älter, desto süchtiger
Die Drogenbeauftragte der Regierung legt den aktuellen Suchtbericht vor und lobt sich, weil Jugendliche weniger rauchen und saufen. Die Opposition aber ist nicht zufrieden.
Mit Eigenlob sparte die Drogenbeauftragte nicht. Ob Tabak, Alkohol oder Cannabis: Überall sei der Konsum durch Jugendliche in den vergangenen Jahren merklich zurückgegangen, sagte Mechthild Dyckmans bei der Vorlage des letzten Drogen- und Suchtberichts dieser Legislaturperiode. Bei den 12- bis 17-Jährigen sank der regelmäßige Alkoholkonsum zwischen 2001 und 2011 von 17,9 auf 14,2 Prozent. Die Zahl jugendlicher Raucher hat sich in diesem Zeitraum mehr als halbiert, sie verringerte sich von 27,5 auf 11,7 Prozent. Und auch der Cannabiskonsum in dieser Altersgruppe ging von 9,2 auf 4,6 Prozent zurück.
Das alles zeige, befand die FDP-Politikerin, „dass wir mit unserer Drogen- und Suchtpolitik den richtigen Weg eingeschlagen haben“. Allerdings lassen sich in ihrem Bericht auch weniger schöne Zahlen finden. Vor allem beim Alkohol. Fast 42 Prozent der jungen Erwachsenen gaben 2011 an, sich in den vergangenen 30 Tagen mit mindestens fünf Gläsern hintereinander systematisch betrunken zu haben. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen von Kindern und Jugendlichen wegen Alkoholvergiftung ist im Vergleich zu 2010 nochmals um 1,4 Prozent gestiegen – insgesamt waren es 26 349. Bei den 15- bis 20-jährigen Männern hat sich die Zahl der Vergiftungen in den vergangenen zwölf Jahren mehr als verdreifacht. Die Zahl alkoholvergifteter Mädchen kletterte über die Zehntausendermarke. Und zu riskantem Konsum bekannten sich unter jungen Erwachsenen 44,6 Prozent der Männer und 32,4 Prozent der Frauen.
Die empfohlene Trinkmenge werde in Deutschland von 9,5 Millionen Menschen überschritten, heißt es in dem Bericht. 1,3 Millionen seien alkoholabhängig. 74 000 kämen pro Jahr durch diese Sucht zu Tode. Und die volkswirtschaftlichen Schäden durch Alkoholmissbrauch beliefen sich auf 26,7 Milliarden Euro – davon allein 7,4 Milliarden direkt fürs Gesundheitssystem. Auf die höchste Zahl von Klinikeinweisungen aufgrund von Alkoholvergiftungen kommt das Saarland, gefolgt von Bayern und Rheinland-Pfalz.
Auch beim Tabakkonsum von Erwachsenen hat sich wenig getan. Nach neuen Studien rauchen knapp 30 Prozent der 18- bis 79-Jährigen. Bei den Männern sind es 32,6 Prozent, bei den Frauen 27 Prozent. Und nach Angaben der Regierungsbeauftragten sterben inzwischen auch immer mehr Frauen an den Folgen des Rauchens. Im Jahr 2011 etwa lag die Zahl der weiblichen Todesopfer um 186 Prozent höher als noch vor 30 Jahren. Bei den Männern stieg die Quote um elf Prozent.
Unter Jugendlichen gibt es beim Rauchverhalten kaum noch Geschlechtsunterschiede. Allerdings ist der Tabakkonsum stärker denn je abhängig von Bildung und sozialem Status. So ist das Rauchen unter Hauptschülern mit 17,8 Prozent drei- bis viermal so verbreitet wie unter Gymnasiasten gleichen Alters. Bei Studierenden beträgt die Raucherquote 27,9 Prozent. Von den Arbeitslosen zwischen 18 und 25 rauchen dagegen 62,8 Prozent.
Nicht gesunken ist in den vergangenen vier Jahren auch die Zahl der Glücksspielabhängigen. Sie liegt nach wie vor bei 264 000. Hinzu kämen 274 000 mit problematischem Spielverhalten. Und als internetabhängig gelten 560 000 Menschen – fast die Hälfte davon ist im Alter zwischen 14 und 24. Bei 2,5 Millionen Bürgern, so heißt es in einer Studie der Universitäten Greifswald und Lübeck, sei die Internetnutzung problematisch. Im Sommer werde es genauere Zahlen geben, versprach Dyckmans. Schließlich genüge es nicht, nur die am Computer verbrachte Zeit zu erfragen. Es gehe darum, wie stark die Nutzer ihr reales Leben vernachlässigten. Internationale Studien stufen bis zu 8,2 Prozent aller Internetnutzer als abhängig ein.
Aus der Opposition hagelte es Kritik. Harald Terpe (Grüne) sprach von „vier verschenkten Jahren“. Deutschland sei „so weit von einer modernen Drogenpolitik entfernt wie lange nicht mehr“. Das zur nationalen Strategie erklärte sei „im Wesentlichen eine Ansammlung bereits vorhandener Maßnahmen“, eine Evaluation habe nie stattgefunden. Dafür sei Schwarz-Gelb „immer dann zur Stelle, wenn die Absatzinteressen der Industrie geschützt werden sollen“. Frank Tempel (Linke) nannte Dyckmans eine „Stillstandsbeauftragte“. Sie verlasse sich auf die Selbstverpflichtung der Alkoholindustrie zur Werbebeschränkung und erlaube weiter Tabakwerbung. Zudem verhindere das FDP-geführte Wirtschaftsministerium strengere Glücksspielregeln.
Auch Krebshilfe und Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderten ein umfassendes Tabakwerbeverbot. Mit Bulgarien sei Deutschland das einzige EU-Land, in dem noch mit Plakaten für Zigaretten geworben werden dürfe, sagte Martina Pötschke-Langer vom Krebsforschungszentrum Heidelberg. WHO-Direktor Douglas Bettcher nannte die Tabakindustrie „ein ständig mutierendes Virus“. Wenn man nur einige Werbeformen verbiete, suche sie sich sofort neue Kanäle. Inzwischen nutze sie zunehmend soziale Netzwerke, um Jugendliche zum Rauchen zu verleiten.
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