"DW enteignen"-Aktivisten schicken Rechtsanwälte: Streit um mögliche Vergesellschaftung von Wohngenossenschaften eskaliert
Genossenschaften bieten günstige Wohnungen. Droht ihnen trotzdem die "Vergesellschaftung"? Ja, meint CDU-Politiker Czaja - und soll das unterlassen.
Die Fronten sind verhärtet, jetzt sprechen die Rechtsanwälte. Ausgerechnet Vertreter der Volksinitiative „DW & Co enteignen“, die eigentlich für Debatten von allen mit allen steht, hat eine „Unterlassungserklärung“ verschicken lassen, damit unliebsame Behauptungen nicht wiederholt werden: dass ihre angestrebte „Vergesellschaftung“ aller Firmen mit mehr als 3000 Wohnungen auch die Berliner Genossenschaften einschließen.
Soll so eine Debatte erstickt werden, die eine gut gestartete Kampagne zur Sammlung von 175.000 Unterschriften ausbremsen könnte – oder erwehrt man sich hier haltloser „Lügen“?
Der frühere Senator für Gesundheit und Soziales sowie CDU-Mitglied Mario Czaja hat das vierseitige Schreiben erhalten. Unterlassen soll er eine ganze Reihe von Behauptungen, unter anderem, dass „alle Wohnungsunternehmen mit einer bestimmten Anzahl von Wohnungen zu enteignen“ das Ziel der Initiative sei. Denn daraus folgert Czaja, dass Genossenschaften ebenfalls darunter fallen.
Ausgerechnet eine Sonderform von Wohnungseigentum, die für günstige Mieten und vor Kündigung sicheren Mitgliedern steht. Die Initiative wirft Czaja vor, er behaupte die Aktivisten strebten „die Enteignung von Genossenschaften“ an – eine „falsche Tatsachenbehauptung“ sehen die Anwälte der Initiative darin. Czaja solle diese auch von seiner Webseite entfernen.
„Wenn der politische Gegner mit Gerichten statt mit Argumenten droht, ist das nicht förderlich“, sagte Czaja. Er werde das jedenfalls nicht unterzeichnen, sondern juristisch darauf reagieren. Er bleibe bei seiner Meinung. „Genossenschaften sind privatwirtschaftlich organisiert, deshalb kann ein Gesetz zur Enteignung von privaten Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen die Genossenschaften gar nicht wirksam ausschließen.“ Als Beleg dafür zieht er die unterschiedlichen Aussagen der Initiative selbst dazu heran: „Während in den ursprünglichen Texten die Genossenschaften noch ausdrücklich ausgenommen wurden, werden diese im Beschlusstext nicht mehr wörtlich benannt“.
Der Mitinitiator des Volksbegehrens Rouzbeh Taheri sagt: „Czaja zitiert die gekürzte Fassung unseres Beschlusstextes, zur Abstimmung steht aber die Langfassung.“ Darin stehe, dass Unternehmen der Gemeinwirtschaft von der Vergesellschaftung ausgenommen seien. Genossenschaften arbeiteten gemeinwirtschaftlich. Deshalb seien sie ausgenommen.
Dass sich die Initiative Mittel bedient, die sonst eher die Immobilien-Branche einsetzt, die die Aktivisten eigentlich bekämpfen, erklärt Taheri so: „Die CDU hat gegen den Mietendeckel geklagt und nennt sich Rechtsstaatspartei, da wollten wir ihr mit rechtsstaatlichen Mitteln einen auf den Deckel geben.“
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Wie aber sehen die Genossenschaften den Streit und teilen sie Czajas Auffassung? „Ja, ausdrücklich“, sagt Dirk Enzesberger, Vorstand der Charlottenburger Baugenossenschaft. Der eskalierte Streit habe die Vorstände der Genossenschaften an diesem Mittwoch auf ihrer „ständigen Konferenz“ mal wieder beschäftigt. „Und es teilen alle die Befürchtung, die Enteignung könnte auch uns betreffen.“
Der durchschnittliche Mietpreis der Berliner Genossenschaften beträgt rund 5,70 Euro pro Quadratmeter. Allein beim Wohnungsverband BBU seien 29 Genossenschaften gelistet mit mehr als 3000 Wohnungen, die unter das Gesetz fallen könnten. Von einer Vergesellschaftung wären nach Berechnungen des Wohnungsverbandes BBU rund 140 000 Wohneinheiten betroffen.
Genossenschaften sind nicht explizit ausgenommen von der Enteignung
Dass der Sprecher der Initiative dies ausschließt und dafür gute Gründe nennt, hält Enzesberger für unerheblich: „Ob die Initiative das meint oder nicht, ist zweitrangig.“ Das Abgeordnetenhaus müsse ja erst ein Gesetz formulieren. Und der Beschlusstext für Volksbegehren und Volksabstimmung lasse ja die Möglichkeit der Vergesellschaftung von Genossenschaften offen. Die Genossenschaften seien „nicht explizit ausgenommen“ von der Vergesellschaftung. „Beim Mietendeckel und beim Zweckentfremdungsverbot gab es auch das politische Versprechen quer durch alle Parteien, dass Genossenschaften ausgenommen werden sollten.“ Genutzt habe es nichts, es kam anders.
Enzesbergers Fazit: „Weil es das Gesetz zur Vergesellschaftung noch nicht gibt, kann man die Enteignung der Genossenschaften nicht ausschließen. Man kauft eine Wunderbox, womöglich mit einer bösen Überraschung.“
Rechtsanwalt meint, die Enteignung verstößt gegen die Verfassung
Rechtsanwalt Christian Schede, der bei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Genossenschaften vertreten hat, sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie man Genossenschaften ausnehmen soll, wenn man ein verfassungskonformes Gesetz machen will.“ Beim Gesetz zum Mietendeckel habe der Senat auch eine Sonderregelung für Genossenschaften diskutiert, diese dann aber verworfen, eben aus verfassungsrechtlichen Bedenken. „Das erwarte ich auch im Fall der Vergesellschaftung“, sagt Schede.
Das wichtigste Argument gegen eine Sonderregelung für Genossenschaften sei der „grundgesetzliche Grundsatz der Gleichbehandlung“. Viele Genossenschaften seien gemeinwohlorientiert, nicht „gemeinwirtschaftlich“. Schede rechnet nicht damit, dass die Vergesellschaftung verfassungsrechtlich bestehen könnte, falls das Volksbegehren erfolgreich sein sollte. „In der Berliner Landesverfassung fehlt es schon an einer Grundlage für ein solches Gesetz und auf der Ebene der Bundesverfassung dürfte es wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz scheitern.“
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