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Berlin streitet um mehr Transparenz - auch wegen des BER-Desasters.
© dapd

BER, Wasserverträge und Co.: Streit um mehr Transparenz in Berlin

BER und mehr: Während beim Flughafen Akteneinsicht vor allem verhindert wird, fordern Experten, Grüne und Piraten eine neue Ära der Transparenz. Regierungen sollen ungefragt informieren, auch über Vorgänge in bundes- und landeseigenen Firmen. Über das Für und Wider offener Bücher.

Erfolgsgeschichten können Höhen und Tiefen haben. Sie können einen dramatischen, mitunter katastrophalen Lauf nehmen. Am Ende zählt das Happy End. Von dem ist der Flughafen BER, der angeblich heute in exakt einem Jahr eröffnet werden soll, aber derzeit noch weit entfernt. Vielmehr prägen Verschiebungen, Baupfusch, Missmanagement und ein Versagen der Kontrollorgane das Bild. Die Behauptungen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD), der Flughafen sei schon jetzt eine Erfolgsgeschichte, sind deshalb, vorsichtig ausgedrückt, verfrüht. Nur wie lassen sich Verantwortlichkeiten klären? Wie gewinnt man Informationen über den genauen Ablauf der Dinge? Für solche Fragen gibt es das Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Es regelt den „Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen“. Und jeder einzelne Bürger kann davon Gebrauch machen. Regierungshandeln ist dabei, auch laut Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, explizit enthalten. Nur reicht es, um tatsächlich Einblick in staatliche Vorgänge von öffentlichem Interesse zu gewähren? Oder droht der Flughafen BER nicht nur ein Symbol des Scheiterns der politisch Verantwortlichen, der Geschäftsführung, der Bauherren zu werden, sondern auch ein Projekt, das die Grenzen des IFG aufzeigt?

Werfen wir aber erst einmal einen Blick in die Geschichte der Transparenzgesetzgebung: Die Schweden waren die ersten. Schon 1766 haben die Skandinavier ein Zugangsrecht zu öffentlichen Dokumenten gesetzlich verankert. Die finnischen Nachbarn brauchten bis 1951. Dann folgten die USA und weitere Länder. In Deutschland dauerte es bis 1998, ehe im ersten Bundesland, Brandenburg, ein Informationsfreiheitsgesetz in Kraft trat. Auch auf Bundesebene sollte schnell ein Gesetz folgen. SPD und Grüne schrieben es in ihre Koalitionsverträge, doch die erste rot-grüne Legislaturperiode verstrich ergebnislos, erst am Ende der zweiten klappte es dann – auf Druck der Fraktionen und gegen den Widerstand der Regierungsvertreter. Seit 2006 ist es nun in Kraft. Es regelt den Zugang zu staatlichen Informationen auf Bundesebene. Auf Landesebene gibt es neun eigene Landesgesetze. Darunter auch Berlin. In der Bundeshauptstadt ist das Gesetz seit 1999 in Kraft. Allerdings wurde es im Jahr 2011 ziemlich runderneuert, nachdem ein Volksentscheid über die Offenlegung der Wasserverträge Erfolg hatte.

Jetzt gibt es erneut eine Debatte über eine Reform. Wobei Reform wohl nicht der richtige Begriff ist. Denn Grüne und Piraten wollen das IFG Berlin durch ein deutlich umfassenderes Transparenzgesetz ersetzen. Dabei haben sie vor allem Hamburg im Blick. Dort ist seit Anfang Oktober ein Transparenzgesetz in Kraft, das als zentrales Element eine Umkehr der Veröffentlichungspraxis beinhaltet. Nicht mehr die Bürger müssen Anfragen stellen, um öffentliche Informationen zu erhalten, sondern Behörden und Verwaltungen sind von sich aus verpflichtet, Unterlagen, Dokumente, Verträge zu veröffentlichen. Diesen Weg wollen Grüne und Piraten auch in Berlin gehen.

Inhaltlich gibt es zwischen beiden Gesetzesentwürfen große Schnittmengen, nur politisch ist das schwieriger. Die beiden Oppositionsparteien stritten im Sommer erstmal, wer nun zuerst die Idee hatte, Hamburger Elemente in Berlin einführen. Die Piraten tragen jetzt aber in wesentlichen Zügen den von den Grünen ins Parlament eingebrachten Entwurf mit. „Es geht nicht darum, wer als Erster da war, sondern darum, etwas zu bewegen“, sagt der rechtspolitische Sprecher der Piratenfraktion, Simon Weiß. Grundidee der Neuregelung ist ebenfalls eine Umkehr der Veröffentlichungspraxis, „weg von der Nachfrage hin zur proaktiven Veröffentlichung“. Die würde dann, wie in Hamburg, alle Ressorts, Fach- und Themenbereiche betreffen. Doch ein Thema macht das Nachdenken über einen derart großen Schritt gerade jetzt so dringlich, wie auch Benedikt Lux, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, findet. „Der Flughafen zeigt deutlich, wie viel volkswirtschaftlicher Schaden verursacht wurde, auch weil Verantwortliche Informationen zurückhalten können, um sich selbst zu schützen. Das darf nicht sein.“

Die CDU ist bei einer IFG-Reform in Berlin derweil zurückhaltend und die SPD noch etwas unentschlossen. Wie so oft wird es wohl auf eine Konfrontation zwischen den Interessen der Legislativen, also der Parlamentarier, die tendenziell für mehr Einsichtrechte sind, und der Exekutiven, also den Regierungsvertretern, die skeptischer sind, hinauslaufen. „Die Veröffentlichungspflicht ist ein interessanter Punkt, aber wir sollten da keinen Schnellschuss hinlegen“, sagt der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Sven Kohlmeier. Er plädiert dafür, sich erstmal anzuschauen, wie das Modell in Hamburg anläuft und welche Erfahrungen man daraus ziehen kann. „Denn es stellen sich auch ganz praktische Herausforderungen: Welche technische Ausstattung brauchen Verwaltungen und Behörden? Wie steht es um die Sicherheit und den Datenschutz, und wie viel Zeit nimmt das in Anspruch?“

Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) sieht im Hamburger Modell dagegen überhaupt keinen gangbaren Weg für Berlin: „Das Hamburger Transparenzgesetz ist nicht besser als das Berliner Informationsfreiheitsgesetz – nur anders. Das liegt unter anderem an der unterschiedlichen Struktur der Städte. Da Hamburg im Gegensatz zu Berlin keine Bezirke kennt, ist dort eine zentrale Veröffentlichung von Daten einfacher.“ Heilmann verweist auf das existierende Gesetz und auch auf die Berliner Open-Data-Initiative, die mit einer Onlineplattform, auf der seit September 2011 ausgewählte Datensätze aus Berliner Behörden frei zugänglich gemacht werden, Maßstäbe gesetzt habe. „Trotzdem kann und will Berlin seine Bürgerinformation noch ausbauen“, erklärt er. Von genauen Maßnahmen spricht er nicht.

"Es gibt eine Flucht ins Privatrecht"

Neben der Umkehr der Veröffentlichungspraxis ist aber ein zweiter Punkt entscheidend. Dabei geht es um die Frage, wer überhaupt von dem Gesetz betroffen wäre und Auskunft geben müsste. Ministerien, Behörden, Verwaltungen sind klar erfasst. Aber was ist mit privatrechtlich organisierten Unternehmen, die zu 100 Prozent in öffentlicher Hand sind? Die Deutsche Bahn ist so ein Fall. Aber eben auch die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB). Sie ist eine GmbH, deren Gesellschafter aber die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund sind. Damit ist die FBB letztlich ein staatliches Unternehmen unter der privatrechtlichen Tarnkappe einer GmbH. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Peter Schaar, mahnt zu mehr Offenheit. Und Simon Weiß von den Piraten sagt: „Es gibt eine Flucht ins Privatrecht, um Transparenzanforderungen zu umgehen.“

Die SPD sieht das nicht so. „Ich glaube nicht, dass es eine bewusste Flucht ins Privatrecht gibt“, sagt Sven Kohlmeier. Es gehe hier um eine sehr grundsätzliche Frage der Staatsorganisation. Der Staat solle immer mehr Aufgaben mit immer weniger Mitteln wahrnehmen. Deshalb gliedere er manche in privatrechtlich organisierte Strukturen aus. Das habe zur Folge, dass er seine Leistungen teilweise auch kostengünstiger anbieten könne. Aber es habe eben auch zur Folge, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse eingeschränkter ausgelegt würden als in einer rein staatlichen Organisation. „Das ist ein Spannungsfeld, was nicht so einfach aufzulösen ist, und wohl auch eine Frage, die auf Bundesebene geklärt werden muss.“ Fakt ist: Im Aufsichtsrat der FBB sitzen Regierungschefs, Minister und Staatssekretäre. In ihren Häusern sind ganze Abteilungen mit dem Flughafen beschäftigt. Da werden Unterlagen angefertigt und ausgewertet, es handelt sich um „amtliche Informationen“. Regelmäßig gibt es Controllingberichte, in denen der Baufortschritt des Flughafens dokumentiert wird, aber auch auf Probleme hingewiesen werden sollte. Außerdem werden Protokolle der Sitzungen angefertigt. Fallen diese unter das IFG? Vermutlich werden am Ende Gerichte darüber entscheiden. Versuche, mittels des IFG Einsicht in die Unterlagen zu erlangen, gestalten sich schwierig.

Generell gilt: Bei vielen Projekten und IFG-Anfragen ziehen sich die Ministerien und Behörden auf Ausnahmetatbestände des IFG zurück und, interessanterweise, auf das Aktiengesetz, auch dann, wenn es um Belange einer GmbH geht. Im Kern werden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als Argumentation gegen eine Offenlegung ins Feld geführt. Bei Betriebsgeheimnissen geht es in der Regel um technische Sachverhalte, bei Geschäftsgeheimnissen vor allem um kaufmännische Fragen. Was man aber genau darunter versteht, ist kaum gesetzlich geregelt, grundsätzlich gilt nur: Alles, was einer staats- oder landeseigenen GmbH wirtschaftlich schaden könnte, wird gern als Grund genommen, Informationen nicht preiszugeben. Es ist ein Widerstreit von Rechtsinteressen und Rechtsgütern. Verwaltungsgerichte sind häufig bei IFG-Prozessen mit genau dieser Frage beschäftigt: Überwiegt das Geheimhaltungsinteresse einer Behörde oder das Informationsinteresse der Öffentlichkeit? In einem Rechtsgutachten von Professor Michael Kloepfer und Holger Greve wird auch auf die „Wettbewerbsrelevanz der betreffenden Informationen“ verwiesen. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bestehen also nur dann, wenn Konkurrenten aus der Gewinnung dieser Informationen Vorteile ziehen könnten. Laut dem Gutachten geht es dabei auch um die „Möglichkeit zu Rückschlüssen bezüglich der Betriebsführung, Wirtschafts- und Marktstrategie, Kostenkalkulation und Entgeltgestaltung eines Unternehmens...“.

Nur, wer beurteilt das? In der Regel landen die Fälle vor Gericht, und selbst da wird es kompliziert. Der Antragsteller verlangt die Freigabe eines bestimmten Dokuments, die beklagte Behörde verweigert das mit Verweis auf „Ausnahmetatbestände“ – zum Beispiel Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Und was macht der Richter? Schaut er sich das betroffene Dokument an und entscheidet darüber, ob die Vorbehalte zutreffen? Nein. Das darf er gar nicht. Denn alle Dokumente und Unterlagen, die er einsieht, müssen auch alle anderen Prozessbeteiligte sehen dürfen – und damit wäre der Fall ja entschieden. Allerdings gibt es eine Instanz, die ein Recht auf Einsicht hat: der Bundesbeauftragte für die Informationsfreiheit. Nur ist er keine feste Partei in einem Prozess und oft wird er gar nicht zu Rate gezogen, weshalb sich die Prozesse häufig hinziehen. „IFG-Prozesse brauchen zu viel Zeit, auch wenn sich die Gerichte bemühen, zügig zu entscheiden“, sagt Christoph Partsch von der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit (DGIF). Es sei daher sinnvoll, den Bundesbeauftragten für die Informationsfreiheit als Zeuge in Gerichtsverfahren anzuhören, da dieser die streitigen Unterlagen einsehen könne. „Er kann entsprechend bewerten, ob es wirklich ein Schutzinteresse gibt oder nicht.“ Zudem sei es wichtig, den Katalog der Ausnahmetatbestände deutlich zu vereinfachen.

Kann der Anspruch auf Informationsfreiheit ein Grundrecht sein?

Auch Peter Schaar kritisiert die missbräuchliche Geheimnisargumentation. „Transparenzkiller wie die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sollten den Informationszugang nicht mehr absolut ausschließen. Vielmehr sollte hier geprüft werden können, ob das öffentliche Interesse an der Offenlegung überwiegt“, sagt der Informationsfreiheitsbeauftragte. Die Öffentlichkeit habe gerade dort einen Anspruch auf lückenlose Aufklärung, wo in riesigem Umfang Steuergelder ausgegeben würden. „Sowohl die Informationsfreiheitsgesetze der beteiligten Länder und des Bundes als auch Untersuchungsausschüsse können hier ihren Beitrag leisten.“ Untersuchungsausschüsse hätten noch umfassendere Einsichts- und Fragerechte.

Die Praxis stellt sich indes auch für die Ausschüsse oft kompliziert dar: So steht etwa der Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zum Flughafen BER bereits kurz nach seinem Start vor einem Problem der Akteneinsicht. Die Senatskanzlei hat angekündigt, dass viele Akten nicht frei zugänglich gemacht würden und vieles nur in der Geheimschutzstelle einzusehen sei. Kopien oder Mitschriften sind den Parlamentariern dort nicht gestattet, was deren Arbeit signifikant erschwert. Die Controllingberichte haben beispielsweise den Siegel „Verschlusssache – Vertraulich“ – auch im Bundesverkehrsministerium. Ob das eine berechtigte Einstufung ist, wird im Haus von Peter Schaar zumindest angezweifelt. Und es darf zudem bezweifelt werden, dass in Controllingberichten durchgängig sicherheitsrelevante Informationen enthalten sind. „Der Verweis auf allgemeine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist eine klassische Abwehrstrategie. Berichte über den Baufortschritt sind in der Regel aber keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“, sagt Christoph Partsch.

Justizsenator Heilmann warnt aber in diesem Zusammenhang vor zu viel Transparenz. „Verbesserungen sind immer denkbar. Aber bei dieser Frage muss man auch die Gefahr sehen, dass eine Veröffentlichung von zu vielen Daten zu einem ernsten Problem für die betroffene Firma werden könnte.“ Während dem Bürger die ganzen Zahlen gar nichts sagten, erfahre der Konkurrent wichtige Interna. Heilmann sieht die Transparenzgrenze dort, wo der Nutzen für den Bürger gering ist, der Aufwand aber maximal. Denn letztlich trage der Steuerzahler die Kosten. Deshalb sollten Daten, die eigentlich niemanden interessieren, nicht nur um der Transparenz willen veröffentlicht werden.

Derweil wird nicht nur in Berlin eine Reform des Gesetzes diskutiert. Auch auf Bundesebene mahnt Peter Schaar Veränderungen an. „Nach dem Vorbild des neuen Hamburger Transparenzgesetzes trete ich auch für eine Pflicht der Behörden ein, Informationen von sich aus bekannt zu machen, etwa Verträge oder sonstige Unterlagen zu Privatisierungsvorhaben.“ Grundsätzlich hatten Union und FDP sich das auch ins Stammbuch geschrieben, passiert ist in dieser Legislaturperiode aber nichts und daran wird sich auch nichts mehr ändern. Die Grünen aber signalisieren bereits, dass sie für die kommende Legislatur eine Überarbeitung des IFG auf Bundesebene anstreben, die auch vermeintlich privatrechtlich organisierte Unternehmen in Bundesbesitz in den Blick nehmen sollen. Außerdem könnte ein Schwerpunkt auf mehr Transparenz bei Verkehrsprojekten liegen. Für Schaar steht vor allem eine Informationspflicht der Behörden im Blickpunkt. „Informationspflichten bei Großprojekten wären ein zusätzlicher Anreiz, mit öffentlichen Mitteln sorgsam umzugehen.“ Dass Transparenz damit ganz praktisch hilft, Steuergelder zu sparen – daran glaubt Schaar ganz fest.

Eher symbolischer Natur, aber bei einer Reform des IFG immer wieder mitdiskutiert, ist eine grundrechtliche Verankerung des Anspruchs auf Informationszugang. Denn im Grundgesetz ist das nicht geregelt, und eine Abschaffung des IFG wäre damit, wie es im dritten „Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit für die Jahre 2010 und 2011“ von Peter Schaar heißt, „nicht per se verfassungs- und grundrechtswidrig“. Schaar plädiert deshalb für eine Aufnahme der Informationsfreiheit ins Grundgesetz, auch weil damit Kläger vor Gericht, gerade wenn es um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geht, eine stärkere Rechtsposition hätten. „Eine Klarstellung, dass der Zugangsanspruch auf Informationen auch grundrechtlich verankert ist, würde die Durchsetzung des Anspruchs deutlich verbessern“, sagt auch Christoph Partsch von der DGIF.

Bis zu einem echten Grundrecht auf Akteneinsicht ist es aber noch ein sehr langer Weg. Bis dahin ist vielleicht sogar der neue Hauptstadtflughafen eröffnet.

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