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Viele für noch mehr. Die streikenden Pflegekräfte der Charité und ihre Unterstützer sammeln sich vor einer Demo durch die Berliner Innenstadt.
© Jörg Carstensen / dpa

Ausstand an der Charité in Berlin: Streikende unter Beobachtung

Die Streikenden der Charité demonstrieren vor dem Bundesgesundheitsministerium. Ihr Kampf wird nicht nur von Ärzten, Krankenkassenchefs und Politikern beobachtet. Mittwoch entscheidet das Landesarbeitsgericht.

Am Dienstag demonstrierten die Streikenden der Charité durch die Berliner Innenstadt. Der Streik an Europas größter Universitätsklinik geht auch an diesem Mittwoch zunächst weiter – seit Montag haben sich 1000 Schwestern, Pfleger und Techniker am Ausstand beteiligt. Auch am Mittwoch entscheidet das Landesarbeitsgericht über die Rechtmäßigkeit des Streiks. Wir klären die wichtigsten Fragen.

Was bedeutet der Streik für Berlin?

Die landeseigene Charité versorgt pro Tag mehr als 2000 Patienten aus der gesamten Region. Weil es auf den Campussen in Mitte, Wedding und Steglitz zentrale Notaufnahmen gibt, werden viele Rettungsfälle zur Charité gefahren. Diese Patienten werden auch während des Streiks versorgt – Verdi und der Klinikvorstand haben sich wie in der Branche üblich auf eine Notdienstvereinbarung geeinigt. Abgesagt hat die Charité aber 1000 verschiebbare Behandlungen. Weil auch andere Kliniken in Berlin ausgelastet sind, dürften einige Patienten nun Wochen auf einen neuen OP-Termin warten. Vor allem mit Operationen verdient die Charité aber Geld. Pro Diagnose und Patient zahlen die Krankenkassen den Kliniken eine Pauschale. Diese Fallpauschalen decken nicht den Aufwand, den die Charité mit volltrunkenen oder erkälteten Patienten in Rettungsstellen hat. Aufgrund des Streiks werden die Kassen der Charité wohl Millionen Euro weniger überweisen.

Was fordern die Streikenden?

Im weiteren Sinn etwas, das auch dem Charité-Vorstand um Karl Max Einhäupl gefallen dürfte: ein Ende der umstrittenen Gesundheitspolitik. Die Kassen zahlen nämlich nicht nur für viele Behandlungen vergleichsweise wenig. Sie können Forderungen nach mehr Geld auch dadurch abwehren, dass die Bundesländer ihren Aufgaben selbst nicht nachkommen. Denn während die Versicherungen für Personal und Medizin aufkommen, müssen die Länder in Gebäude und Technik investieren – so schreibt es das Gesetz vor.

Eine von vielen. Charité-Streikende im Sommer 2015 vor dem Gesundheitsministerium.
Eine von vielen. Charité-Streikende im Sommer 2015 vor dem Gesundheitsministerium.
© Jörg Carstensen / dpa

Verdi fordert einen Tarifvertrag, der mehr Fachkräfte durch feste Personalquoten auf den Stationen festschreibt. Der Charité-Vorstand müsste also intern Geld umschichten – oder es mittelbar von den Kassen holen. Die Gewerkschaft kann schlecht die Versicherungen oder gar die Bundesregierung bestreiken. Dort müsste der Charité-Vorstand den Druck erhöhen. Die Verdi-Forderung in Kürze: Nachts keine Schwester allein auf der Station, tagsüber eine Pflegekraft für fünf, nicht wie bislang zehn Patienten.

Wie geht es nun weiter?

Diesen Mittwoch wird das Landesarbeitsgericht über den Streik entscheiden. Der Charité-Vorstand wollte ihn verbieten lassen, das Arbeitsgericht hatte in erster Instanz erklärt, der Streik sei legitim – schon weil Notfälle versorgt werden. Das Landesarbeitsgericht könnte erklären, die Forderung nach mehr Personal greife zu stark in die Freiheit des Konzerns ein, sie sei nicht tarif- und somit nicht streikfähig. Weil es sich um eine Eilentscheidung handelt, wäre der Arbeitskampf zunächst vorbei. Das Gericht könnte auch beschließen, mehr Personal trage zu Sicherheit und Gesundheit aller bei, der Streik sei legitim – so hatte die erste Instanz argumentiert. Wahrscheinlich, heißt es in Justizkreisen, bleibe der Streik erlaubt; vielleicht würden klarere Auflagen für die Notfälle erlassen. Bleibt der Streik erlaubt, dürfte der Vorstand wohl auf Verdi zugehen.

Ebenfalls Mittwoch werden zehntausende Klinikmitarbeiter von der Nordsee bis nach Bayern auf den Personalmangel aufmerksam machen. Vor 1000 der 2000 deutschen Krankenhäuser werden um 13 Uhr Beschäftigte jeweils Nummern hochhalten, die den Personalbedarf beziffern. Bundesweit fehlen Verdi zufolge 162 000 Fachkräfte. Annelie Buntenbach vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dem auch Verdi angehört, wird vor der Vivantes-Klinik in Berlin-Friedrichshain demonstrieren.

Wie ist die Stimmung in der Branche?

Klinikvorstände, Krankenkassenchefs und Fachleute aller Berufsgruppen beobachten den Tarifkonflikt aufmerksam. In der Branche ist bekannt, dass die Streikenden eine Welle auslösen könnten. Der Marburger Bund in Berlin hat sich mit den Streikenden solidarisch erklärt. Die Ärztegewerkschaft spricht von „berechtigten Forderungen“ der Pflegekräfte: „Die Arbeitsbedingungen haben sich in den Deutschen Kliniken für alle Berufsgruppen seit Jahren kontinuierlich verschlechtert.“ Die wirtschaftlichen Ziele der Krankenhausleitungen führten dazu, dass die Zeit für Zuwendung fehle, Sicherheit der Patienten und Gesundheit der Beschäftigten blieben auf der Strecke. An der Charité kamen Solidaritätsadressen aus Kliniken in der Schweiz, Großbritannien und Schweden an.

Was sagt die Politik?

Angesichts der Lage hatten Kenner schon vor Streikbeginn erste Reaktionen erwartet. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte sich im Vorfeld mit dem Charité-Vorstand getroffen – mehr Geld, gar ein Ende des Fallpauschalensystems war dabei wohl kaum Thema. Nun hat der Gesundheitsexperte der Bundes-SPD, Karl Lauterbach, mehr Geld für das Pflegesonderprogramm der Regierung gefordert. Und der Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) sagte dem Tagesspiegel: „Das Anliegen der Streikenden ist verständlich und auch im Sinne der Patienten.“ Streik sei zwar legitim, aber nicht das erste Mittel der Wahl. Nun sollten beide Seiten zu Verhandlungen mit der Charité-Aufsichtsratsvorsitzenden Sandra Scheeres zusammenkommen. Scheeres (SPD), die Berliner Wissenschaftssenatorin, sagte: „Ich habe den Charité-Vorstand gebeten, alle Möglichkeiten zu prüfen und alles auszuloten, um wieder mit Verdi in konkrete Verhandlungen treten zu können.“ Letztlich aber könne die Personalfrage nur auf Bundesebene gelöst werden. „Wir brauchen eine bessere Finanzierung der Pflege und der Krankenversorgung.“

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