Michael Friedrichs-Friedländer aus Berlin: Stolperstein-Macher: „Ich drücke oft ein paar Tränen weg“
Der Bildhauer Michael Friedrichs-Friedländer aus Berlin stellt die Gedenk-Stolpersteine her. Das ist nicht nur körperlich eine anstrengende Aufgabe.
Würde Michael Friedrichs-Friedländer seinen Beruf in typischen Handbewegungen darstellen, ginge das so: In der linken Hand hält er den Handschlagstempel, einen acht Zentimeter langen Metallstift, den linken Unterarm stützt er ab. Die rechte Hand umgreift einen Hammer, 800 Gramm schwer, den er waagerecht über den Metallstift justiert. Schnell lässt er ihn auf den abgeflachten Kopf des Stempels fallen, rhythmisch setzt er den Hammer auf einer Metallschiene ab, die Linke greift nach dem nächsten Stift.
Wenige würden aus diesen Handbewegungen erraten, was der 68-Jährige ist, aber der Bildhauer mit den rötlichen Haaren und drei Silberringen im Ohr macht sie jeden Tag, dutzendfach. In rhythmischen Arbeitsschritten stanzt er so Buchstabe für Buchstabe, vier, acht oder zwölf Millimeter groß, in eine Messingplatte, die mit einer Metallschiene gesichert wird. „H“ wird im Rhythmus des Hammers ergänzt durch „IER WOHNTE“. Darunter Vor- und Nachname der Person, an die erinnert wird. „Deportiert“, „Ermordet“, „Flucht in den Tod“. Dann kommt das Datum, das zwischen 1933 und 1945 liegt. Michael Friedrichs-Friedländer stellt Stolpersteine her.
Seit 13 Jahren arbeitet er mit dem Künstler Gunter Demnig, dem Erfinder der Stolpersteine. Jeder Stein erinnert an das Schicksal eines Menschen vor dem letzten Wohnort, von wo aus die Nationalsozialisten ihn vertrieben oder deportiert haben.
Demnig stellte die knapp zehn mal zehn Zentimeter großen Messingquader auf Betonklötzen jahrelang selbst her. Nun verlegt der Kölner Künstler sie, die Produktion hat Friedrichs-Friedländer übernommen. In seiner Berliner Werkstatt wurden schon über 60.000 solcher Quader hergestellt.
„Ich mache keine Plagiate“, war die Antwort des Metallhandwerkers zunächst, als ihn ein Ehrenamtlicher der Charlottenburger Stolpersteinitiative 2005 fragte, ob er nicht Gunter Demnig bei der Produktion der Stolpersteine helfen könne. Demnig käme nicht mehr hinterher, zu viele Initiativen und Privatpersonen wollten, dass der Kölner Künstler Steine vor ihrem Haus oder in ihrer Nachbarschaft verlege, dort, wo die deportierten Personen zuletzt gelebt hatten.
Erst als Demnig vorbeikam, um ihn zu fragen, sagte Friedrichs-Friedländer zu: „Nach fünf Minuten hatten wir gemerkt, dass es gut passte zwischen uns.“ Die Charaktere der beiden Männer ergänzen sich gut: Demnig, der Künstler, präsentiert sein Projekt in der ganzen Welt, verlegt über 200 Tage im Jahr Stolpersteine und beschäftigt mittlerweile neun Mitarbeiter.
Friedrichs-Friedländer steht lieber in Jeans und Schlabber-T-Shirt in der Werkstatt, in der ihm zwei Mitarbeiter bei der Produktion helfen. Sechs Tage die Woche stempelt er, bis zu zehn Stunden pro Tag. Jedes Jahr gönnt er sich zwei Wochen Urlaub. Er genießt es, im Hintergrund zu arbeiten. Das Kunstprojekt sei schließlich Demnigs Werk.
Nur einmal vertrat er ihn bei einer Verlegung, dann gleich mit hochkarätigen Gästen. Der Stein wurde für einen Verwandten der Ex-Frau von Sigmar Gabriel verlegt, der ehemalige Außenminister war anwesend: „Die Straße wurde abgesperrt und Sicherheitswächter begleiteten ihn“, beschreibt Friedrichs-Friedländer den Aufwand um den Politiker, der ihm sichtlich zu viel war.
Das Atelier ist eher seine Welt: ordentlich vollgepackt mit Werkzeug, auf einem Tisch stehen Kaffeetassen, Tabak, Aschenbecher und Bücher. Mitten im Raum stapeln sich die fertigen Steine, die auf den Versand warten. Als Friedrichs-Friedländer vor 13 Jahren die Produktion übernahm, wusste der gelernte Maschinen- und Formbauschlosser sofort, dass er die Steine „nicht wie Demnig“ machen würde. Er benutzt einen speziellen Beton, der besser aushärtet als Demnigs, und baute sich seine eigenen Werkzeuge: die Spanne, in der die Messingplatte liegt, auf die die Buchstaben eingestanzt werden, und die zwei Betonformen, in die je 14 Quader passen.
Den Produktionsprozess hat er ebenfalls angepasst und beschleunigt: Nachdem er die ursprünglich rechteckige Messingplatte beschriftet hat, bearbeitet ein Mitarbeiter sie zu ihrer bekannten quadratischen Form, schneidet zwei Laschen aus und biegt sie nach hinten, damit sie sich im Beton verankern.
Der Dritte im Team legt die so entstandenen Messingquadrate mit der Schrift nach unten in eine Gussform, 14 nebeneinander. Darüber gießt er den Beton, der über Nacht aushärtet. Die fertigen Steine werden verpackt und per Paket zu Demnig nach Köln geschickt: Maximal 18 Steine kommen in ein Paket, das knapp 40 Kilo wiegt.
Jeder Name steht für ein Schicksal
Am Ende eines Arbeitstages braucht Friedrichs-Friedländer eine Ruhepause in der Werkstatt, die Mitarbeiter dürfen schon am frühen Nachmittag gehen. „Ich drücke oft ein paar Tränen weg“, sagt er. Denn jeder Name, den er stempelt, steht für ein schreckliches Schicksal. Diese Geschichten will er nicht mit in die Wohnung über dem Atelier nehmen, in der Friedrichs-Friedländer mit seiner Ehefrau lebt, die ebenfalls Künstlerin ist.
Manche Tage sind aber besonders schwer zu vergessen. „Wenn ich Steine für ein Waisenhaus beschrifte: 30 Kinder, alle an einem Tag deportiert.“ Nach der Arbeit verlässt er daher das Haus, geht einkaufen und kommt erst mit anderen Gedanken zurück.
60.000 Steine, 60.000 Schicksale sind nur ein Bruchteil der Opfer des Nationalsozialismus. Und Friedrichs-Friedländer denkt noch nicht daran aufzuhören. „Erst wenn ich das Gefühl für diese Arbeit verliere, würde ich aufhören.“ Nicht zuletzt, weil er sich, wie Demnig, als Teil der „Generation der unbeantworteten Fragen“ sieht.
Seit er 17 ist, interessiert er sich dafür, was im Zweiten Weltkrieg geschah. Sein doppelter Nachname Friedrichs-Friedländer ist ein Zeichen für die unbeantworteten Fragen in seiner Familie: Noch der Großvater, ein vermutlich jüdischer Musiker aus Breslau, nahm zum Geburtsnamen Friedländer den deutscher klingenden Namen Friedrichs an, um weniger aufzufallen.
Der Vater, ebenfalls Künstler, sang an der Berliner Kroll-Oper, bis das Haus unter den Nazis schließen musste. Dass sein Ariernachweis abgewiesen wurde, erfuhren die Kinder erst nach dem Tod des Vaters. Trotz seiner Herkunft überlebte er den Krieg, die Familie zog 1947 nach Bayern.
Michael wurde in München geboren, aber zu Hause fühlte er sich erst in Berlin, wohin er mit 28 zog. Er lebte in einem besetzten Haus am Klausenerplatz und half bei Bildhauern aus. Hier entwickelt er seinen eigenen Stil, experimentiert viel mit Metall und anderen Materialien: Kopfsteine brechen durch Eisenblöcke, Glas macht sich vorsichtig Raum im Metall. Die Kunstwerke stehen in einem hinteren Regal im Atelier, dafür bleibt jetzt keine Zeit mehr.
Aber Friedrichs-Friedländer kann mittlerweile in 20 Sprachen die Wörter „Hier wohnte“, „deportiert“ und „ermordet“ schreiben. Und er freut sich über Besucher, besonders Schulklassen, die in seine Werkstatt kommen, denen er seinen Beruf erklären kann. „Zuerst sehen sie nur das glänzende Messing. Aber dann beugen sie sich vor und lesen die Inschriften.“ Die veränderten Gesichtsausdrücke zeigen, dass die Kinder verstehen, was damals passiert ist.
Manchmal besuchen ihn Verwandte von Deportierten in seiner Werkstatt, obwohl viele sich geschworen hatten, Deutschland nie wieder zu betreten. Für Stolpersteinverlegungen kommen sie dennoch aus der ganzen Welt. Friedrichs-Friedländer beantwortet ihre Fragen – und sie die seinen. „Einmal besuchte mich eine Frau in der Werkstatt, die auf den Spuren ihrer deportierten Verwandten nach Berlin kam.“ Die Besucherin hieß ebenfalls Friedländer. Einige ihrer Verwandten waren in Berlin dem Krieg entkommen, da sie mit einem anderen Namen untertauchten: Friedrichs.