Filmprojekt mit Schülern: Mit einem Stolperstein fing alles an
Eine Wilmersdorfer Lehrerin verfilmt mit Schülern die Geschichte des jüdischen Mädchens Susi, das den Holocaust überlebt hat.
Am Pulli des Mädchens ist noch ein modischer Reißverschluss zu sehen, das geht natürlich nicht. „Könnt ihr bitte darauf achten, dass das immer verdeckt bleibt?“, sagt Birgitta Behr zu ihren Schülern, die in der Aula der Cecilien-Grundschule in Wilmersdorf stehen. „Und dass bei niemandem irgendwo ein Schokoriegel aus einer Tasche rausguckt?“
Es soll schließlich alles authentisch aussehen, darauf legt Birgitta Behr großen Wert. Authentisch, das heißt in diesem Fall: Es soll so aussehen wie in den 1940er Jahren. Denn die 17 Schüler in Knickerbockern, abgewetzten Anzügen, Hängekleidern und dicken Wollstrümpfen spielen in einem Film mit, in dem es um die Geschichte des jüdischen Mädchens Susi geht, das in Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus lebte und überlebte. Eine wahre Geschichte, auch wenn Birgitta Behr für den Film manche Details abgewandelt hat. Die Kleidung hat Behr selbst besorgt – „das meiste habe ich in Second-Hand-Läden gefunden“, erzählt sie.
Jetzt proben die Schüler eine Szene, in der die Kinder Susi ausgrenzen. Sie zeigen mit dem Finger auf sie, und dann sollen sie verächtlich rufen: „Jude.“ Erst nur ein Kind, dann alle zusammen. Den Schülern von heute fällt das schwer. So gehässig kriegen sie das auf Anhieb gar nicht hin, es klingt einfach zu freundlich. Lehrerin Behr lässt ein paar Jungen proben und entscheidet dann, dass der neunjährige Mihac – Schiebermütze, schwarzes Jacket – als Erster rufen soll. „Es muss richtig gemein klingen“, sagt Behr.
Dann geht es raus auf den Schulhof. Es ist kalt, und manche Kinder frieren in ihren kurzen Hosen. Doch niemand will aufhören. Die Kinder sind begeistert bei der Sache und begeistert von ihrer Lehrerin.
Die Schule übernahm Patenschaften für Stolpersteine
Die Geschichte von Susi beschäftigt Birgitta Behr seit mehreren Jahren. Angefangen hatte alles mit Stolpersteinen, die 2012 vor der Cecilien-Schule verlegt wurden. Die Schule übernahm die Patenschaften für die elf Steine, und in der Schule gab es „Stolperstein-Projektwochen“. Die Steine werden seitdem gepflegt, ihre Geschichten erforscht und im Unterricht thematisiert. Für ihr langjähriges Engagement gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit und die kontinuierliche Gedenkarbeit wird die Schule im März mit dem Jugendmedienpreis „Das rote Tuch“ von der Charlottenburg-Wilmersdorfer SPD ausgezeichnet.
Als die Schule die Patenschaften übernahm, wollte Birgitta Behr, dass die Steine für ihre Schüler „auch ein Gesicht bekommen“. Dabei halfen ihr die Recherchen, die Lothar Lewien, Mitglied der Stolperstein-Initiative in Charlottenburg-Wilmersdorf und langjähriges Mitglied der Schulkonferenz, zu den Stolpersteinen und zur Schulchronik angestellt hatte. Er war dabei auf die Geschichte von Gertrud Cohn gestoßen. Ihr ist einer der Stolpersteine vor der Schule gewidmet, sie ist die Großmutter von Susi. Gertrud Cohn lebte in Haus Nummer 4 am Nikolsburger Platz, gegenüber der Schule, doch das Haus wurde im Krieg zerstört. Gertrud Cohn wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und wenig später in Treblinka ermordet. Aber ihre Enkelin Susi und deren Eltern Ludwig und Steffy haben unter dem angenommenen Namen Collm überlebt, versteckt in Berlin und später an der Ostsee. Sie kehrten nach dem Krieg nach Berlin zurück, der Vater wurde Leiter einer Berliner Schule. Susi wanderte 1960 in die USA aus, heiratete und eröffnete mit ihrem Mann ein Delikatessen- und Süßwarengeschäft in New York. 2014 ist sie gestorben.
"Es liegt Hoffnung darin"
Als Birgitta Behr all dies herausfand, war ihr schnell klar, dass sie genau diese Geschichte ihren Schülern erzählen will. „Es liegt Hoffnung darin. Susi überlebt, sie eröffnet ein Süßwarengeschäft. Es war fast magisch, als ich das alles erfuhr“, erzählt Behr. Hoffnung auch deshalb, weil es immer wieder Menschen gab, die Susi und ihren Eltern halfen.
Die 43-jährige Behr hat dann ein Kinderbuch über das Mädchen geschrieben (wir berichteten) und ein Theaterstück daraus entwickelt. Sie nahm Kontakt zu Susis Kindern auf, die waren begeistert und schrieben das Nachwort für das Buch. Der Erfolg sprach sich herum, die Schulbehörde wurde auf die engagierte Lehrerin und ihr Projekt aufmerksam und stellte Behr für ein Jahr vom Unterrichten frei, damit sie sich um die Weiterentwicklung des Projekts und um Fortbildungen für andere Lehrkräfte kümmern kann. Der Film, den sie jetzt dreht, soll im Unterricht eingesetzt werden können: 40 Minuten lang soll er sein – im März ist die Premiere. Und das ist nicht alles, Behr hat noch mehr Ideen: Eine interaktive, multimediale Ausstellung möchte sie erschaffen, am liebsten das Haus Nummer 4 nachbauen und lebendig werden lassen. Im Sommer soll eine Ausstellung im Museum Villa Oppenheim in Charlottenburg realisiert werden.
Es geht um Ausgrenzung, Mobbing, Angst vor dem Fremden
Birgitta Behr hat ein Talent dafür, die richtigen Worte und Bilder zu finden, die die Kinder mitfühlen und mitdenken lassen, ohne sie zu überfordern. Eines ist ihr besonders wichtig: Das Lernen aus der Vergangenheit für das Heute. Es geht um Ausgrenzung, Mobbing, Angst vor dem Fremden – Themen, die auch die Kinder von heute betreffen. Im Susi-Buch ist auf jeder Seite ein rot-weißer Faden abgebildet, dazu hat Behr geschrieben: „Der Faden soll dir zeigen, dass das Gute bei dir ist, auch in dunkelster Zeit. Er verbindet dich mit einer Geschichte aus der Vergangenheit, die weitergeht in dir.“
„Als ich nach Material zum Thema Nationalsozialismus und Judenverfolgung gesucht habe, das sich für Kinder im Grundschulalter eignet, habe ich festgestellt, dass es nicht so wirklich viel gibt“, sagt Behr. Also hat sie das einfach selbst in die Hand genommen. Und entpuppte sich dabei als Multitalent: Schon das Buch hat sie nicht nur geschrieben, sondern auch selbst illustriert. Die Kulissen und Videoinstallationen für das Stück hat sie produziert, und den Film dreht sie auch fast allein: Sie steht an der Kamera, führt Regie und hat das Drehbuch geschrieben. Ein kleines Budget steht ihr zur Verfügung, aber viel hat sie aus eigenen Mitteln finanziert. Ein paar Freunde aus der Filmbranche helfen beim Schnitt und beim Ton, der Schauspieler Samir Fuchs macht mit, und Synchronsprecher Engelbert von Nordhausen leiht dem Haus Nummer 4 seine Stimme.
Ansonsten spannt Behr neben ihren Schülern Freunde und Verwandte ein. Eines ihrer beiden Kinder, ihre Tochter Lisa, hat die Rolle von Susi übernommen. „Und mein Mann musste auch mal einen Nazi spielen“, sagt sie.
Die Filmpremiere von „Susi. Die Enkelin von Haus Nummer 4 und die Zeit der versteckten Judensterne“ findet am 9. März um 18 Uhr im Kant-Kino statt.