Gastro-Kult in Berlin: Stellt euch nicht an!
Wenn die Warteschlange einmal um den Block reicht, müssen die Burger besonders gut sein? Von wegen: An den Hype-Imbissen dieser Stadt zeigt sich, dass Schwarmintelligenz ihre Grenzen hat.
Um nicht zum Misanthropen zu werden, sollte man in dieser Stadt möglichst selten das Haus verlassen. Insbesondere gilt das in Berlin für die Sommermonate. Manchmal aber ist es nicht zu vermeiden: auf dem Weg zur Arbeit etwa, in den Supermarkt – oder wenn Besuch kommt.
Wie letzte Woche, als meine Mutti da war. Die stammt aus dem Ruhrgebiet – born and raised in Bochum. Wenn man da mal Spaß haben will, fährt man nach Bottrop. Oder jetzt halt nach Berlin, weil da der Sohnemann wohnt. Wenn Mutti irgendwo ist, wo sie sich nicht auskennt, setzt ihr Instinkt ein, das war schon immer so. Flanierten wir im Familienurlaub auf der Suche nach einem Restaurant die Promenade entlang, gingen wir in der Regel in das vollste Lokal. Muttis Logik: Da essen viele, das muss gut sein.
Es sei ihr also nachzusehen, dass sie, als wir bei ihrem Berlin-Besuch von der Sonnenallee in die Pannierstraße einbogen, kurz innehielt. Blick auf die Bratbude „Berlinburger International“. Scannen der Menschenmenge davor. Dann die unvermeidliche Frage: Wollen wir da nicht was essen?
Nein, wollen wir nicht!
Stellen Sie sich doch einfach vor das nächste Bürgeramt
Auf den Bierbänken vor dem Laden drängen sich gut 30 Leute, daneben stehen weitere 50 unsicher in der Gegend rum. Sie heißen David, Paula und Johannes. Das weiß ich, weil die Burgerbrater ab und zu Namen schreien, von Kunden, die gefälligst ihr Essen abholen sollen. Ein Verirrter mit Burger und Kult-Limo hat sich auf den Radweg gesetzt, weil er keinen Bierbankplatz abbekommen hat. Keine gute Idee, jetzt bekommt er astreinen Großstadthass ab, zum Glück nur verbalen, wobei der wütende Mann auf dem Rad so aussieht, als stünde er kurz vor dem Griff zur Luftpumpe.
Der Burgerladen ist nicht der einzige Berliner Hype-Imbiss, in dieselbe Kategorie gehören auch Konnopke in der Schönhauser Allee sowie Curry 36 und Mustafas Gemüsekebab am Mehringdamm. An Letzterem muss ich eigentlich immer vorbeiradeln, wenn ich meinen Bruder in Schöneberg besuche. Die Dauerwarteschlange vor der Dönerbude hat mich aber emotional dermaßen mitgenommen, dass ich inzwischen lieber einen Umweg fahre. Aus meinem anfänglichen Unverständnis wurde schnell Verachtung für alle, die sich dort anstellen. Wie gut kann ein Döner sein, auf den man derart lange warten muss?
Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit dem Einwand, die genannten Läden seien nun einmal Berliner Institutionen. Wer gerne vor echten Institutionen Schlange steht, soll doch einfach einen neuen Personalausweis beim Neuköllner Bürgeramt beantragen.
Das Auge isst mit? Hier besser nicht.
Aber zurück zum Kulinarischen. Die Verklärung dieser Stadt – beim Thema Essen hat sie es auf die Spitze getrieben. Nicht selten finden sich Läden wie die Neuköllner Bratbude in Top-Ten-Listen der besten Berliner Gastro-Adressen wieder. Mit der blumigen Hype-Rhetorik solcher Listen kann ich wenig anfangen, für mich gilt frei nach Karl Lagerfeld: Wer über eine Stunde auf einen Burger wartet, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.
Mutti will sich das trotzdem mal aus der Nähe ansehen – der Laden muss ja irgendwas haben, wenn die sich hier schon fast kloppen. 67 Jahre lang ist sie mit dieser Logik durch die Welt gekommen, da ändert man jetzt auch nichts mehr dran. Die Burgerbrater, alle wahnsinnig dünn, zucken zu harten Elektrobeats, sie sind bleich und verschwitzt. Das Auge isst mit? Hier besser nicht.
Wenn doch die Gastro-Rankings wenigstens ehrlich benennen würden, was einen in solchen Läden erwartet! Dinge, die man in Berlin unbedingt gemacht haben muss? Stundenlang mit 80 anderen Deppen vor einem Imbiss rumhängen, um am Ende im Stehen eine Acht-Euro-Bulette im Brötchen zu verdrücken.
Mit Mutti war ich am Ende trotzdem noch schön essen: Blut- und Leberwurst in einem großartigen Biergarten, gar nicht weit weg von den Neuköllner Hotspots. Wie das Restaurant heißt, verrate ich nicht. Ich bin doch nicht bescheuert.
Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.