Obdachlosigkeit in Berlin: Steinmeier besucht die Bahnhofsmission
Bundespräsident Steinmeier kennt die Sorgen der Stadtmission am Bahnhof Zoo. Er war dort schon mehrfach zu Besuch. Auch am Montag wieder.
Andreas ist ungefähr 50, sein Alter ist schwer zu schätzen. Er trägt Bartstoppeln, und seine Gesichtszüge sind so grob geschnitten, als wären sie aus einem Stein gemeißelt. Spuren eines rauen Lebens. Drei Jahre lebte Andreas auf der Straße, seit 18 Monaten erst hat er wieder eine Wohnung. Jetzt sitzt er in der Stadtmission am Bahnhof Zoo, vor sich eine Tasse Kaffee, Lebkuchen und eine rote, brennende Kerze und unterhält sich intensiv mit seinem Nachbarn. Der Nachbar hört aufmerksam zu, manchmal stellt er auch kurze Fragen. Der Nachbar ist der Bundespräsident.
Frank-Walter Steinmeier in engstem Kontakt mit Obdachlosen, ein Termin, den er am Montag locker und konzentriert zugleich erledigt. Er hat keine Berührungsängste, die Stadtmission hat er in den vergangenen zwei Jahren viermal besucht. Einmal fuhr er nachts mit dem Kältebus und flog unmittelbar anschließend in die Ukraine. Damals war er noch Außenminister.
Vor einem Jahr überreichte er einen Schlüssel für neue Räume
Das war er auch, als er der Bahnhofsmission symbolisch einen Schlüssel überreichte und damit neue Räume übergab. Fast genau ein Jahr ist das nun her, deshalb ist Steinmeier an diesem Montag hier. In den zusätzlichen Räumen, hinter dem Aufenthaltsbereich der Bahnhofsmission, entsteht das Zentrum Zoo. „Hier sollen Begegnung, Begleitung und Bildung mit und von Obdachlosen stattfinden“, sagt Joachim Lenz, Direktor der Stadtmission. Hier sollen Bürger auf Menschen treffen, die im Freien leben, hier sollen Obdachlose Beratung über Hilfsangebote erhalten, hier sollen sie lernen, wie sie vielleicht wieder in ein ein geregeltes Leben finden.
500 bis 600 Obdachlose werden täglich am Bahnhof Zoo versorgt, 14 hauptamtliche und 200 ehrenamtliche Helfer sowie 150 Praktikanten kümmern sich um Leute wie Andreas. Der möchte nicht sagen, worüber er mit dem Bundespräsidenten gesprochen hat, aber man kann es sich ohnehin denken.
Nicht bloß eine Pflichtaufgabe
Für Steinmeier, den seine Frau Elke Büdenbender begleitet, bedeutet dieser Termin erkennbar nicht bloß eine Pflichtaufgabe. Die Helfer, die hier arbeiten, das sind für ihn „Beispiele von Menschen mit Herz, die über den Tellerrand ihres eigenen Lebens hinausschauen“.
Der erste Mann im Staat unterhält sich mit Schülern der Paula-Fürst-Gesamtschule aus Charlottenburg, die sich seit Jahren um die Hilfe für Obdachlose kümmert. Einige ihrer Schüler haben ein Stück über Obdachlose einstudiert, das sie an ihrer Lehranstalt aufgeführt haben. Eine Szene aus dem Stück präsentieren sie jetzt in der Stadtmission.
„Haben Sie mal eine Obdachlosenzeitung gekauft?“, fragt eine Schülerin schüchtern. „Ja natürlich“, antwortet der Bundespräsident. Und ja, er habe schon „oft Kontakt mit Obdachlosen gehabt“. Ortrud Wohlwend, die Pressesprecherin der Stadtmission, erklärt später, Steinmeier habe früher ehrenamtlich mit Obdachlosen gearbeitet. Und ja, sagt Steinmeier, auch in der Nähe seines Hauses in Zehlendorf gebe es Obdachlose. Seine Frau, so zugewandt wie ihr Mann, überlegt oft, wenn sie einen Obdachlosen sieht, „welche Geschichte er hat“.
Interessantes Thema. Dazu sagt Steinmeier: „Es ist ein schmaler Grat, auf dem man geht. Man kann glücklich sein, dass einem so ein Schicksal erspart geblieben ist.“ Es sei wichtig, „dass man denen, die mit weniger Chancen geboren sind, Hilfe gibt. Das geht nur über Bildung.“
Die Sanierung kostet rund 1,8 Millionen Euro
Hilfe im Zentrum Zoo wird auf zusätzlich 500 Quadratmetern geleistet. Die Bahn hat die Räume kostenlos für 25 Jahre übergeben. Doch die Sanierung kostet rund 1,8 Millionen Euro. Finanziert wird das Projekt unter anderem mit Lottomitteln und Senatsgeldern. Es wird dauern, bis alle Arbeiten beendet sind.
Die Menschen in sozialer Not, die jetzt vor Kerzen und Lebkuchen sitzen, haben einen viel aktuelleren Termin vor Augen. In ein paar Tagen ist Weihnachten. Aber darauf sind die Mitarbeiter der Bahnhofsmission eingerichtet. An einer Wand stapeln sich eingepackte Geschenke. Spenden von Menschen, die ein Herz haben und über dem Tellerrand des eigenen Lebens hinausschauen.