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Die Mietpreise in Berlin sind in den vergangenen Jahren explodiert.
© Getty Images/iStockphoto

Streit um Vorkaufsrecht in Berlin: Steht die Wohngenossenschaft „Diese eG“ vor der Insolvenz?

Die „Diese eG“ soll Mieter vor Spekulanten schützen. Nun bangen ihre Genossen um ihre Anteile. Fest steht: In der Rigaer Straße hat sie sich übernommen.

Die Idee ist gut, doch die Welt scheint noch nicht bereit: Weil die Mieten in Berlin in den vergangenen Jahren immer stärker gestiegen sind, haben sich Bürger in der deutschen Hauptstadt vor sechs Monaten in einer Genossenschaft, der „Diese eG“, zusammengeschlossen, um sich ihre Wohnung zu kaufen und die Immobilien damit dem Markt zu entziehen.

Der Plan droht allerdings zu scheitern. Denn die Genossenschaft hat mittlerweile zwar Zahlungsverpflichtungen in Höhe von rund 50 Millionen Euro für ihre Immobilien angehäuft.

Ein belastbares Finanzierungskonzept scheint es aber nicht zu geben. Im Gegenteil: Am Dienstag verschickte Florian Schmidt, Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, ein Schreiben an einen der Verkäufer, dessen Haus der Bezirk zuvor per Vorkaufsrecht erworben hatte. Die „Diese eG“ habe dem Bezirk mitgeteilt, dass sie ihren vertraglichen Zahlungsverpflichtungen für das Haus in der Rigaer Straße 101 nicht nachkommen könne. Der Grünen-Politiker will deshalb den Vorkauf rückabwickeln.

Ist die Genossenschaft also, wenige Monate nach ihrer Gründung, in die Insolvenz geschlittert? Die "Diese eG" bestritt das am Mittwoch in einem Statement. In den vergangenen Wochen habe die Genossenschaft drei Häuser als Dritterwerberin übernommen und vollständig mit allen Nebenkosten bezahlt, heißt es darin. Nur beim Haus in der Rigaer Straße habe man sich übernommen: „Nach langwieriger Prüfung wurde ein sehr viel höherer Sanierungsbedarf ermittelt als anfangs erkennbar war“, heißt es im Genossenschaftsstatement.

Verkäufer sieht sich getäuscht

Allerdings hätten die Genossenschaftler gewarnt sein können: Ursprünglich hatte Baustadtrat Schmidt die landeseigene Wohnungsgesellschaft WBM gebeten, als Käufer für die Immobilie einzuspringen. Die aber lehnte den Erwerb ab, weil sie einen zu hohen Sanierungsbedarf für die Immobilie sah. Erst nach dieser Absage führte Schmidt den Vorkauf zu Gunsten der „Diese eG“ aus.

Schmidt rechtfertigte seine geplante Abwicklung des Vorkaufs am Mittwoch ähnlich wie die Genossenschaft. Im Fall der Rigaer Straße 101 sei das Haus zunächst von der WBM besichtigt worden. Im Zuge einer detaillierten Prüfung durch den Bezirk sei dann festgestellt worden, dass ein erheblicher zusätzlicher Sanierungsbedarf bestehe. „Dieser geht sowohl über den Sanierungsbedarf hinaus, der im Kaufvertrag angegeben wurde, als auch über den eingangs durch die WBM ermittelten Befund.“

Der Verkäufer des Hauses, Ulf Bartel, sieht sich hingegen getäuscht von Baustadtrat und Genossen. „Was Schmidt und die ,Diese eG‘ behaupten, ist geradezu kriminell“, sagte er . „Im Kaufvertrag steht von einem notwendigen Sanierungsbedarf kein Wort drin.“ Mehr noch: „Weder das Bezirksamt, die Genossenschaft, noch die WBM hatten jemals einen Termin zur Besichtigung bei mir angefragt. Entweder haben sie sich selbst Zugang zum Haus verschafft, oder sie waren nie dort. Ich tippe auf letzteres.“ Bartel prüft jetzt rechtliche Schritte. Weil der bisherige Käufer abgesprungen sei, sieht er die Genossenschaft in der Pflicht, den Kaufvertrag einzuhalten – und den Bezirk in der Haftung.

Es gab bereits früher Zweifel am Finanzierungskonzept der „Diese eG“. Zwar hat die Genossenschaft für drei der sechs Häuser Finanzierungszusagen von der GLS Bank bekommen. Zusagen für Darlehen von der Berliner Förderbank IBB oder anderen Kreditinstituten gibt es hingegen nicht. Die Finanzierung sei zu sehr auf Kante genäht, warnten Banker und andere Genossenschaften. Doch nicht nur Darlehen, auch Landeszuschüsse blieben der „Diese eG“ bislang verwehrt. Beides aber ist nötig, um die Finanzierung der Genossenschaft und damit den Wohneigentum ihrer Genossen zu sichern.

Bitterer Tag für die Genossen

Der Dienstag dürfte deshalb nicht nur für Hausverkäufer Bartel, sondern auch für die Mieter des Hauses ein bitterer Tag gewesen sein. Denn sie müssen sich nun sorgen, dass bei einer Abwicklung des Kaufvertrages ihre gezeichneten Genossenschaftsanteile in Gefahr sind. Eine entsprechende Tagesspiegel-Anfrage beantwortete die Genossenschaft am Mittwoch nicht. In dem Statement der Genossenschaft hieß es lediglich, dass die „Diese eG“ im Bereich des Vorkaufs neue Wege gehe. „Allen Beteiligten war von Anfang an klar, dass diese Wege weder einfach noch risikofrei sein würden.“

Und das Risiko ist längst kein abstraktes mehr, sondern seit Dienstag sehr konkret: Ein Makler hat die Genossenschaft zur Zahlung ausstehender Provisionen verklagt. Streitwert: 354000 Euro.

Florian Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) bei einer Podiumsdiskussion.
Florian Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen) bei einer Podiumsdiskussion.
© picture alliance/dpa

Doch bitter ist der Zahlungsausfall auch für Florian Schmidt. Denn die „Diese eG“ war für den Bezirkspolitiker in den vergangenen Monaten ein Leuchtturm-Projekt, es stand Modell dafür, wie Staat und Privatinitiativen gemeinsam solidarische Wohnprojekte in der Berlin schaffen. Gleichzeitig war es für Schmidt aber auch die letzte Hoffnung, seine Wohnungspolitik fortsetzen zu können, wie bislang. „Als ich angefangen habe, waren 25 Prozent der Kreuzberger Wohnungen in Gemeinwohlbewirtschaftung“, sagt er der „taz“ vor einigen Monaten. Schmidts erklärtes Ziel sind 50 Prozent.

Mittel zum Zweck war für den Baustadtrat vor allem das kommunale Vorkaufsrecht. So oft wie kein anderer seiner Amtskollegen hat Schmidt das Instrument zuletzt genutzt, um Privatwohnungen zurück in den Einflussbereich des Bezirks zu bringen. Insgesamt wurden in Berlin seit 2015 von den Bezirken 1671 Wohnungen im Zuge des Vorkaufsrechts erworben. Mehr als ein Drittel davon, 653 Wohnungen, gingen an Schmidts Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.

Wohnungsbauer lehnen Vorkauf ab

Das Problem nur: Wie im Fall der Rigaer Straße weigerten sich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften zuletzt immer häufiger, als Käufer für die Bezirke beim Vorkaufsrecht einzuspringen, weil die Investitionen angesichts der notwendigen Sanierungsarbeiten zu hoch ausgefallen wären. Hinter den Wohnungsgesellschaften mag das Land als Eigentümer stehen – kostendeckend wirtschaften müssen die Firmen dennoch.

Der Senat hatte deshalb sogar seine Förderlinien angepasst, um den genossenschaftlichen Kauf von Häusern per Vorkaufsrecht zu erleichtern. Nicht nur wurde der Erwerb von Bestandsgebäuden durch Genossenschaften mit der Gesetzesnovelle förderfähig, auch Menschen mit geringen Einkommen haben nun die Möglichkeit, Darlehen für den genossenschaftlichen Immobilienkauf aufzunehmen.

Mit dem Mietendeckel dürfte es künftig noch weniger Spielraum für die Landesbetriebe geben, die Vorkaufswünsche von Schmidt und seinen Stadtrat-Kollegen zu erfüllen. „Die landeseigenen Gesellschaften müssen schon jetzt sehr genau rechnen, wenn es um Neubau-Projekte geht“, sagt am Mittwoch ein Branchenkenner dem Tagesspiegel. „Durch den Mietendeckel wird ihr Budget noch mal deutlich eingeschränkt, die Möglichkeit, Bestandsgebäude per Vorkaufsrecht zu übernehmen, wird sich da künftig in sehr engen Grenzen halten.“

Doch der Druck steigt auch an anderer Stelle. Vor wenigen Tagen etwa kritisierte der Bund der Steuerzahler die Vorkaufspraxis in Berlin als „Steuerverschwendung“. Gefährlicher noch könnte Vorkäufer Schmidt der Berliner Rechnungshof werden, der seit einigen Monaten die Vorkaufspraxis der Bezirke prüft.

CDU und FDP erwägen Untersuchungsausschuss

Darüber hinaus spielen im Berliner Abgeordnetenhaus CDU und FDP seit längerem mit dem Gedanken, einen Untersuchungsausschuss zum Thema Vorkäufe einzurichten. Bislang war der an Eitelkeiten der beiden Oppositionsparteien gescheitert, gänzlich abgeschrieben aber ist er noch nicht, heißt es aus dem Abgeordnetenhaus. Eine parlamentarische Aufarbeitung des Desasters um die „Diese eG“ und anderer Vorkaufsfälle dürfte Schmidt weiter in Bedrängnis bringen.

Schmerzhaft: Nicht mal auf die bedingungslose Unterstützung aus Kreisen, die ihm politisch gewogenen sind, kann sich Kreuzbergs Baustadtrat nach den jüngsten Entwicklungen in der Genossenschafts-Affäre noch verlassen. „Herr Schmidt ist in Vorleistung gegangen, damit sind grundsätzlich Risiken verbunden“, sagte Bau-Staatssekretär Sebastian Scheel (Linke) der „Morgenpost“.

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