zum Hauptinhalt
Die ehemalige Stasi-Zentrale in der Normannenstraße in Berlin.
© dpa

DDR-Geheimdienst: Stasi half bei Anschlägen in West-Berlin mit

Stasi-Streetview: Auf vielfältige Weise spionierte der DDR-Geheimdienst die Aktivitäten von West-Berliner Polizisten aus und unterstützte Anschläge im Westteil der Stadt. Die Polizei zu unterwandern, gelang den Agenten aber nicht – trotz vieler Daten.

Beim ersten Blick sind die Aufnahmen unspektakulär. Auf dem einen Foto ist eine Häuserreihe zu sehen, Asphalt, viele Käfer am Straßenrand. Auf dem anderen eine Kreuzung, Zebrastreifen, halb leerer Altbau, ein Lottoladen. Dann eine baumbeschattete Straße mit etlichen Pritschenwagen in Reih und Glied schräg am Bürgersteig. Auf dem nächsten Nachkriegs-Mietshäuser, eine Vorortstraße, schwarzer Mercedes, eine Telefonzelle.

Es sieht aus wie Stasi-Streetview – die Art, wie das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) seit den 1970er Jahren Wege von 16 000 West-Polizisten samt Dienststellen, Wohnungen, Autos und Kfz-Kennzeichen dokumentierte. Das gigantische Foto-Konvolut gehörte zur Ausspähung einer „bewaffneten Feindorganisation“: wobei die Kriterien für Verwendbarkeit des Materials diffus gehandhabt wurden. Man listete Amtszimmer der gegnerischen Ordnungskräfte mit Fensterpositionen sowie potenzielle Waffenlager auf, knipste eine grenznahe Putzfrau samt Kind ebenso wie einen Polizisten, der sich aufgrund ewiger Sonnenbrille als operierender Agent geoutet hatte.

Man forschte lange, welche Subversion hinter dem Akkordeonsgesang stecken mochte, mit dem der Polizist Günther Thiede an der Grenzstelle Sonnenallee zum Abend des 8. Juli 1987 seine Kollegen drüben grüßte: Sechs Monate später las das MfS erst in einer West-Berliner Stadtteilzeitung, dass der kontaktfrohe Musiker, den Maoris zum Ehrenbürger ernannt hatten, ein weltbekanntes Original war. Andere interne Kenntnisse wurden zielführender eingesetzt: Wenn West-Berlins Polizisten in Zivil via Transit zur Fortbildungsakademie fuhren, konnten sie erleben, dass der Ost-Grenzer ihnen zur eben bestandenen Prüfung gratulierte.

Bis zu 20 amtsintern operierende Agenten

Unter dem Titel „Feindwärts der Mauer. Das MfS und die West-Berliner Polizei“ stellten Klaus Schroeder und Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität am Mittwoch im Polizeipräsidium ihre Recherchen vor. Der erste Teil ihrer Untersuchung – ausgelöst durch die Enthüllung, dass Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 als Staatsschutzbeamter Benno Ohnesorg erschoss, MfS-Spion und SED-Mitglied gewesen war – ist, auf 1950 bis 1972 bezogen, vor drei Jahren vorgestellt worden. Damals war für jenen Zeitraum von zehn bis 20 amtsintern operierenden Agenten die Rede gewesen; die Kurras-Einschleusung sei als „Ausnahmeerfolg“ der Stasi zu sehen. Für 1972 bis 1989 stellt nun der Polizeipräsident fest: Das MfS habe sein Ziel verfehlt, Entscheidungen der West-Berliner Polizeiführung zu beeinflussen. Zugleich lobt Klaus Kandt sein eigenes Haus, das sich als einzige Behörde bundesweit solch einer riskanten Durchleuchtung gestellt habe.

Karl-Heinz Kurras, 1967
Karl-Heinz Kurras, 1967
© picture-alliance/ dpa

In den letzten 16 Jahren mögen der späten DDR nur noch elf West-Berliner Polizisten dienen. Ihre IM-Namen lauten unter anderem Achmed, Candy, Opel (ein Terrorbekämpfer) und Walter (der für Kooperation bei der Passkontrolle in Tegel über sieben Jahre nicht weniger als 229 190 DM kassiert). Die meisten Anwerbungen scheitern mittlerweile; Überzeugungstäter sind jetzt schwerer zu finden, Kontakte zwischen hüben und drüben dünnen aus. Dafür gibt es nun mehr Observierer des Polizeiapparates von außen: rund 200. Das Fahndungssystem „Inpol“ wird von der Stasi geknackt und über 80 Prozent der West-Polizisten fast alles zusammengetragen, vom Dienstplan bis zur privaten Erpressungsoption. Fünfmal mehr MfS-Offiziere als zuvor haben diesen Datenwust nun auszuwerten. Mit Agitationsblättern wie „Demokratische Polizei“ und der durch die Stasi gefütterte Apo-Postille „Extra-Dienst“ will man die Behörde destabilisieren. All das, damit sie am - bis 1988 immer wieder durchgespielten - Eroberungstag X sofort ausgeschaltet werden kann.

Wie schützte sich die West-Polizei selbst?

Logistische Hilfe für den internationalen Terrorismus, Bombenkofferbau inklusive, soll zwar der Bundesrepublik schaden, aber auch Anschläge in der DDR abwenden; um das wiederum geheim zu halten, wird die Fahndung nach solchen Attentätern behindert. Vom Anschlag auf das „La Belle“ (1986) wusste das MfS nicht nur im Vorfeld: Ein IM begleitet den Terrortrupp nach West-Berlin.

Ein MfS-Dokument vom Januar 1987 fasst den Stand „der Erkenntnisse über die Vorbereitung und Durchführung des Terroranschlags“ auf die Berliner Diskothek „La Belle“ zusammen. Darin heißt es, der IM Alba habe im Frühjahr 1986 berichtet: Beauftragt durch Libyens Geheimdienst kundschafte ein Palästinenser namens Mahmoud von Kreuzberg aus US-Zielobjekte aus. Ein Mitarbeiter des Libyschen Volksbüros habe in zwei Koffern sieben Handgranaten, zwei MP und drei Pistolen mit Schallschutz per Diplomatenauto nach West-Berlin gebracht.

Bei Mahmoud in der Wiener Straße hätten sich der Stasi-Kontaktmann „Nuri“, ein Mann namens „Derwisch“ und der Marokkaner Benali am 26.3. getroffen und das „La Belle“, Hauptstraße 78, als Zielobjekt gewählt: da hier „Bedingungen für den Rückzug der Attentäter über eine GÜSt zur Hauptstadt“ als günstig angesehen wurden. Da „Alba“ sich im Auftrag des MfS „teilweise unmittelbar“ an den Vorbereitungen beteiligt habe, wisse man über ihn die Attentäternamen. Die Nacht vom 5./6. April 1986 sei „Alba“ bei „Nuri“ gewesen, der in West-Berlin anrief und fragte, „ob es geklappt hat“, um dann im Foyer des „Berolina“ am Alex die Rias-Meldung zum Anschlag zu hören. Bei dem Anschlag wurden 28 Discobesucher schwer verletzt, drei Menschen starben.

Zur Startseite