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Karl-Heinz Kurras
© dpa

Versuchte Unterwanderung: Die Stasi kannte viele kleine Polizei-Geheimnisse

Einen Einfluss auf die West-Berliner Polizei hatte das MfS nicht, das haben Forscher der FU aufgedeckt. Nach dem Fall des Stasi-Agenten und Polizisten Kurras hatte Polizeipräsident Glietsch eine Untersuchung in Auftrag gegeben.

Er war einer von wenigen, dafür aber der Wichtigste. Der West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras hatte als Zuträger des Ost-Berliner Ministeriums für Staatssicherheit nicht seinesgleichen. Das ist eins der Ergebnisse der Studie „Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und die West-Berliner Polizei“. Der zur Freien Universität gehörende Forschungsverbund SED-Staat hat sie im Auftrag des Polizeipräsidenten Dieter Glietsch erstellt.

Ein weiteres Ergebnis: Kein Stasi-Mann hat es bis in die höheren Ränge der West-Berliner Polizei geschafft. Das MfS kannte viele Einzelheiten, hatte aber keine manipulative Kraft. Vor allem dieses Ergebnis nahm Glietsch mit einer Zufriedenheit hin: Die Studie habe „Sicherheit schaffen“ sollen, dass es keinen nennenswerten Einfluss der Stasi auf die Führung der Polizei im Westen gegeben hat. Das Ergebnis habe ihn „nicht überrascht“, so der Polizeipräsident – schließlich würden Polizisten in ihrer Karriere bei vielen Gelegenheiten überprüft.

Um so eifriger versorgten Polizeibeamte der unteren Dienstgrade die Stasi – auch wenn es nie besonders viele waren. Durchschnittlich zehn bis zwanzig Polizisten standen in den untersuchten Jahren 1950 bis 1972 im Dienst und im Sold des MfS, so die Studie. Laut Jochen Staadt vom Forschungsverbund war die Stasi an allem interessiert, was sie bekommen konnte: Fotos von Polizeiwachen, Namenslisten von Polizisten, biografische Einzelheiten, etwa zu finanziellen Verhältnissen, Ausstattung der Polizei, Waffendepots. Man habe so viel wie möglich für den Fall eines militärischen Angriffs auf West-Berlin wissen wollen – das sei die Strategie hinter der Informationsbeschaffung gewesen, so Staadt. Wäre es zu einem solchen Angriff gekommen, so der Historiker, hätte Kurras wohl mit seinem Führungsoffizier direkt zusammengearbeitet: Major Werner Eiserbeck, Kurras’ Mann beim MfS, sollte Dienststellenleiter in Schöneberg werden, wenn es die Stasi bis in den Westen geschafft hätte.

180 Aktenbände gehören zu dem ausgewerteten „Objektvorgang West-Berliner Polizei“. Dass es den Vorgang bei der Stasi-Unterlagenbehörde gab, wussten bis 2009 sogar in dieser Behörde nicht viele. Eine Historikerin stieß auf Berichte eines „Otto Bohl“ – und der erwies sich bei der Durchsicht der Akten als der Polizist Karl-Heinz Kurras, bis dahin bekannt als der Mann, der am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration den Studenten Benno Ohnesorg erschoss.

In der Debatte über Kurras und das MfS kam die Frage auf, ob die Stasi den Auftrag für die tödlichen Schüsse auf den Studenten Benno Ohnesorg gegeben hatte – nichts spricht dafür. Außerdem kam die Praxis der Stasi-Überprüfung früherer Volkspolizisten zur Sprache.

Polizeipräsident Glietsch erinnerte am Mittwoch daran: 9000 ehemalige Volkspolizisten waren 1990 in die Berliner Polizei übernommen worden. 7600 wurden damals auf eine Stasi-Belastung untersucht, mehr als 1100 deshalb entlassen. In einer weiteren Überprüfung wurden fast 3000 höhere West-Berliner Polizisten auf eine Zusammenarbeit mit der Stasi überprüft – das schien es nicht gegeben zu haben. Kurras konnte damals nicht mehr auffallen - er war bereits entlassen.

Noch immer sind nicht alle Stasi-Zuträger namentlich bekannt. Die jetzt veröffentlichte Studie enthält keine Klarnamen – die werden nur intern genannt. Glietsch zufolge soll nun die Staatsanwaltschaft prüfen, ob ehemalige West-Berliner Polizisten noch wegen Geheimnisverrat zu belangen sind. In einer weiteren Studie solle der Forschungsverbund nun die Zeit von 1972 bis 1989 untersuchen, sagte Glietsch. Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbunds, machte dem Polizeipräsidenten ein Kompliment : Die Polizei sei die erste staatliche Institution, die sich derart erforschen lasse. Und das Ergebnis der nächsten Studie sei „offen“.

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