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Kiezwohnzimmer. Im Metzer Eck in Prenzlauer Berg werden die Gäste noch mit Küsschen begrüßt.
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Berlin feiert 100 Jahre Metzer Eck: Trinken gegen Windmühlen in Prenzlauer Berg

Das Metzer Eck wird 100 Jahre alt. In der Kneipe lebt noch ein Prenzlauer Berg, das drum herum längst verschwunden ist. Die Kneipe erzählt ihre ganz eigene Geschichte - vom Kamillentee mit Schnaps bis hin zum Einheitssalat mit dem Einheitsdressing. Ein Besuch.

Um kurz nach acht kommt Skippy. „Ist nur sein Künstlername“, sagt Steffi, sie steht schon ein paar Stunden hinterm Tresen im Metzer Eck und natürlich hat sie die Stammgetränke ihrer mit Küsschen begrüßten Stammgäste im Kopf. „Nimmste wieder ’ne Milch?“ – „Nee, heute ’nen Kamillentee mit Schnaps!“ Skippy bekommt dann ein kleines Bier, „schmeckt ooch“, sagt Steffi.

Ja, es wird noch berlinert in Berlin, sogar hier, im Nordosten Berlins. Mitten in Prenzlauer Berg, wo Wolfgang Thierse so leidenschaftlich für Schrippen und gegen Wecken kämpft. Der Zeitgeist ist ein schwer greifbarer Zeitgenosse, was ihn doch schwer bevorteilt bei seinen Scharmützeln mit der Tradition. Im Metzer Eck hat sie durchgehalten. Ganz entspannt und unaufgeregt, ohne Werbekampagnen und Wehklagen. Anders als Thierse und seine Claqueure beschweren sich die Wirtsleute im Metzer Eck nicht über die neuen Zeiten. Sie nehmen sich nur die Freiheit, so zu bleiben, wie sie sind und waren. Mit kaum veränderter Speisekarte und ganz ohne Ostalgie, obwohl an der Wand ein alter Novomat hängt, ein DDR-Spielautomat aus dem Jahr 1956. Funktioniert er noch? „Na klar“, sagt Steffi, „musste nur mit Fünf-Cent-Stücken füttern.“ Ostgeld ist nich!

100 Jahre Metzer Eck

So viel Souveränität wird belohnt. Im Alltag von den Stammkunden und heute vom Kalender. Am 1. August feiert das Metzer Eck seinen hundertsten Geburtstag. Sylvia Falkner, die Chefin des Familienunternehmens, werkelt gerade an den Vorbereitungen und überlässt Steffi den Tresen. „Gibt ’ne große Party, aber es wird wohl auf ’ne geschlossene Veranstaltung hinauslaufen“, sagt Steffi. „Sind einfach zu viele Stammgäste!“ Um die 350 Leute passen ins Metzer Eck, aber nur bei schönem Wetter, wenn der Biergarten geöffnet ist. „Wenn’s am Donnerstag regnet, hamwa die Arschkarte gezogen.“

Wie es der Name verspricht und wie es sich für eine richtige Berliner Kneipe gehört, ist das Metzer Eck eine Eckkneipe. Metzer Ecke Straßburger, gut hundert Meter entfernt vom Wasserturm im Kollwitzkiez, wo die spätmoderne Erlebnisgastronomie den Prenzlauer Berg so unverwechselbar macht wie Potsdamer Platz, Schwabing oder Ballermann.

Wie vor 20 Jahren

Im Metzer Eck ist der Prenzlauer Berg noch so, wie er vor der schwäbischen Luxussanierung war. Ein bisschen rau, meist charmant und immer authentisch. So wie die schwarz getäfelten Wände. Der in den Tresen integrierte Kachelofen. Die Bierkrüge und Schnapsflaschen, die oben ins Regal gequetscht sind. Die Luke zum Keller hinterm Tresen. Die gerahmten Bilder mit den Windmühlen – sie erinnern daran, dass der Prenzlauer Berg mal Windmühlenberg hieß. Nichts arrangiert, alles gewachsen. Patina gibt es nicht im Baumarkt.

Sabine und Norbert kommen auf ein Feierabendbier vorbei. Beide wohnen sie schon seit Vorwendezeiten im Kiez, aber „ins Metzer Eck gehen wir eigentlich erst seit 1990“, sagt Norbert. „Ist die einzige Kneipe, die übrig geblieben ist. Sonst bekommste doch überall den Einheitssalat mit dem Einheitsdressing, überall ein bisschen anders arrangiert. Hier ist es noch wie früher.“ Soleier und Bratkartoffeln und Bouletten haben die BodegaBistroBars nicht im Angebot.

Auch im Metzer Eck haben sie nach der Wende überlegt, es so zu machen wie die anderen Budiker vom Kiez. Neues Mobiliar anzuschaffen, die Speisekarte aufzuhübschen und die Zapfhähne den neuen Brauereien aus dem Westen anzuvertrauen. Am Ende haben sie fast alles beim Alten gelassen und auch der Versuchung widerstanden, das schmiedeeiserne Gitter zwischen Vor- und Hinterraum rauszureißen. „Ich bin seit den Achtzigern hier, und da war das Ding schon da“, sagt Steffi. „Raumteiler hieß das in der DDR, komisches Wort.“

Manfred Krug und Otto Waalkes kommen schon lange nicht mehr

Das Szene-Berlin scheut den Weg an die Metzer Ecke Straßburger. Nicht hip genug. Die Skat- und Kniffelspieler, die Leute vom Sparverein, die Weeste-noch-damals-Rentner, die Studenten, die nicht erst nach dem Abitur hierhingezogen sind. Dass sich auch immer wieder Norweger, Amerikaner oder Japaner hierherverirren, liegt an der Empfehlung eines Reiseführers: „Eigentlich eine Alt-Berliner Kneipe am Prenzlauer Berg, zum Szenetreff für Ost und West mutiert. Blödel-Otto und Liebling Manne Krug waren hier und Kati Witt und viele andere, denn voll ist es immer, bei Erbsensuppe und Kammsteak.“

Spiel mir bloß nicht das Lied vom Tod! Auch Regisseur Sergio Leone (mit Brille) war im Metzer Eck zu Gast, im Juni 1986 anlässlich der Ost-Berliner Premiere von „Es war einmal in Amerika“.
Spiel mir bloß nicht das Lied vom Tod! Auch Regisseur Sergio Leone (mit Brille) war im Metzer Eck zu Gast, im Juni 1986 anlässlich der Ost-Berliner Premiere von „Es war einmal in Amerika“.
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Auf der Speisekarte suchen die Norweger, Amerikaner oder Japaner dann vergeblich nach Erbsensuppe und Kammsteak. Manfred Krug treibt sich, wenn überhaupt, nur noch in Charlottenburger Kneipen rum. Und dass Otto Waalkes eine Kinopremiere im Metzer Eck feierte, ist auch schon bald 30 Jahre her. Das Erfolgsgeheimnis des Metzer Ecks ist ja gerade, dass es kein Szenetreff ist. Keine BodegaBistroBar, von denen es zwischen Wasserturm und Kollwitzplatz so viele gibt wie Kinderwagen.

Sylvia Falkners Kneipe ist einer der letzten Zeitzeugen jener Epoche, in der eine Berliner Straßenecke nur dann eine gute Berliner Straßenecke war, wenn sie mindestens drei Eckkneipen hatte, besser vier. Das war so seit dem späten neunzehnten Jahrhundert, als Kapitalismus und Sozialismus in den Eckkneipen in friedlicher Koexistenz lebten. Vorne verdienten sich die großen Brauereien mit ihren Knebelverträgen dumm und dämlich, in den Hinterzimmern tagten die verbotenen Sozialdemokraten.

Seit 1913 in Familienbesitz

Das Metzer Eck ist ein bisschen älter, aber nur ein bisschen. Am 1. August 1913 erwarb Clara Vahlenstein eine Schanklizenz für ihre Destille in der Metzer Straße 33. Seitdem ist die Kneipe in Familienbesitz. Sylvia Falkner führt sie in der mittlerweile vierten Generation, und die einschneidendste Änderung war nach dem Krieg die Namensänderung von Vahlensteins Destille in Metzer Eck.

Die Sozialdemokraten sind nicht mehr verboten und den Eckkneipen geht es schlecht. Alle paar Tage macht eine dicht. Späti und Rauchverbot und Arbeitslosigkeit – die Liste der Eckkneipenfeinde ist lang. Überleben kann nur, wer solvente Stammkundschaft hat, und die hat ihre Ansprüche. Nur alt und billig zieht nicht. Am Ende entscheidet immer die Qualität. Auch im Metzer Eck.

Als Gastkritiker trat neulich auf: Frank Zander, der dem West-Berliner Fußballheiligtum Hertha BSC verpflichtete Sänger aus Neukölln. Er ist gleich an der Theke geblieben, auf ein erstes Bier, „das musste immer vorne trinken, genau da, wo die Leute durchwollen, Musiker stehen immer im Weg“. Später hat er sich dann doch nach hinten an den großen Ecktisch gesetzt und zwei Stunden lang abwechselnd Bier und Wodka bestellt und zwischendurch einen Brathering. „Gutes Essen, gute Preise, guter Laden“, sprach Zander zum Abschied. „Ist nicht so groß wie die Ständige Vertretung am Bahnhof Friedrichstraße, eben ’ne richtige Eckkneipe!“

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