Auf Kreuzberger Parkett: Große Probleme im kleinen Görlitzer Park
Es gibt Menschen, die sagen, der Görlitzer Park sei eine einzige Zumutung. Voller Müll und Drogen, bevölkert von Süchtigen und Besoffenen. Aber es gibt auch jene, die sagen, dieser Ort sei ein Geschenk.
Weshalb genau der Zopfträger die Frau jetzt „blöde Hexe“ schimpft, weshalb die auf einen anderen Parkbesucher einbrüllt und flucht, sie verachte Männer, weshalb der Dicke nebenan vom Osthang mit der Faust droht und wem eigentlich, lässt sich später nicht rekonstruieren. Sicher ist, was den Aufruhr auslöste: Eine zweite Frau, grauer Kapuzenpulli, hatte sich ohne Vorwarnung auf den Boden geworfen und eine Krähe gefangen. Die hielt sie dann fest, mit über Kreuz verschränkten Armen gegen ihre Brust gepresst, und versuchte, Richtung Parkausgang an der Wiener Straße zu türmen. Sofort bildete sich eine Menschentraube, die hinter der Frau her lief, auch ein paar Punks sprangen auf, wobei die einen applaudierten, die anderen lautstark die Freilassung des Vogels forderten. Am Ende war die Frau umzingelt, ihr blieb nichts anderes übrig, als die Krähe fliegen zu lassen.
Das Tier war schon den ganzen Nachmittag zwischen den Leuten, sagt einer. Vermutlich sei es von Hand aufgezogen und nun ausgesetzt worden, deshalb halte es nicht genügend Abstand. So werde es in diesem Park nicht lange überleben! Im Hintergrund brüllt die Frau immer noch. Von der Krähenfängerin ist nichts mehr zu sehen. Vom Vogel auch nicht.
Es gibt Menschen, die sagen, dieser Park in Kreuzberg sei eine einzige Zumutung. Mit seinem Müll, dem ungepflegten Rasen, der in den Sommermonaten wie eine Steppe wirken kann, aber eine mit vielen Kippenresten und anderem Unrat, dazu den Dealern, Süchtigen und Besoffenen, und den Jugendbanden, die gezielt Junkies ausrauben, die gerade auf Droge sind und kaum was merken. Dieser Park sei nicht mehr zu retten, glauben viele.
200 Meter nordwestlich vom Tumult um die Krähe entfernt steht Elias* auf dem Gehweg und wirkt verloren. Abwechselnd sieht er in alle Richtungen, er hofft, dass jetzt keiner vorbei kommt, der eine Dienstmarke trägt. Vor allem hofft er, dass Bob gleich zurückkommt. Oder jedenfalls der dunkelhäutige Mann mit Baseballkappe, der sich eben als Bob vorgestellt hat. Dem gab er nämlich 20 Euro, bevor der ins Gebüsch verschwand.
Dealen im Görlitzer Park, das sei ziemlich „lässig“, findet Elias. Gar nicht so ruckzuck wie in Fernsehserien, wo einer das Geld nimmt und ein zweiter Sekunden später das Marihuana übergibt. Nein, hier wird bezahlt, dann verschwunden – und gewartet. Elias hat die Hände in den Taschen seiner Shorts versteckt. Als Bob tatsächlich wieder auftaucht und das versprochene Tütchen übergibt, bittet er noch, Elias solle wiederkommen und das nächste Mal gezielt nach ihm fragen. Zur Verabschiedung stoßen sie ihre Fäuste gegeneinander. Das wirkt jetzt aber schon wie im Fernsehen.
Der Drogenkäufer weiß nichts von Razzien.
Elias, 30, Schwede, arbeitet seit zwei Jahren als Software-Entwickler in Berlin, wohnt im Wedding, bekam von Freunden die Empfehlung, das Marihuana aus dem Görlitzer Park sei zwar nicht hochwertig, aber zumindest okay. Von Konflikten hier hat er nichts gehört, er liest keine Zeitung und guckt kein Lokalfernsehen, er spricht ja immer noch kein Deutsch. Das wird langsam echt peinlich, sagt er. Jedenfalls hat Elias nichts mitbekommen von den Razzien, von lästigen Drogenverkäufern und genervten Anwohnern, von besorgten Eltern, die nicht möchten, dass an beiden Eingängen des Spielplatzes, keine fünf Meter vom Tor entfernt, die Dealer stehen. Deren Empörung könne er nachvollziehen, sagt Elias, das sehe hier für ihn auch eher wie ein „adults-park“ aus. Ein Park für Erwachsene. Und dass es ihm leid tue, wenn er selbst zur Aufrechterhaltung der Missstände beitragen sollte. Dass er es aber sicher wieder tun werde.
Es gibt auch Menschen, die sagen, der Görli sei eine Verheißung und ein Geschenk. Gerade weil er nicht so steril daherkomme wie andere Parks. Weil er ein ehrlicher Ort sei, einer der immer seltener werdenden Freiräume, in dem es sich prima austoben lässt. In dem Hunde frei herumlaufen können, obwohl das ebenso verboten ist wie in allen anderen Berliner Grünanlagen, bloß ermahnt einen hier keiner, weil es drängendere Probleme gibt.
Die Zahl der Dealer im Görlitzer Park steigt
Man dürfe sich aber nichts vormachen, sagt Regina Steinbrenner, 48, Kellnerin, Anwohnerin. Mit den Dealern sei es dieses Jahr deutlich schlimmer geworden. Früher hätten die eher den Westteil der Anlage bevölkert, inzwischen werde man vom einen Ende zum anderen alle 30 Meter angesprochen, ob man nicht etwas kaufen möchte. Selbst außerhalb des Parks stünden sie nun, etwa auf dem Spreewaldplatz direkt vor dem Schwimmbad, jeden anquatschend, der nur halbwegs alt genug aussehe. Ihre Nachbarin gehe bloß noch vormittags in den Park, die sei aber auch über 70.
Regina Steinbrenner selbst hat keine Angst, und wenn sie gefragt wird, wer sie am meisten nervt, dann muss sie nicht lange überlegen: die Griller. Die würden ebenfalls immer mehr, und aggressiver, vor allem untereinander, weil sie an Sommertagen zu wenig Platz für ihre Gelage fänden. Die Griller mit den Einmalgeräten würden angepöbelt, weil die Dinger angeblich zu gefährlich seien. Behaupten jedenfalls die mit den richtigen Grills. Regina Steinbrenner hätte gern mehr Ordnungskräfte, die das Gefühl von Sicherheit geben. Besser keine Polizisten, das passe nicht nach Kreuzberg. Aber es gebe doch sicher irgendeine Parkbehörde, die wen schicken könne, oder?
Wofür die Ruine des Pamukkale-Brunnens steht.
Es gab Versuche, den Park zu retten. Anwohner haben Obstbäume gepflanzt, Müll weggeräumt. Der Bezirk ließ Wege befestigen und Beleuchtung anbringen, gab Geld für Initiativen. Die Ruinen des Pamukkale-Brunnens wurden mit Kronkorken beklebt, um daraus ein Kunstwerk zu machen.
Dieser Brunnen zeigt wie kein anderer Ort auf dem Gelände, dass dies nicht der Park geworden ist, den sich die Planer vorgestellt hatten: Vor 15 Jahren wurde der Brunnen in Betrieb genommen, das Wasser floss wenige Wochen, dann bröckelte der portugiesische Kalksandstein. Die Leitungen wurden abgedreht, das war’s. Heute sind nur die Steinblöcke übrig, immerhin bieten sie Sprühflächen für Graffiti, „Fuck Yuppies“ steht dort und die Liebeserklärung an eine „Ullrike“. Schräg gegenüber, Richtung Spielplatz, stehen Bob und seine Kollegen.
Wenn einer erklären kann, wie der Park sich über die Jahre verändert hat, dann ist es Herbert Schmidt, 58, Anwohner. Die Menschen im Park nennen ihn „Mr. Frisbee“ oder „Frisbee-Jesus“, denn jeden Nachmittag ab vier trifft er sich, wenn es nicht regnet, in der Kuhle in der Parkmitte zum Kunststoffscheibenwerfen. Heute sind auch Tommy und Timor und Matze da, sie haben sich hier alle kennengelernt.
Was also hält Frisbee-Jesus von den Dealern, sind die gefährlich? Das nicht, sagt er. Kurze Pause. „Aber zugegeben, sie nerven mich.“ Weil sie ihn jeden Tag aufs Neue ansprechen, ob er nicht etwas kaufen wolle. Nachmittags beim Herkommen und abends auf dem Heimweg. Seit zehn Jahren. Die könnten sich wirklich merken, dass er kein Kunde sei, sagt er.
Herbert Schmidt fürchtet um seinen Park. Könnte passieren, dass der irgendwann zubetoniert wird, sagt er. Dass dann hier Luxuswohnungen gebaut werden, weil doch alle nach Kreuzberg wollen. Schon jetzt sieht Schmidt, wie sich das Parkpublikum verändert. Einerseits mehr Touristen, andererseits Zugezogene. Er bemerkt das an den Designerklamotten und den Schuhen und den Frisuren. „Ich denke“, sagt er, „nicht die Zustände im Park sind schlimmer geworden, sondern die Parkbesucher sind andere.“ Die wollten zwar das coole, alternative Kreuzberg haben, aber eben die Zuckerwatte-Version, in der nichts stört und nichts wehtut.
Eine junge Frau kommt vorbei. Sie trägt einen Bastkorb, ihre Brille ist so groß, sie droht von der Nase zu rutschen, als sie sich nach vorne beugt. „Willst Du einen Haschkeks?“ Lydia sieht nicht aus, wie man sich eine Dealerin vorstellt, aber sie macht das auch noch nicht lange. Vor zwei Wochen kam sie nach Berlin, will den Sommer in der WG ihrer Freundin verbringen, hat aber kaum Geld. Von den letzten 30 Euro hat sie Marihuana gekauft, gleich drüben am Westeingang bei der hässlichen Brunnenruine. Dann ist sie nach Hause und hat Brownies gebacken und das Zeugs reingerührt. Die Kekse verkauft sie einzeln, in Frischhaltefolie verpackt: die kleineren für drei, die etwas größeren für vier Euro.
Der Dealer spielt mit seinem Polizeiauto.
Sonderbar, sagt sie, bis jetzt wollten alle nur die Größeren. Und noch etwas hat sie verwundert: Eine Kundin wollte wissen, ob die Kekse Biokost seien. Sind sie nicht. Ein Polizeiauto fährt vorbei, in hohem Tempo. Lydia denkt gar nicht daran, ihren Korb abzudecken. Auch sie hat bislang nichts von Konflikten oder Razzien im Görlitzer Park gehört. Nur dass hier Leute bereit seien, Drogen zu kaufen. Einen Haschkeks hat sie einem afrikanischen Dealer verkauft. Der hat gelacht, sagt sie.
Dass auch Drogenverkäufer Sinn für Humor besitzen, ist nicht zu übersehen. Am Vortag hat einer, Richtung Osteingang, ein ferngesteuertes Spielzeugauto mitgebracht und es ständig den Passanten vor die Füße gelenkt. Es war ein blaues Polizeiauto, ausgerechnet, der Mann hat nicht mehr aufgehört zu grinsen. Drüber sprechen wollte er nicht.
Dafür aber Pascal.* Mit einem Bekannten sitzt er am mittleren Parkeingang zur Görlitzer Straße auf einer Steinplatte. Es riecht nach Urin, das könnten die Hunde gewesen sein oder Parkbesucher, die sich im Schutz der nahegelegenen Mauer erleichtert haben. Pascal wirkt viel gepflegter als seine Umgebung: sauberes Hemd mit dünnen Streifen, Blue Jeans, Spiegelsonnenbrille. Von seiner Position aus kann er die Gäste des Restaurants „EckbertZwo“ beobachten, die scheinen heute schon beim Essen zu schwitzen. Im Grunde sei er gar kein richtiger Dealer, sagt Pascal. Zehn Minuten später wird er einen Kunden bedienen. Jedenfalls: Der Druck steige gewaltig, sagt er. Zu viele Dealer, zu viel Stress.
Pascal stammt aus der Nähe von Conakry, der Hauptstadt Guineas in Westafrika, 5400 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt. Warum er hier gelandet ist, will er nicht erzählen, er findet, man brauche nur eines zu wissen: keiner, ausnahmslos keiner der afrikanischen Dealer in diesem Park sei nach Deutschland gekommen, um mit Drogen zu dealen. Und jeder sei gezwungen worden, seine Familie zu verlassen, wegen Verfolgung, wegen Krieg oder Armut, aus Hunger.
Von einer anderen Parkbank hat sich ein weiterer Dealer hinzugesellt, seine Zähne sind schlecht, er sagt, er arbeite seit sieben Jahren im Park. Der Mann, ein Tunesier, wirkt aggressiv, unterbricht Pascal und fragt, ob er kurz das Notizbuch haben kann. Und auch den Kugelschreiber. Er wolle etwas wichtiges mitteilen. Er schreibt: „We are survivors.“
Die Folgen der Residenzpflicht
Wir leiden, sagt Pascal. Weil sie alle nach deutschem Asylrecht nicht arbeiten dürfen. Das verstehe er auch, aus Sicht der Deutschen ergebe das Sinn! Aber für sie selbst sei es brutal. Zum Beispiel, wenn sie ihre Residenzpflicht verletzten und von der Polizei an einem Ort aufgegriffen würden, der außerhalb des Lochs von Asylantenheim im Niemandsland liege, in das man gesteckt worden sei. Dann müsse man 100 Euro Strafe bezahlen, doch von welchem Geld? Es werde den Asylbewerbern in diesem System so verdammt leicht gemacht, mit dem Dealen anzufangen. „Es macht mich manchmal so wütend, darüber zu sprechen“, sagt Pascal. „Weil die Dinge so klar liegen.“ Gerade jetzt habe er aber keine Kraft, wütend zu werden. Schließlich ist Ramadan.
Ein dritter Mann in der Runde sagt, sie könnten letztlich alle froh sein, dass die Polizei im Park Präsenz zeige. Gäbe es hier keine Beamten, sähe es schnell ganz anders aus, und gefährlich würde es, für die normalen Parkgänger, für die Drogenkäufer, aber ganz besonders auch für die Dealer. Weil sich dann Banden bildeten und blutige Revierkämpfe ausbrächen, und es würde eher Wochen als Monate dauern, bis es die ersten Toten gäbe.
Das ist schon sehr seltsam in diesem Görlitzer Park. Da geraten sich seine Besucher über eine einfache Krähe in die Haare und kurz darauf sieht man sich mit den Fragen europäischer Asylpolitik konfrontiert. Ganz schön große Probleme für einen so kleinen Park.
* Name von der Redaktion geändert
Erschienen auf der Reportage-Seite.