Berlin-Charlottenburg: Hotel vor dem Aus: Bogota darf nicht sterben!
Dieses Hotel am Kurfürstendamm hat die Geschichte des 20. Jahrhunderts begleitet. Nun soll es verschwinden.
Man reibt sich die Augen und erkennt seine eigene Stadt nicht mehr. Wer das kurze Stück zwischen Olivaer Platz und Bleibtreustraße entlangläuft, kommt an Gucci und Bulgari vorbei, an Cartier, Chanel, Dolce & Gabbana, Hermès, Burberry, Rolex, Louis Vuitton, Armani, Prada, Jil Sander, Max Mara, Bally, Porsche, René Lazard, Strenesse, Rena Lange … Ist das nun der Kurfürstendamm oder die Champs-Élysées? Könnte auch die Fifth Avenue sein. Außen: alte Fassade. Innen: hochmodern. Bevorzugte Farben: schwarz und gold, auf Hochglanz poliert. Der Alte Westen wird wieder neu entdeckt. Und glatt geschleckt.
Mittendrin, in der Schlüterstraße 45, liegt das Hotel Bogota mit seinem markanten Baldachin. Ein Schmuddelkind, das so ist wie Berlin: ein Haus voller Risse und Wunden und sichtbarer Flicken, schäbig und schön, bis unters Dach vollgestopft mit Geschichte, die hier noch zu sehen, zu riechen, zu spüren ist. Unterm Dach hatte die legendäre Modefotografin Yva ihr Atelier, in dem ihr Schüler Helmut Newton die, wie er sagte, vielleicht glücklichsten Jahre seines Lebens verbrachte, bevor er aus der Stadt getrieben wurde. Unten wohnte der jüdische Kunstsammler und Fabrikant Oskar Skaller, der Benny Goodman für seine legendären Partys engagierte, 1942 zog die Reichskulturkammer ein, mit SS-Mann Hans Hinkel an der Spitze, nach dem Krieg die Entnazifizierungsstelle für Kulturschaffende, der Kulturbund, schließlich Pensionen. Ein Heimkehrer aus dem kolumbianischen Exil nannte sie Bogota. Seit 1976 führt Familie Rissmann das ganze Haus als Hotel, inzwischen ist Sohn Joachim Direktor. Das Bogota ist, wie Berlin, ein demokratischer Ort, an dem der Pensionär für 40 Euro im Zimmerchen ohne Bad Wand an Wand mit Filmstar Rupert Everett schläft, der das Bogota „My favorite hotel in the world“ nennt.
Arm, aber sexy: Das ist in Wirklichkeit längst nicht so romantisch, wie es klingt. Seit Jahren hat die Familie zu kämpfen angesichts des mörderischen Hotelmarktes in Berlin und kontinuierlicher Mieterhöhungen. Seit ein paar Monaten können die Rissmanns ihre Miete nicht mehr zahlen, erst kam die Kündigung, in dieser Woche die Räumungsklage von Besitzer Thomas Bscher.
Es geht an dieser Stelle nicht darum, wer was getan, gesagt oder versäumt hat, darum kümmern sich jetzt erst mal die Anwälte. Es geht darum, sich klarzumachen, was die Stadt preisgeben würde, wenn dieses Denkmal verschwände. Denn was weg ist, ist weg. So wie die Mauer, der jetzt alle Krokodilstränen nachweinen. Ach, hätte man doch ein paar Meter mehr als Denkmal stehen gelassen. Ach, hätte man. Aber man hat es eilig gehabt mit der Entsorgung der Vergangenheit. Statt zu hüten, was da ist, kultiviert man eine Kultur des Als-ob: baut sich ein neues Schloss und eröffnet ein Romanisches Café, das mit dem legendären Kaffeehaus so viel zu tun hat wie das „Venice“ in Las Vegas mit dem italienischen Original.
Was heißt schon Denkmalschutz?
Wie die Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit aussehen wird, kann man gleich nebenan sehen. Dort, wo einmal ein Teil der Hotelrezeption war, ist heute ein edler Küchen- und Bäderladen. Riesige moderne Fenster wurden in die alte Fassade geschlagen, für einen freien Blick in den eleganten Showroom, der in Mailand genauso aussähe. Im frisch sanierten Cumberland um die Ecke residieren jetzt Anwaltskanzleien, Immobilienbüros und Firmen mit Namen wie „5 Star Enterprise Inc.“
Das Haus von 1911 steht unter Denkmalschutz. Aber was bedeutet das schon, im Zweifelsfall bleibt am Ende nicht viel mehr als die Hülle stehen. Man muss sich nur umgucken, was am Ku’damm schon alles verschwunden ist: Ins Astor-Kino zog Tommy Hilfiger ein, aus dem Marmorhaus wurde Zara, im Gloria Palast sitzt Benetton, in der alten Filmbühne Wien wurde gerade der Apple Store eröffnet, im Café Kranzler hockt Gerry Weber, im alten Café Möhring H&M und wer weiß, was aus dem Cinema Paris wird. Wie viele Benettons gibt es auf der Welt? Wie viele H&Ms? Und wie viele Bogotas?
Es geht hier nicht um Nostalgie, gar die Mumifizierung des alten West-Berlin. Es geht auch um mehr als den Erhalt eines liebenswerten Hotels, das vor ein paar Jahren zum freundlichsten der Stadt gewählt wurde. Nicht darum, aus der Stadt ein Museum zu machen, sondern im Gegenteil: sie lebendig zu halten. So wie Joachim Rissmann es vorgemacht hat, indem er die Geschichte gehegt und weiterentwickelt, das Bogota zum Haus der Kultur und Fotografie von heute gemacht hat und mit offenen Armen all die Fotografen und Filmemacher empfängt, die hier Aufnahmen machen wollen, weil das Haus – anders ist. Patina hat. Selbst wer noch nie hier gewesen ist, hat das Hotel vermutlich schon gesehen: in „Vanity Fair“ und „Zeit Magazin“, in „Playboy“, „Brigitte“ und „Vogue“, im Video von Rosenstolz, im Fernsehkrimi mit Eva Mattes.
Nein, es geht um Berlin. Um die Verantwortung gegenüber der eigenen Vergangenheit und der Zukunft der Stadt. Touristen und Künstler aus aller Welt strömen ja nicht nach Berlin, weil man hier das gleiche T-Shirt wie in Reutlingen kaufen kann.
Behutsame Stadterneuerung hieß das Zauberwort der 80er Jahre, mit dem große Teile Kreuzbergs vor dem Abriss bewahrt wurden. Das ist anstrengend, zeitraubend und nicht profitorientiert. Aber es lohnt sich. Hätte die IBA-Alt, mit dem feurigen Hardt-Waltherr Hämer an der Spitze, nicht so hartnäckig den sanften Umbau verfolgt, wären viele der heute so begehrten Altbauten verschwunden, sähe halb Kreuzberg so aus wie am Kottbusser Tor.
Eigentümer und Mieter, Kultur und Politik und Bürger Berlins müssen sich zusammensetzen und überlegen, was man für die Öffentlichkeit retten kann. Eine Etagenpension Bogota? Das Studio von Yva, die vor genau 71 Jahren, am 1. Juni 1942, nach Majdanek verschleppt und ermordet wurde? „Zerstörte Vielfalt“ heißt der Veranstaltungsreigen, mit dem gerade an die Folgen von Hitlers Machtantritt vor 80 Jahren erinnert wird, auch das Bogota beteiligt sich mit Lesungen. Einfalt haben wir genug.
Mehr Informationen zur Geschichte des Hotels sowie Ausstellungen und Veranstaltungen gibt es hier. Am 7. Juli um 17 Uhr ist Joachim Rissmann Gast der "ErzählBar" im Buchhändlerkeller, Carmerstraße 1, Charlottenburg.
Achtung: Am Mittwoch, den 19. Juni, lädt der Tagesspiegel zum "Streitgespräch über die Entwicklung der City West". Es diskutieren u.a. Reinhard Naumann, Bürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, Joachim Rissmann, Chef des Hotels Bogota, und Tagesspiegel-Autor Harald Martenstein. Ab 20 Uhr im Verlagshaus am Askanischen Platz 3, Anmeldung unter Telefon (030) 290 21 -520.
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