Denn sie wissen, was sie tun: Staatsanwalt: Jugendliche Alkoholkäufer sind selbst verantwortlich
Das Verfahren gegen einen Spätkauf-Besitzer, der Alkohol an Jugendliche verkauft hatte, wurde eingestellt. Die Staatsanwaltschaft argumentiert, der Junge, der sich im Rausch erheblich verletzte, sei reif genug gewesen, die Folgen seines Handelns zu überblicken. Der Vater des 15-Jährigen findet das weltfremd.
Wer Minderjährigen hochprozentigen Alkohol verkauft, macht sich nicht der fahrlässigen Körperverletzung schuldig - auch wenn der Jugendliche sich im Vollrausch verletzt. Das geht aus einer Erklärung der Berliner Staatsanwaltschaft hervor. Darin geht es um die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Spätdienst-Verkäufer, der einem 15-Jährigen Wodka verkauft hatte. Eine Verurteilung sei unwahrscheinlich, da der Junge gewusst habe, was er tut, argumentiert die Staatsanwaltschaft.
18 Mal wurden Betreiber von Spätkaufläden, Discos, Kneipen oder Supermärkten im vergangenen Jahr wegen des Verdachts auf Körperverletzung und ähnlicher Delikte angezeigt, weil sie Minderjährigen hochprozentigen Alkohol verkauft hatten. Und mindestens zehn Minderjährige sind 2013 wegen Alkoholmissbrauchs im Krankenhaus gelandet – zumindest sind das die Fälle, die bei der Polizei aktenkundig wurden, weil eine Anzeige folgte.
Was so eine Anzeige bringt? Nach den Erfahrungen einer betroffenen Familie nicht viel. Das berichtet Rupert Reinhardt, Immobilienmakler und Vater eines 16-jährigen Sohnes. Der Heranwachsende hatte sich im vorvergangenen Sommer zu seinem 15. Geburtstag in einem Spätkauf am Adenauerplatz in Charlottenburg eine Flasche Wodka besorgt. Es handelt sich um eben jenen Spätkauf, dessen Betreiber kürzlich erfolglos vor Gericht gegen den Beschluss des Bezirks geklagt hatte, ihm die Gewerbeerlaubnis zu entziehen.
Mit dem Wodka zog der 15-Jährige an jenem Junitag 2012 weiter zu einer Party mit Freunden am Schlachtensee. Dort betrank er sich hemmungslos – und stürzte im Rausch so unglücklich, dass er sich erheblich verletzte. Die Eltern erstatteten Anzeige gegen den Wodka-Verkäufer, nach Rücksprache mit der Polizei sogar wegen fahrlässiger Körperverletzung.
Ein knappes halbes Jahr später bekam die Familie Post von der Staatsanwaltschaft. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, „da kein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten besteht“. Die Begründung der Staatsanwaltschaft machte den Vater fassungslos. Eine Verurteilung sei unter anderem deswegen unwahrscheinlich, so die Staatsanwältin, weil der 15-Jährige reif genug gewesen sei, „die Tragweite seiner Entscheidung“ zu überblicken. Der Jugendliche habe seinen Rausch quasi bei vollem Bewusstsein angestrebt und, wie es im Juristendeutsch heißt, „an dessen Verursachung im Wege einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung mitgewirkt“.
Rupert Reinhardt findet das „weltfremd“, wie er sagt. Wieso gibt es dann ein Jugendschutzgesetz, das den Verkauf von hochprozentigem Alkohol an Jugendliche unter 18 Jahren verbietet? Wenn ein Verkäufer dieses Gesetz missachte, müsse er für die Folgen des Alkoholverkaufs verantwortlich sein, sagt er.
Die Staatsanwaltschaft hingegen ist der Meinung, dass ein 15-Jähriger bereits eine „geistige Reifeentwicklung“ hinter sich hat, die es ihm ermöglicht, die Folgen seines Handelns einzuschätzen. Weitere Nachfragen zu dem Fall und auch dazu, wie oft mit ähnlichen Begründungen Ermittlungsverfahren wegen des Alkoholverkaufs an Minderjährige eingestellt werden, konnte die Staatsanwaltschaft am Montag nicht beantworten.
Neben Polizei und Staatsanwaltschaft beschäftigt der Alkoholverkauf an Jugendliche immer wieder auch die Ordnungsämter der Bezirke. Die sehen sich mit der Kontrolle allerdings überfordert. „Wir haben im Bezirk 4000 Verkaufsstellen für Alkohol – und zwei Mitarbeiter im Außendienst, die den Jugend- und Nichtraucherschutz kontrollieren“, sagt der Ordnungsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Peter Beckers (SPD). Sein Bezirk war einer von fünf, in denen eine 14-jährige Testkäuferin des Tagesspiegels am vergangenen Freitagabend problemlos Alkohol, teils hochprozentig, kaufen konnte.
Die Kontrolleure des Ordnungsamtes seien zwar oft nachts in Zivil unterwegs, um derartige Fälle mitzubekommen, sagt Stadtrat Beckers. Aber es sei schwierig, in dem Moment am richtigen Ort zu sein, in dem der Alkohol über die Theke geht. Das sei bei Supermärkten kaum ein Problem, da dort inzwischen oft automatisch eine Lampe leuchtet, wenn Alkohol und Zigaretten gekauft werden – die erst herausgegeben werden, wenn der Kunde sein Alter nachweisen kann. Bei Kiosken und „Spätis“ sei dies aber nicht der Fall. Die stünden zudem unter stärkerem Konkurrenzdruck und hätten oft weniger gut geschultes Personal, sagt Beckers.
Elf Beanstandungen habe es im vergangenen Jahr in Friedrichshain-Kreuzberg gegeben, zwei Mal wurde wegen des Verkaufs von Hochprozentigem an Jugendliche ein Bußgeld von 500 Euro verhängt. Wie die Quote verbessert werden kann? Unter anderem durch eine Neuordnung der Geldzuweisung zwischen Land und Bezirken, sagt Beckers. Bislang könnten die Bezirke präventive Aufgaben beim Land nicht abrechnen. Ungeachtet dessen will sein Bezirk auch andere Methoden ausprobieren. So wolle man künftig, wie es bereits andere Bezirke getan haben, jugendliche Polizei-Azubis auf Testkäufe schicken, um die Verkäufer auf frischer Tat zu ertappen.
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