Gestohlene Krebsmedikamente: Spuren im Brandenburger Pharmaskandal führen zur Mafia
Neue Details zum Skandal um Lunapharm: Der Medizin-Großhändler hat nach Tagesspiegel-Informationen womöglich auch Krebsmedikamente vertrieben, die in Italien gestohlen wurden.
Nun auch noch Spuren zur Mafia: Der Skandal um den brandenburgischen Medizin-Großhändler Lunapharm und Versäumnisse von Aufsichtsbehörden des Landes unter Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) bekommt eine immer größere internationale Dimension. Nach Tagesspiegel-Informationen könnte die Firma mit Sitz in Mahlow auch gestohlene Krebsmedikamente aus Krankenhäusern Italiens vertrieben haben – und nicht allein aus Griechenland, wie bislang angenommen.
Das geht aus einem E-Mail-Verkehr der vergangenen Tage zwischen Gesundheitsbehörden Deutschlands und Italiens hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt. Brisant: Die Behörden sehen darin den Beweis, dass Lunapharm gewusst haben muss, mit Diebesgut zu handeln. Das könnte relevant werden im laufenden Prozess um den Entzug der Betriebserlaubnis, wogegen die Firma vor dem Verwaltungsgericht Potsdam klagt. Ein Urteil soll nächste Woche fallen.
Konkret geht es um das Brust- und Magenkrebsmedikament Herceptin. Bei den jüngsten Durchsuchungen der Firma, gegen die wegen Verdachts auf Hehlerei ermittelt wird, waren vom Landeskriminalamt auch Lieferlisten, Rechnungen und CDs beschlagnahmt worden. Danach hat Lunapharm im Mai, Juni und Juli 2018 – also kurz vor dem Auffliegen des Skandals – in Deutschland Herceptin verkauft, das aus Italien bezogen worden war.
Dort hatte es vor einigen Jahren massive Medikamentendiebstähle aus Krankenhäusern gegeben, für die italienische Behörden die Mafia verantwortlich machten. Seit 2014 steht Herceptin aus Italien, dort nur in Krankenhäusern verwendet, wegen der Diebstähle auf einer roten Liste im Warnsystem der EU-Gesundheitsbehörden. Damit soll der Vertrieb bestimmter Medikamente unterbunden werden.
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Seit damals gibt es eine solche Warnmeldung. Nun wurden die Listen abgeglichen. Und mit der Antwort der italienischen Gesundheitsbehörde AIFA vom 1.August 2018 auf Anfrage des Paul-Ehrlich-Instituts, des Bundesinstituts für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, gerät Lunapharm weiter ins Zwielicht: „Es bestand keine Möglichkeit, Herceptin auf legalem Weg aus Italien einzuführen“, heißt es in der Mail. Das wisse seit 2014 jeder Händler in Europa oder müsste es wissen.
Es folgt eine persönliche Einschätzung des Experten aus Italien: Jeder, der Herceptin aus Italien in Verkehr bringe, sei „fraglos Teil des kriminellen Netzwerkes“. Es sind brandaktuelle Erkenntnisse, die nun im Ringen um die Betriebserlaubnis für Lunapharm eine Rolle spielen. Denn der bisherige Bescheid des Landesamtes für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit ist juristisch so dünn, dass er vor dem Verwaltungsgericht wohl aufgehoben wird.
Widersprüche in den Papieren
Wie berichtet, hat das Gericht dies dem Landesamt für Gesundheit und Soziales – es untersteht direkt dem Golze-Ministerium – bereits signalisiert und um Aussetzen der Vollstreckung gebeten. Der mangelhafte Bescheid wird in Brandenburgs Regierung intern damit erklärt, dass wegen „Gefahr im Verzug“ schnell habe gehandelt werden müssen, um weiteren Schaden abzuwenden. Tatsächlich waren bei den Kontrollen einer Lieferung von Lunapharm nach Bayern just in diesen Tagen Widersprüche zwischen den Medikamenten und den Frachtpapieren festgestellt worden. Nun ist ein neuer Bescheid in Vorbereitung, um Lunapharm im zweiten Anlauf die Betriebserlaubnis juristisch unangreifbar zu entziehen. Dort sollen die neuen Erkenntnisse der Behörden zu den gestohlenen Medikamenten aus Italien einfließen.
Das Verwaltungsgericht hatte Brandenburgs Gesundheitsbehörde gebeten, den Bescheid mit Blick auf das laufende Verfahren nicht zu vollstrecken. Eine Bitte, auf die das Ministerium bislang nicht reagiert hat. „Der Bescheid ist, da er weder vom LAVG aufgehoben wurde, noch das Verwaltungsgericht eine Entscheidung im Eilverfahren getroffen hat, immer noch wirksam“, erklärte Sprecherin Marina Ringel. „Das bedeutet: Lunapharm darf nicht herstellen oder handeln.“
Tatsächlich waren am Freitag – bei einem Halbstundencheck dieser Zeitung – am Sitz von Lunapharm in Mahlow keinerlei Aktivitäten zu beobachten. Das Wohn- und Geschäftshaus mit zwei Garagen, wo Lunapharm mitten in einer Einfamilienhaussiedlung seinen Medikamentenhandel betrieb, wirkte verwaist. Schon seit Tagen seien keine Kühllaster mehr gesehen worden, sagte eine Anwohnerin. Das Telefon war unbesetzt, ein Anrufbeantworter in Betrieb. Auf die Bitte des Tagesspiegels wegen aktueller Recherchen zurückzurufen, erfolgte keine Reaktion.
Wegen des Pharmaskandals gab es am Freitag eine interne Telefonkonferenz von Ministerpräsident Dietmar Woidke mit Landtagsfraktion und Landesvorstand der SPD, wo die Unruhe ebenfalls groß ist. Er vertrat dort die Linie der kritischen Distanz, nach der Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) den Skandal zügig aufräumen und aufklären muss. Was danach kommt, ließ er offen.