Kopftuch-Erlaubnis im Gerichtssaal: SPD wirft Behrendt Alleingang und Respektlosigkeit vor
Die Kopftuch-Entscheidung von Justizsenator Dirk Behrendt sorgt für heftigen Streit in der Koalition. Auch die CDU spricht von einem "Akt exekutiver Arroganz".
Im Berliner Abgeordnetenhaus ist am Donnerstagabend die Kopftuch-Erlaubnis für angehende Richterinnen und Staatsanwältinnen in Gerichtssälen heftig kritisiert worden – aus Teilen der rot-rot-grünen Koalition. SPD-Rechtsexperte Sven Kohlmeier ging Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) frontal an, Grüne und Linke verteidigten ihn dagegen
Kohlmeier warf Behrendt den Bruch von Verabredungen im Senat, Alleingänge und Respektlosigkeit vor. Er sei überrascht worden von Behrendts Erklärung zur Kopftuchfreigabe, sagte der SPD-Rechtsexperte. Dabei sei im Senat verabredet worden, die schriftliche Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts zum Berliner Neutralitätsgesetz abzuwarten und „mit einer Stimme“ zu sprechen. „Und abgemacht war offenbar nicht, dass da Alleingänge seitens der Justizverwaltung gemacht werden“, sagte Kohlmeier. Vielmehr habe Behrendt Absprachen „unterlaufen“.
Wegen der unterschiedlichen Auffassungen der Koalitionsparteien zum Neutralitätsgesetz „steht nichts dazu im Koalitionsvertrag“, sagte Kohlmeier. „Nur, Herr Senator Behrendt, man gewinnt so eine politische Auseinandersetzung nicht damit, indem man hier Alleingänge macht und eine eigene Agenda verfolgt. Und man gewinnt so eine Diskussion auch nicht, Herr Senator, wenn heute im Laufe des Tages der Pressesprecher der Justizverwaltung versucht, irgendwelche Nebelkerzen zu werfen, die mich den ganzen Tag heute beschäftigt haben.“
Die Kopftuch-Erlaubnis „kommt relativ überraschend zu einem Zeitpunkt, der unglücklich ist im Hinblick darauf, welche Verabredung Sie im Senat hatten“. Zwar hätten der Präsident des Kammergerichts und der Präsident des Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamtes die Kopftucherlaubnis für Referendarinnen erteilt.
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„Aber wenn wir da mal konkreter nachfragen, aus ihrem Haus gab es durchaus die Bestrebungen und den Wunsch, dass es da entsprechende Änderungen gibt“, sagte Kohlmeier. Der Gesamtpersonalrat der Justiz und die Richterschaft hätten „sich sehr deutlich dazu geäußert“, dass „sämtliche religiösen Symbole im Gerichtssaal nicht gewünscht sind“. Es sei „respektlos gegenüber den Senatskolleginnen und Senatskollegen, was hier passiert ist“.
CDU: "Grüne Trumpisierung"
CDU-Rechtexperte Sven Rissmann warf Behrendt einen „Akt exekutiver Arroganz und Überheblichkeit“ vor, „wie ich ihn noch nicht erlebt habe“. Wesentliche Teile des Staates und Kernfragen des Zusammenlebens könnten nur im Parlament geregelt werden. Das vom Abgeordnetenhaus verabschiedete Neutralitätsgesetz gelte weiterhin. Das Kopftuch berge „im Schulbetrieb Konfliktpotenzial“, spalte die Gesellschaft und schaffe Probleme mit unabsehbaren Folgen. „Man kann auch die fortwährende grüne Trumpisierung unserer Landespolitik nicht weiter geschehen lassen. Das ist ein Senator, der Fake News verbreitet“, sagte Rissmann.
Richterinnen und Staatsanwältinnen, die als Amtsträger die staatliche Macht verkörperten, dürfen nun mit Kopftuch, „mit diesen gerade nicht neutralen Symbol auftreten“. Dabei sei es der „Kernbestand unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung, dass unser Staat neutral und unvoreingenommen seinen Bürgern gegenübertritt“. Behrendt beachte ein geltendes Gesetz einfach nicht und schaffe einfach Fakten. „Wir müssen heute die freiheitlich demokratische Grundordnung, zu der die Neutralität unseres Staates gehört, verteidigen.“
In der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses glaubt jedenfalls kaum jemand, dass Justizsenator Behrendt nichts mit der Kopftucherlaubnis für Rechtsreferendarinnen in Gerichtssälen zu tun hat. Auch wenn Behrendts Sprecher am Donnerstag betonte, die Entscheidung hätten Kammergericht und Gemeinsames Juristisches Prüfungsamt getroffen. Aus der Justiz ist dagegen von erheblichem Druck der Justizverwaltung zu hören. Für die meisten Kenner in der Justiz ist klar, dass er seine Agenda vorantreibt. Deshalb dürfen nun Rechtsreferendarinnen und Referendare mit Kopftuch im Gerichtssaal erscheinen, wenn sie ohne etwa die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft übernehmen und dabei von einem Staatsanwalt begleitet werden. Oder wenn sie unter Aufsicht eines Richters einen Zivilprozess leiten. Und dabei dürfen nicht wie andere Referendare, die keine religiösen Symbole tragen, in Robe auftreten.
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Behrendt hat in der rot-rot-grünen Regierungskoalition schwere Erschütterungen ausgelöst. Und unter seiner Verantwortung wurden Fakten geschaffen – für das Zeigen religiöser Symbole durch Bedienstete des Staates. Denn bei den Referendaren handelt es sich um Beamte auf Probe. Noch bevor das Bundesarbeitsgericht zu einer Kopftuch-tragenden Lehrerin und zum Berliner Neutralitätsgesetz entschieden hat, kam es zum 1. August die Kopftuch-Freigabe für die Gerichtssäle.
Die SPD betrachtet das als Affront. Vereinbart war in der Koalition, das noch nicht vorliegende schriftliche Urteil abzuwarten. Zumal das Gericht nur entschied, dass strenger und besser begründet werden muss, warum Lehrerinnen mit Kopftuch den Schulfrieden gefährden könnten. Das Gericht sprach der Frau eine Entschädigung wegen Diskriminierung zu, weil ihr die Aufnahme in den Schuldienst verwehrt worden war.
Es geht um ein bis zwei Frauen pro Jahr
In dieser Gemengelage – SPD für das Neutralitätsgesetz, Grüne und Linke dagegen – platzte Justizsenator Behrendt am Mittwochabend im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses mit der Neuregelung für Referendarinnen. Auf explizite Nachfrage, wie viele angehende Richter und Staatsanwälte wegen welcher religiösen Symbole überhaupt betroffen seien, kam ein simple Antwort: Nicht Juden mit Kippa, nicht Christen mit Kruzifix sind betroffen. Behrendts Sprecher sagte: „Erfahrungsgemäß gibt es eine bis zwei Frauen pro Jahr im Referendariat, die ein Kopftuch tragen. Bislang waren diese von hoheitlichen Aufgaben ausgeschlossen.“
Die SPD befürchtet einen Dammbruch: Die Pflicht von Beamten in Kernbereichen des Staates, bei Polizei und Justiz, ihre politischen und weltanschaulich-religiösen Ansichten im Dienst nicht offen zu zeigen, könnte durch Behrendts Vorgehen fallen.
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