Steuergelder für Start-ups: SPD will strengere Kriterien für Gründerförderung einführen
Die SPD will junge Unternehmen nur noch fördern, wenn sie einen Betriebsrat haben und andere Kriterien erfüllen. Branchenvertreter und Opposition sind dagegen.
Berlin ist bekanntermaßen Deutschlands Start-up-Hauptstadt: 3,7 Milliarden Euro privates Kapital flossen 2019 in die lokale Gründerszene. Aber vor allem in der ganz frühen Phase brauchen Gründer auch mal eine staatliche Anschubfinanzierung, um ihrer Idee eine Chance zu geben.
So schüttete das Land im Jahr 2018 (jüngere Zahlen liegen noch nicht vor) allein über die landeseigene Investitionsbank Berlin (IBB) insgesamt gut 67 Millionen Euro aus. Dazu kamen weitere Millionen über das Start-up-Stipendium der Senatsverwaltung für Wirtschaft, die von der Grünen-Politikerin Ramona Pop geführt wird.
Wenn es aber nach der Berliner SPD geht, dürften viele Gründer bald nicht mehr so einfach an Steuergeld kommen. Die Fraktion will die Vergabe von Geldern grundsätzlich abhängig von Kriterien „guter Arbeit“ machen.
„Künftig sollte es weder direkte noch indirekte Förderung für Unternehmen ohne Tarifbindung und betriebliche Mitbestimmung geben“, erklärte die stellvertretende Landesvorsitzende, Ina Czyborra, in einer Pressemitteilung Anfang der Woche.
Es sei zwar ein großer Erfolg, dass Berlin der führende Start-up-Standort in Deutschland sei. Faire Arbeitsbedingungen dürften aber nicht zugunsten des Wachstums auf der Strecke bleiben.
Ramona Pop sieht den Vorstoß aus den Reihen des Regierungspartners kritisch. Zusätzliche Auflagen für Start-ups in der Anfangsphase seien „nicht hilfreich, wenn man die Innovationskraft und Dynamik des Wirtschaftsstandorts Berlin erhalten will.“
Zwist in der Koalition scheint angesichts dieser Äußerungen programmiert. Berlins Start-up-Szene sei ein wichtiger Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung, die jedes Jahr 50 000 neue Arbeitsplätze schaffe.
Man wolle die Szene auch weiterhin unterstützen
„Natürlich tragen auch junge Unternehmen Verantwortung für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Start-ups stehen in ihrer Gründungsphase jedoch vor vielen finanziellen und organisatorischen Herausforderungen“, ergänzt Pop. Man wolle die Szene deshalb auch weiterhin mit zahlreichen Beratungs- und Förderangeboten unterstützen.
Auch der Geschäftsführer der Standortagentur Berlin Partner äußert sich skeptisch: „Wer mit Gründerinnen und Gründern darüber sprechen will, was gute Arbeitsbedingungen sind, dem sollte aber nicht das Betriebsverfassungsgesetz aus der Tasche fallen“, sagt Stefan Franzke.
„Unsere Erfahrungen zeigen, dass Modelle und Verfahren aus der Old Economy nicht ohne Weiteres auf Start-ups übertragbar sind. Die sind da teilweise schon viel weiter, etwa bei der Beteiligung von Mitarbeitern am Unternehmen – und stehen auch da wieder vor Hürden. Mit Antworten von gestern beantworten wir nicht die Fragen von morgen.“
Nur 21,8 Prozent erhielten im Jahr 2018 Fördermittel vom Land
Noch jedenfalls lockt Berlin Partner über die Website Businesslocationcenter.de mit staatlichen Fördermöglichkeiten für Gründer. Dabei verlassen sich Start-ups in der Regel weniger auf staatliche Unterstützung als auf private Kapitalgeber, wie der vom Bundesverband Deutsche Start-ups herausgegebene Monitor zeigt.
Neben den eigenen Ersparnissen greifen Berlins Start-ups demnach sehr häufig auf Business Angels, Freunde und Familie sowie die Finanzierung durch Venture Capital (33,2 Prozent) zurück.
Nur 21,8 Prozent erhielten im Jahr 2018 Fördermittel vom Land. Gleichwohl zeigt sich der Verband wenig begeistert. „Die Forderung der SPD Berlin geht völlig fehl: Kein Start-up-Mitarbeiter würde davon profitieren, aber das gesamte Berliner Start-up-Ökosystem wäre geschwächt“, sagt Geschäftsführer Christoph J. Stresing.
„Die Konsequenzen für den Start-up-Standort wären katastrophal“
„Würde diese Idee umgesetzt, würde kaum ein Berliner Start-up Förderungen des Landes Berlin erhalten können. Die Konsequenzen für den Start-up-Standort wären katastrophal, Berlin würde seinen Jobmotor verlieren und die erzielten wirtschaftlichen Erfolge verspielen.“
Die SPD tue daher gut daran, von diesen Überlegungen schnell Abstand zu nehmen. Allein Diskussionen über die Einführung solcher neuen Restriktionen würden zu Verunsicherung führen und fügten der Reputation der Start-up-Hauptstadt vermeidbaren Schaden zu.
Noch geht es der Start-up-Branche gut, sie befindet sich nach wie vor auf Wachstumskurs, wie der Startup Trendreport Finanzierung & Kapital 2018 vom Bundesverband Deutsche Start-ups und des Online-Portals für Statistik, Statista, zeigen: 2017 erwirtschafteten 15 Prozent der deutschen Start-ups eine Million Euro oder mehr, für 2018 planten 28 Prozent entsprechend hohe Jahresumsätze. Im regionalen Vergleich erzielen Berliner Startups dabei die mit Abstand höchsten Umsätze – und sammelten am meisten Wachstumskapital ein.
Opposition zeigt wenig Verständnis
Die SPD stößt mit ihrer Forderung bei der Opposition auf wenig Verständnis. „Die Berliner SPD möchte die Linkspartei wohl links überholen. Diese Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit wäre das Ende Berlins als Start-up-Hauptstadt“, sagt der Vorsitzende der Berliner FDP, Sebastian Czaja. Gründerinnen und Gründer kämen nicht wegen, sondern trotz „rot-rot-grüner Klassenkampfrhetorik, Digitalisierungs- und Verwaltungschaos nach Berlin.“
Statt mehr Auflagen seien vielmehr ein bürokratiefreies Jahr für frisch gegründete Unternehmen sowie der zügige Ausbau digitaler Angebote in der Verwaltung und die Einführung von Englisch als ergänzende Sprache in der Verwaltung wünschenswert, um Berlin als Gründungsmetropole zu etablieren, regt der FDP-Chef an.
„Forderung der SPD ist fernab von der Lebensrealität junger Gründer“
Und bei der CDU meint man, der Senat täte besser daran, sich um Breitbandausbau und preiswerten Wohnraum zu kümmern, sagt Christian Gräff, wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion. „Die Forderung der SPD ist fernab von der Lebensrealität junger Gründer, überhaupt nicht kontrollierbar und außerdem nicht mit europäischem Recht vereinbar.“ Berlin lebe von dem Ruf als kreativer liberaler Wirtschaftsstandort.
Die SPD habe bisher leider nichts für Start-ups getan – im Gegenteil. „Der größte Sündenfall war Hypoport“, meint Gräff. „Damit hat der Finanzsenator alles getan, um Berlin zu schaden.“ Er spielt auf die Entscheidung der Hypoport AG im April vergangenen Jahres an, den Hauptsitz des Konzerns von Berlin nach Lübeck zu verlegen. Auslöser war ein Immobilienstreit mit dem Berliner Senat. Damit kehrte eines der großen börsennotierten Unternehmen der Hauptstadt den Rücken. Auch damals hatte die SPD-geführte Finanzverwaltung nicht in Absprache mit der Wirtschaftssenatorin gehandelt.
SPD will mit der Start-up-Szene in einen Dialog kommen
Die SPD hält an ihrem Vorschlag fest, man wolle dafür zunächst mit der Start-up-Szene in einen Dialog kommen. „Betriebliche Mitbestimmung ist für Arbeitgebende und Arbeitnehmende von Vorteil. Gerade in Gründungsphasen, in denen viel Neues auf einen zukommt. Das muss also nicht immer eine Frage des Geldes sein“, erklärte die Pressesprecherin der Berliner SPD, Claudia Kintscher. Junge Unternehmer werde die SPD nicht unter einen Generalverdacht stellen. Gerade als Start-up-Metropole und Stadt der Digitalwirtschaft wolle sie aber auch in diesen neuen Wirtschaftsfeldern gute Arbeit stärker in den Blick nehmen.
Die Linke begrüßt den Vorstoß
Immerhin der rote Koalitionspartner stärkt der SPD den Rücken. Harald Gindra, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion, sagte dem Tagesspiegel am Donnerstag: „Wir freuen uns, dass sich die SPD unserer langjährigen Forderung nach guter Arbeit in allen Branchen und Wirtschaftszweigen anschließt.“
Schon im Wahlprogramm für die Abgeordnetenhauswahl 2016 habe die Linke gute Arbeit und Entlohnung auch in Start-up-Unternehmen beziehungsweise der IT-Branche gefordert. „Wir haben vorgeschlagen, im Rahmen der Wirtschaftsförderung Werkverträge und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zurückzudrängen“, erinnert Gindra.
SPD rudert ein wenig zurück
Doch der Linke freut sich wohl zu früh. SPD-Frau Czyborra ruderte am Donnerstag ein wenig zurück. „Wir haben das etwas überspitzt formuliert“, gestand sie dem Portal „Gründerszene“. Natürlich erwarte man nicht, dass in einem Vier-Mann-Start-up sofort ein Betriebsrat gegründet oder ein Tarifvertrag eingeführt werde.