Interkulturelles Gartenprojekt Himmelbeet: Soziales Gärtnern im Brennpunkt Weddings
Das "Himmelbeet" an der Ruheplatzstraße gedeiht seit Gründung vor einem Jahr prächtig. Schon soll expandiert werden. Nur die Zahl der Migranten ist noch steigerungsfähig. Unsere Autorin, selbst Helferin bei dem Projekt, zieht Bilanz.
Ein Geschäft mit der Sehnsucht nach wohltuendem Grün. Eine atmende Lunge im dreckigen, tosenden Berlin. Ein urbaner Garten im Brennpunkt Weddings zwischen Leopold- und Nauener Platz. Viel Geld lässt sich damit nicht verdienen. Aber viele Bonuspunkte auf dem Karmakonto. Denn die Weddinger haben Sehnsucht nach einem Ort, an dem die Uhren etwas langsamer Ticken, die schäumenden Wellen des Großstadtmeeres abflachen und die meterhohen Grenzwälle in den Köpfen der Bewohner für einen Moment vergessen sind.
Das ist jedenfalls die Erfahrung von Hannah Lisa Linsmaier, der Gründerin des interkulturellen Gartenprojekts „Himmelbeet“. Die gebürtige Münchenerin wohnt nun schon mehr als zehn Jahre in Berlin. Es war ihre eigene Sehnsucht, eine ausgemachte Lücke, die sie bemerkte und schließen wollte. Sie wollte dem Verfall etwas entgegensetzen, das eine Heilkraft entfaltet; eine leblose Baulücke mit Schönheit füllen. Die Vision vom Himmelbeet war geboren.
Im letzten Jahr hat sie einen Garten für Alle an der Ruheplatzstraße etabliert, ein Projekt, das von den meisten Bewohnern dankbar angenommen worden ist. 150 Pachtbeete finden sich hier, in Form mobiler Hochbeete und 50 weitere Gemeinschaftsbeete, in denen sich auch die Anwohner austoben und engagieren können und deren Ertrag im Gartencafé verkauft wird. Doch der relativ kleinen Fläche steht eine noch viel größere Nachfrage gegenüber.
Doppelt so hoch sei die, sagt Hannah Lisa Linsmaier. „Eigentlich bräuchten wir bereits jetzt ein zweites Himmelbeet, um den Anfragen der Bewohner nachzukommen.“
Bereits seit Anfang des Jahres sucht sie nach Möglichkeiten zu expandieren, bislang ohne Erfolg.
Ich frage sie, ob sie mit der Entwicklung des Himmelbeetes zufrieden sei, ob sich ihre, ja doch recht hohen, Erwartungen erfüllt hätten. „Das Team des Himmelbeets ist jung, ambitioniert und überarbeitet.“, antwortet Linsmaier und auch ich muss lachen. Denn seit kurzem bin auch ich im Team der freiwilligen Helfer, und die drei Attribute geben gut wieder, was ich hier selbst erlebt habe.
Ein wenig Heimat
„Wir wollen nicht hip sein, sondern den Menschen ein wenig Heimat bieten.“, sagt sie. „Wir wussten, dass sich unser Vorhaben nicht von heute auf morgen verwirklichen lässt. Deshalb sind wir es langsam angegangen - und wurden bisher auch nicht enttäuscht. Die positiven Reaktionen der Weddinger sind der beste Lohn für die viele Arbeit, die wir im letzten Jahr in das Projekt gesteckt haben.“
Natürlich sei vorher nicht absehbar gewesen, wieviel Arbeit es wirklich bedeutet, eine idealistische Idee wie die vom Himmelbeet umzusetzen. Die Suche nach Firmen und Stiftungen, die das Projekt unterstützen, nehme viel Zeit ein. Gerade kürzlich wurde eine Mitarbeiterin für das Fundraising eingestellt und mittlerweile ist das Himmelbeet eine gemeinnützige GmbH.
Im Moment werden Gelder benötigt, um die geforderten 12.000 Euro an die BSR zahlen zu können, damit der Garten endlich an das Berliner Wassersystem angeschlossen wird. Außerdem wird ein großes Café gebaut, und als nächstes sind Komposttoiletten geplant. Ein Kampf um jeden Euro.
Was bei weiteren Vorhaben hilft, ist die Zusammenarbeit mit anderen Kiez-Projekten. Das Himmelbeet ist unter anderem mit Gangway und dem Kinder- und Jugendladen Max14 vernetzt, mit dem Runden Tisch am Leopoldplatz und dem Händlerfrühstück. Cafés in der Umgebung werden mit Produkten aus dem Garten beliefert. Und fast täglich sind Schulklassen im Garten. Denn 10-15 Pachtbeete gehen momentan an soziale Einrichtungen, auch eine Behindertenwerkstatt sei Pächter. „Wir wollen Vernetzung, statt irgendetwas neu zu erfinden.“, sagt Hannah Lisa Linsmaier.
Aufregend und mitunter nicht leicht gestaltet sich die Arbeit in einem interkulturellen Projekt. So gab es während meiner Einsatzzeit zum Beispiel eine Gruppe türkischer Männer im Himmelbeet, die frische Salatköpfe kaufen wollten, jedoch nicht zum angegebenen Preis. Sie wollten feilschen und es war schwer, ihnen klarzumachen, dass das Himmelbeet kein Marktplatz ist.
Die Himmelbeet-Gründerin erzählt auch von zwei türkischen Frauen, die beim Anblick des Gartens in Tränen ausgebrochen seien, weil sie sich an ihren eigenen Garten in der Heimat erinnert fühlten. Die slowenischen Nachbarsjungen seien regelmäßige Gäste.
Doch im Allgemeinen ist es noch mühsam, die gesamte Nachbarschaft für das Projekt zu begeistern. Und das stellt das Himmelbeet unter einen ganz besonderen Druck. Denn hinsichtlich der Födergeldakquise muss das gemeinnützige Unternehmen zählen, wieviele Menschen mit Migrationshintergrund, Kinder, Rentner und Touristen ihren Weg in den Garten finden. Nach der ersten Zählaktion im Jahr 2013 war von Juni bis Oktober die Strichliste in der Zielgruppen-Spalte „Touristen“ am längsten. Rund 25 % der Besucher waren Berlin-Gäste, aber nur 7,6 % Menschen mit Migrationshintergrund, 4,2 % Kinder- und Jugendliche und 3,3 % Rentner.
Besucherzahl soll verdoppelt werden
Die Gesamtbesucherzahl von 12.000 aus der Hauptsaison 2013 könnte sich in diesem Jahr verdoppeln, schätzt Linsmaier, und die verschiedenen Zielgruppen einen höheren Anteil ausmachen. Schließlich ist das Himmelbeet erst anderthalb Jahre alt und hat in dieser kurzen Zeit Struktur und Netzwerk erheblich ausgebaut.
Anfangs bestand das Team beispielsweise aus jungen Studenten, die in Deutschland aufgewachsen sind. Mittlerweile gebe es Freiwillige aus Spanien, England und Tschechien, eine Fundraising-Mitarbeiterin aus Indien und eine FÖJ'lerin aus der Türkei. Viele Workshops in diesem Jahr werden sich besonders an Frauen mit Migrationshintergrund und Kinder und Jugendliche richten, um die Anteile in diese Gruppe zu erhöhen. So ist für den 6.September ein Heilkräuterworkshop mit Güliz Avci geplant und auch einen Kochworkshop speziell für Kinder soll es geben, sobald das neue Café fertiggestellt ist.
Aber kulturelle Grenzen zu überwinden, gesteht Hannah Lisa Linsmaier, sei schon schwierig. „Arabische Frauen schlendern nicht.“, erklärt sie. Sie hätten ihre festen Wege, man müsse sie woanders abholen. Deshalb werden die LSK-Frauenworkshops mit Kinderbetreuung in arabischen und türkischen Frauenkulturvereinen und Zeitungen beworben. Auch um türkisch- und arabisch sprechende Mitarbeiter bemühe sie sich.
Zu den Tangoabenden, die jeden zweiten und vierten Donnerstag im Monat im Garten stattfinden, kommt nun ein Kleinkunstabend mit offener Bühne, auf der die Weddinger ihre kreative Seite zeigen können. Der erste Kleinkunstabend findet am 30.Juli statt. Und wer im Garten mithelfen möchte, ist am Donnerstagnachmittag und Samstagvormittag willkommen. Alle weiteren Veranstaltungen sind auf himmelbeet.com nachzulesen.
Die Autorin Johanna Sailer hat Philosophie studiert und schreibt derzeit an ihrem ersten Roman. Ihr Blog heißt primatberlin.com.
Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.
Johanna Sailer