Berlin statt München: Sony Music verlegt Zentrale nach Schöneberg
Der internationale Musikkonzern Sony Music zieht nach Schöneberg: Berlin wird so zur unumstrittenen Hauptstadt der Musikindustrie.
Von A wie AC/DC über Depeche Mode und Peter Maffay bis Z wie Zara Larsson, eine Pop-Sängerin aus Schweden - und den Nachlass angeblich unsterblicher Künstler wie Michael Jackson und Elvis nicht zu vergessen: Der Katalog mit nationalen wie international bekannten Musikern, die beim New Yorker Unterhaltungskonzern Sony Music Entertainment unter Vertrag stehen, ist lang. Das Geschäft für Deutschland, Österreich und die Schweiz koordiniert das Unternehmen bisher im zentrumsnahen Münchener Bezirk Au-Haidhausen. Nun aber steht im Sommer des kommenden Jahres Umzug an, wie Sony Music dem Tagesspiegel bestätigte.
Das gemessen am Umsatz zweitgrößte Musikunternehmen hierzulande zieht an den ehemaligen Sitz der Berlin-Zentrale der Commerzbank in Schöneberg in einen Gebäudekomplex an der Potsdamer, Bülow- und Steinmetzstraße. Auch die Mitarbeiter der kleineren Berliner Sony-Niederlassungen Schlegelstraße und Rosenthaler Straße ziehen nach Schöneberg. Unbestätigten Angaben zufolge könnten rund 300 Personen umziehen.
Sony gibt den Standort München aber nicht komplett auf. „Berlin ist das kulturelle und kreative Epizentrum Deutschlands. Ich freue mich sehr, in ein modernes Gebäude in einer der lebendigsten und begehrtesten Gegenden der Stadt umziehen zu können“, schrieb Sony-Music-Vorstandschef Patrick Mushatsi-Kareba in einer Erklärung. „Unser neuer Hauptsitz wird uns ein Zuhause geben, in dem wir mehr Nähe zu unseren Künstlern und Partnern haben, sowie erweiterten Zugang zu einflussreichen kreativen Subkulturen und führenden kulturellen und digitalen Innovatoren.“
Sony Music hatte seinen Sitz bis 2004 im Sony-Center in Berlin, war damals aber mit der Bertelsmann Music Group (BMG) fusioniert, deren Eigentümer den Umzug nach München vorantrieben. An dieser Entscheidung entzündete sich heftige Kritik. Jetzt kehrt Sony Music in die deutsche Musikhauptstadt zurück.
Als treibende Kraft hinter dem Projekt gilt Daniel Lieberberg, Manager in der Sony-Music-Geschäftsführung, der früher beim Marktführer Universal Music sein Geld verdient hat. Universal sitzt bereits in Berlin - an der Friedrichshainer Seite der Oberbaumbrücke im ehemaligen „Eierkühlhaus“ an der sogenannten „Media-Spree“.
Und BMG, die Nummer vier der Branche hierzulande, residiert am im „Quartier 205“ am Gendarmenmarkt in Mitte. Lediglich Warner Music, die Nummer drei der heimischen Musikindustrie, betreibt sein Geschäft in Hamburg, in - zugegeben - ebenfalls charmanter Lage, mitten in der Speicherstadt. Gemeinsam kontrollieren die vier großen Musiklabel rund 80 Prozent der Musikverkäufe.
Sonys Umzug ist in vielfacher Hinsicht bedeutend für die Berlin – zunächst standortpolitisch: Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) zeigte sich am Dienstag „sehr erfreut“ über den Beschluss. „Berlin wird zum zentralen Musikstandort in Europa. Das sind großartige Nachrichten für Berlin und bestätigen das starke Vertrauen internationaler Unternehmen in unseren Wirtschaftsstandort“, teilte sie mit. „Wir bieten ein riesiges Music-Tech-Netzwerk, kreative Köpfe, digitale Innovationen und gute Wirtschaftsförderung. Sony Music hat die richtige Entscheidung getroffen: Berlin ist für MusicTech der Place to be!“
Man sei seit „geraumer Zeit“ in konkreten Gesprächen gewesen, erklärte Pop weiter. „Unsere Metropole ist der perfekte Standort für eines der weltweit führenden Musikunternehmen. Nicht nur bei der Standortwahl, sondern auch bei der Entwicklung des Unternehmens, beispielsweise mit unseren Wirtschaftsförderinstrumenten, werden wir Sony unterstützen“, kündigte die Senatorin an.
Nicht alle sehen den Sony-Umzug positiv
Der Senat könnte diese Ansiedlung mit Zuschüssen zur „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, den so genannten GRW-Mitteln, unterstützen, sofern Sony Music einen Antrag stellt. Welche Summe dann fließen könnte, ist aber unklar. Die landeseigene Standortagentur Berlin Partner kümmert sich um die konkrete Umsetzung, hilft unter anderem bei der Immobiliensuche und war auch hier beteiligt.
Deren Chef Stefan Franzke verwies auf Berlins Clubs und Festivals, im Kiez und im Olympiastadion, vom Straßenmusiker bis zu den Berliner Philharmonikern. Kreativität und Innovation seien in Berlin überall und immer zu finden. „Menschen aus aller Welt entscheiden sich auch deshalb für Berlin als Stadt zum Leben und zum Arbeiten. Auf diese Vielfalt sind wir stolz. Es ist schön, dass Sony wieder ein Teil davon ist.“
Konzertveranstalter Peter Schwenkow , Chef der Deutschen Entertainment AG (Deag), schlug hingegen etwas andere Töne an. Er ist seit vier Jahrzehnten im Geschäft, arbeitet gut und eng mit allen vier großen Musikvertrieben zusammen. Seine Deag sitzt ebenfalls an der Potsdamer Straße, etwa zehn Minuten Fußmarsch vom neuen Sony-Standort entfernt. „Ich wüsste gern, was sich der Senat diese Ansiedelung hat kosten lassen“, fragte er.
So sei die Landespolitik in der Regel sehr engagiert, Unternehmen nach Berlin holen. „Wenn die aber einmal da sind, hören die nie wieder etwas. Man muss auch die Bestandsunternehmen pflegen“, forderte der Manager, der von 2006 bis 2011 für die CDU im Berliner Abgeordnetenhaus saß.
Sony komme mutmaßlich nicht allein wegen der lokalen Künstler nach Berlin, meinte Schwenkow. „Heute entdecken Plattenfirmen neue Musiker nicht mehr beim Bier im Club, das Scouting findet immer und überall statt“. Relevanter sei wohl, dass ein Unternehmen besser kreative Mitarbeiter an sich binden könne, wenn es seinen Sitz in Berlin habe als in München. „Sony würde bestimmt nicht nach Münster ziehen“.
Aber müsste dann nicht Konkurrent Warner Music bald von der Elbe an die Spree ziehen? Den Plan gab es schon einmal - vor 15 Jahren. „Nein“, meint der gebürtige Hamburger Schwenkow. Zum einen erreiche man Hamburg ab Berlin per ICE in rund 100 Minuten, die Städte bildeten praktisch eine gemeinsame Wirtschaftsregion. Zum anderen habe Hamburg eine ganz eigene Musikwirtschaftsszene, die man nicht einfach so verpflanzen könne. „Einen Udo Lindenberg wird man im Hotel Atlantic treffen, aber nicht im Ritz Carlton“, meinte Schwenkow.
Wiederbelebung der Potsdamer Straße?
Tatsächlich will Bernd Dopp, Chef von Warner Music für Mitteleuropa, (noch) nichts von einem Umzug seiner Zentrale nach Berlin wissen. Bereits seit 1971 sei der deutsche Firmenhauptsitz von Warner Music Central Europe in Hamburg beheimatet. „Die Hansestadt hat eine langjährige und große Musiktradition, ein lebendiges musikalisches Ökosystem mit Szenevierteln und Leuchtturmveranstaltungen wie dem MS Dockville oder dem Reeperbahn- und Elbjazz-Festival“, sagte Dopp dieser Zeitung – und verwies darauf, dass Warner neben dem Hamburger Hauptsitz auch Dependancen in Berlin, Köln und München habe und kürzlich nicht nur in Hamburg in Personal investiert habe, sondern auch im Berliner Büro.
Der Einzug von Sony dürfte sich auch unmittelbar auf das Alltagsleben im Schöneberger Kiez auswirken, wenn 300 Mitarbeiter der Kreativwirtschaft hier Büros beziehen. Das Areal, in dem die Commerzbank seit den 1950ern residierte, steht sein mehr als einem Jahr leer und gehört dem Vermögensverwalter Aermont Capital mit Sitz in Luxemburg, London und Paris. Der wiederum hatte den Frankfurter Projektentwickler Pecan Development beauftragt, den Gebäudekomplex aus Alt- und Neubauten umzugestalten. So wurde zuletzt unter anderem ein Parkhaus abgerissen, Stellplätze unter die Erde verlegt, ein Neubau begonnen.
„Wir haben im Prinzip nichts dagegen, dass es Neuansiedelungen gibt. Es ist ja klar, dass 30.000 Quadratmeter Fläche nicht einfach leer stehen sollen“, sagte Regine Wosnitza, Vorsitzende der Interessengemeinschaft Potsdamer Straße (IGP), die sich für eine schonende Entwicklung der Gegend im Sinne bereits ansässiger Bürger, Gewerbetreibender und Institutionen zwischen Kleistpark und Landwehrkanal einsetzt. „Aber unsere Befürchtung ist, dass sich dieser Projektentwickler nicht darum schert, wie so große Firmen in den Kiez integriert werden können“.
Wenn die Mitarbeiter nur vom U-Bahnhof Bülowstraße in ihr Büro gehen, sich nur im büroeigenen Coffeeshop und Restaurant verpflegen, werde kein Austausch stattfinden. Der Kiez hätte nichts davon. „Gerade wenn eine so große Musikfirma als Ankermieter kommt, wäre es toll, wenn die auch etwas für die vielen Jugendlichen im Kiez machen würde, Workshops anbieten zum Beispiel.“ Oder ein Kiez-Musikstudio?
Außerdem wünscht sich Wosnitza Einrichtungen für die „normalen Schöneberger“ im ehemaligen Commerzbank-Areal. So bräuchte zum Beispiel die Stadtteilbibliothek, die provisorisch im ersten Stock der Sophie-Scholl-Schule untergebracht sei, dringend eine neue Heimat.
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