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Wo man sich gern niederlässt: ein Lesesessel in einer Buchhandlung.
© Kitty Kleist-Heinrich

Supermärkte für die Seele: So trotzen Berliner Kiezbuchläden der Coronakrise

Buchläden zählen zu den unverzichtbaren Geschäften in Berlin, die geöffnet bleiben dürfen. Doch auch sie müssen kämpfen – mit Livestreams und Fahrradkurier.

Reges Treiben in der Buchhandlung um die Ecke, bis an die Decke reichen die Bücherregale. Belletristik, Reise, Neuerscheinungen, Gegenwartsliteratur, Internationale Literatur, Biografien, Philosophie hin zu Kinder-, Jugend- und Ratgeberliteratur – für jeden ist etwas dabei. In den Kiezbuchhandlungen kommt ein Teil der Nachbarschaft regelmäßig zusammen, für einige ist der Ausflug ein fester Termin in der Woche, ein Abtauchen im Alltag.

So sah das Treiben in Berlins unabhängigen Buchläden noch bis vor Kurzem aus. Seit die Coronavirus-Pandemie auch in Deutschland zu ernsten Konsequenzen geführt hat, dürfen Buchhandlungen laut Senatsverordnung zwar geöffnet bleiben, der Verkauf muss aber verantwortungsbewusst geregelt werden.

Aus ökonomischer Sicht sind das gute Nachrichten: Buchhandlungen dürfen vorerst ihre Türen öffnen, schließlich leben sie vom täglichen Austausch und Verkauf, der analog im Laden stattfindet. Doch jetzt ist das eben auch eine potenziell gefährliche Angelegenheit: auf meist recht engem Raum treffen Menschen aufeinander, nicht nur im Kundengespräch.

Ein Risiko, das einige Buchhandlungen nicht eingehen wollen, wie das „Leseglück“ in der Ohlauer Straße: Noch in der vergangenen Woche habe es einen großen Ansturm gegebenen, erzählt Inhaberin Susan Pfannstiel. Das habe ihr auch gezeigt, „wie unvernünftig die Leute sind, auf Abstand haben sie nicht geachtet“. Ihr und ihrem Team sei es wichtig, schnell durch die Krise zu kommen – „weshalb wir geschlossen haben“, zumindest für den Laufverkehr.

Die Kunden können weiterhin über den Webshop bestellen, bekommen die Lieferung nach Hause oder können einen Termin vereinbaren, um sie im Laden abzuholen. Über Facebook bleibt der Laden mit seinen Kunden in Kontakt und richtet auch Livestreams von Lesungen aus.

Erst zugemacht aus Sorge, jetzt „Ab-Tür-Verkauf“

Auch die beliebte „Buchkönigin“ im Neuköllner Reuterkiez hat in der vergangenen Woche zugemacht, obwohl es dazu keinen Zwang gibt und der Laden über keinen Online-Shop verfügt – die Mitarbeiter hätten sich im Kontakt mit den Kunden oftmals unwohl gefühlt, schreibt das Team auf seiner Facebookseite.

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Nach einer kurzen Komplettschließung haben sie den Betrieb mittlerweile eingeschränkt wieder aufgenommen, so gibt es nun einen „Ab-Tür-Verkauf“, diese Woche etwa am Donnerstag von 11 bis 16 Uhr, am Freitag und Sonnabend von 14 bis 18 Uhr – falls die Regelungen zu den Ladenöffnungen nicht verschärft werden. Kunden können vor Ort aus dem Bestand kaufen oder – noch besser – per Mail (info@buchkoenigin.de) oder Telefon (030/22494900) bestellen, die Bücher während der Öffnungszeiten abholen oder nach Hause liefern lassen.

Börsenverein: Läden brauchen weitere Unterstützung

Fabian Thomas vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels Berlin-Brandenburg ist zwiegespalten. „Wir freuen uns natürlich, dass die Buchhandlungen in Berlin geöffnet bleiben dürfen und appellieren zugleich zu besonderen Maßnahmen wie Kartenzahlung, Verkaufsbereich und Kartenlesegeräte regelmäßig desinfizieren, Hände waschen, nur eine bestimmte Anzahl an Kunden in den Laden lassen und darauf achten, dass ein Sicherheitsabstand eingehalten wird oder zum Beispiel auch Büchersendungen zum Abholen vor die Tür stellen.“

Dass es darüber hinaus weitere Wege geben muss, wie Läden finanziell unterstützt werden können, steht für ihn außer Frage. Auf der Webseite des Börsenvereins gibt es Empfehlungen der Rechtsabteilung zu den Themen Kurzarbeitergeld, Kredite und Mietzahlungen im Falle einer vorübergehenden Schließung.

Wenn der Vater die Kunden per Fahrrad beliefert

An die empfohlenen Umgangsregeln hielt man sich auch bei „Uslar und Rai“ auf der Schönhauser Allee. Desinfektion, Abstand halten, das ganze Programm. Dennoch berichtete Leonie Kapell, die in der Buchhandlung ihres Vaters Edgar Rai und seiner Geschäftspartnerin Katharina von Uslar mitarbeitet, von „gemischten Gefühlen“ im Umgang mit den Kunden. Einerseits wolle man die Kunden versorgen, „andererseits möchten wir nicht zur Verbreitung des Virus beitragen“.

Seit Montag bleibt der Laden nun doch geschlossen, aber literaturlos muss im Kiez niemand leben. „Mein Vater hat kurzerhand sein Fitnessprogramm aufs Fahrrad umgelegt und beliefert unsere Kiezkunden per Rad.“ Bestellen können die per Mail (info@uslarundrai.de) und per Telefon (030/48492370, Mo-Sa 12-16 Uhr), geliefert wird möglichst am selben oder am darauffolgenden Tag, wie es auf der Facebookseite heißt – und Edgar Rai musste zuletzt bereits ordentlich in die Pedale treten, um die Bestellungen zu den Kunden zu bringen.

Den Lektüre-Podcast „blauschwarzberlin“ gibt es weiterhin

„Ocelot,“ in der Brunnenstraße in Mitte bleibt derweil geöffnet, in aller Seelenruhe in den Regalen nach neuem Lesestoff suchen, gehört aber auch hier seit Montag der Vergangenheit an. Gleich hinter dem Eingang ist nun eine Abholstation eingerichtet, die auch als Durchgangssperre dient. Empfohlen wird aber die Bestellung über www.ocelot.de. Der Laden, der sonst viele Lesungen und andere Events ausrichtet, hat dieses Programm bereits vergangene Woche komplett runtergefahren, das Café wurde ebenfalls geschlossen.

„Auch online werden wir vorerst keine Veranstaltungen machen. Lesungen und Gespräche leben vom auratischen Moment, dem Austausch mit dem Publikum“, sagt Mitarbeiter Ludwig Lohmann. Zusammen mit einer Kollegin betreibt er den Lektüre-Podcast „blauschwarzberlin“, der weiterhin erscheinen soll. Für den Fall einer Schließung aller Buchläden soll „Ocelot,“ verstärkt telefonisch erreichbar sein (030/97894592).

„Das bedeutet vor allem Mehrverantwortung, auch im Kundenkontakt“

Ähnlich geht auch ein paar Straßen weiter die Buchhandlung „Hundt, Hammer, Stein“ vor. „Es ist natürlich schön, dass von Seiten des Senats die Wichtigkeit von Literatur anerkannt wird, Buchhandlungen quasi als Supermarkt für die Seele gesehen werden“, sagt Besitzer Kurt von Hammerstein, „das bedeutet aber vor allem Mehrverantwortung, auch im Kundenkontakt. Wir laden momentan nicht zum Verweilen ein wie sonst und reichen die Bücher auch aus dem Laden heraus.“

Seit Montag dürfen maximal drei Leute das Geschäft betreten, die Abstand zueinander halten und zügig einkaufen sollen. Bequemer geht das für Kiezkunden mit Bestellungen per Telefon (030/23457669, Mo-Sa 11-17 Uhr) und per Mail (info@hundthammerstein.de) und über www.hundthammerstein.de.

„Kurzkredite können keine Lösungen sein, Kurzarbeit ist sinnvoller“

Portofrei verschickt das Team von „Modern Graphics“ mit Dependancen in Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Charlottenburg seine Comics und Graphic Novels. Chef Michael Wießler beschreibt die momentane Situation als „ein Reagieren von Tag zu Tag“. Ihm ist auch wichtig, dass sich seine Angestellten wohlfühlen, und zu Hause bleiben, wenn sie eigentlich nicht kommen wollen – was zu weiteren Überlegungen führt, die viele Buchhandlungen betreffen, sobald die Umsätze zurückgehen. Die Öffnungszeiten wurden eingeschränkt, doch noch öffnen die „Modern Graphics“-Filialen – alle Infos dazu und den Webshop gibt es auf www.modern-graphics.de.

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„Unser größter finanzieller Posten ist das Personal“, erzählt Malin Schwerdtfeger von „Hacker & Presting“ in Charlottenburg und der Schöneberger „Akazienbuchhandlung“. „Kurzkredite können da keine Lösungen sein, die müssen wir ja zurückzahlen, Kurzarbeit ist sinnvoller, aber auch nicht die Dauerlösung.“ Momentan sind beide Läden eingeschränkt geöffnet, Infos und Webshop unter www.akazienbuchhandlung.de.

Hamsterkäufe gab es auch in Buchhandlungen, jetzt lässt es nach

Ein weiterer finanzieller Faktor ist die Miete. „Wir haben zum Glück ein entspanntes Verhältnis zu unserer Hausverwaltung“, erzählt Franz Brandmeier von der Buchhandlung „Eisenherz“ in der Motzstraße. „Wenn es hart auf hart kommt, sprechen wir mit denen, aber dieses Glück haben nicht alle.“ Er will vorerst nicht schließen.

Für die meisten ist es eine finanzielle Frage: Sie können es sich schlicht nicht leisten, ihre Läden ganz dicht zu machen. Nach den Hamsterkäufen, die es auch in Buchhandlungen gab, nimmt der Kundenverkehr vor Ort immer mehr ab. Irgendwann, da sind sich die meisten Betreiber einig, wird auch der Tag kommen, an dem sie schließen müssen.

Sie hoffen dann auf die Solidarität ihrer Nachbarn, die bei ihnen Bücher bestellen, die sie als Pakete vor die Tür legen, mit dem Fahrrad oder Auto vorbeibringen. Vor allem hoffen sie auf weitere staatliche Maßnahmen, die ihre Existenz sowie die der Verlage, Autoren und Zwischenhändler sichern – denn ohne sie sieht es auch für die Buchhandlungen schlecht aus.

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