Abflug aus Berlin zu Corona-Hotspots: So lief der erste Ferientag am Flughafen Schönefeld
Nur vier Flieger heben ab – zwei davon sind in Corona-Hochrisikoländer unterwegs. An die Abstands- und Maskenregeln halten sich die Leute nur nach Ermahnung.
Bilge Buz steht im Terminal K des Flughafens Schönefeld, sie trägt eine hellblaue Gesichtsmaske, ihr großer Koffer liegt auf einem Gepäckwagen. Fünf Meter weiter ist ihr Check-in-Schalter, Abflug 13.35 Uhr nach Istanbul, das ihre Maschine.
Es ist Donnerstag Vormittag, ein paar Stunden später wird sie ihre Tochter und ihre Enkel sehen, in Bursa, 200 Kilometer von der Stadt am Bosporus entfernt. Die 55-Jährige freut sich, natürlich. Aber sie hat auch Angst.
Die Türkei ist ein Corona-Hotspot. Sie hat Angst, sich zu infizieren. Ihr Mann hat sie zum Flughafen begleitet, Faik Buz wird zwar nicht mitfliegen, aber auch er macht sich Sorgen. „Die Situation in Sachen Corona in der Türkei ist sehr schlecht“, sagt er. „Wir wissen, dass in Deutschland alles besser ist.“
Vor dem Check-in-Schalter mit Ziel Istanbul zieht sich die Schlange fast bis zur Eingangshalle, es ist der erste Ferientag, alle wollen weg. Aber es gelten Corona-Regeln auf dem Airport, Abstand halten, Maske ist Pflicht, kein Aufenthalte im Ankunftsterminal.
An diesem Vormittag halten sich alle dran, mehr oder weniger. Wer in der Schlange steht, hat Distanz zum Nächsten, allein schon wegen des sperrigen Gepäckwagens. Nur eine vierköpfige Gruppe, die in Sitzschalen wartet, hat engen Kontakt, aber es ist eine Familie mit kleinen Kindern, da ist Nähe erlaubt.
Nur vier Flieger heben am ersten Ferientag ab
Außerdem sind ohnehin wenig Passagiere gekommen. Gerade mal vier Maschinen werden an diesem ersten Ferientag in Schönefeld abheben – nach Kiew, Tel Aviv, Istanbul und Manchester, am Tag zuvor war der Trubel noch viel größer.
Der Flugbetrieb läuft wieder an, derzeit werden täglich rund 8000 Passagiere in Tegel und Schönefeld abgefertigt, doppelt so viele wie noch ein paar Tage zuvor. Da hatte auch noch die Reisewarnung des Auswärtigen Amts für alle EU-Länder gegolten. Im Juli rechnet die Flughafengesellschaft mit täglich mehr als 10.000 Passagieren an beiden Airports.
Dann werden die Corona-Regeln wohl noch mehr zum Problem, als jetzt schon. Denn der Eindruck vom ersten Ferientag täuscht offenbar. Am Schalter der Flughafen-Information in Terminal L, Ankunft/Abflug, sitzt eine Mitarbeiterin mit Mundschutz und sagt: „Wir müssen die Leute immer aktiv auf die Abstandregeln und andere Maßnahmen hinweisen. Von selber kommt bei denen wenig.“
Über Maskenverweigerer entscheidet am Ende die Polizei
Und, halten sich die Leute dran? „Nein, die meisten nicht, das ist ja das Problem. Aber wir können immer nur darauf hinweisen.“ Mit den Händen macht sie eine Bewegung, als würde sie eine Schiebetür auseinanderziehen. „Ich kann sie ja nicht mit Gewalt voneinander trennen.“
Es stehen genügend Sicherheitsmitarbeiter in den Hallen – ihre Zahl wurde in der Coronakrise erhöht, aber sie dienen bei renitenten Maskenverweigerern eher der optischen Abschreckung als der Durchsetzung von Regeln. „Wir können nur darauf hinweisen, dass es eine Maskenpflicht gibt“, sagt einer.
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Wenn sich einer weigert, dann bleibt nur eine Lösung. „Wir müssen an die nächsthöhere Instanz verweisen.“ Am Ende entscheidet die Polizei.
Mit Ilkur Salgam bekämen sie keine Probleme, die hat volles Verständnis für die Hygiene-Maßnahmen. „Ich finde die absolut angemessen, leider aber halten sich viele nicht dran.“ Sie und ihre Tochter Buse-Nur fliegen in der gleichen Maschine wie Bilge Buz, Zielflughafen Istanbul.
Nach dem Türkeiurlaub braucht die Tochter einen Corona-Test
Allerdings werden Mutter und Tochter eher gelassen in die Maschine steigen. „Ich habe kein schlechtes Gefühl, es ist überall gefährlich“, sagt die Mutter. Die Tochter, Gymnasiastin, lange schwarze Haare, nickt. Sie werden die ganzen Ferien in der Türkei bleiben.
Aber bevor die Tochter ihren ersten Schultag in der Oberstufe des Otto-Hahn-Gymnasiums verbringen darf, muss sie einen Test vorlegen, in dem sie als Corona-frei bezeichnet wird. Vorschrift, es gilt für alle Länder, die als Risikogebiet gelten.
Allerdings haben die Schüler in Berlin diese Vorgabe sehr kurzfristig erfahren. Ja, sagt Ilkur Salgam, „es war schon kurzfristig, aber mich stört es nicht. Schlimmer wäre es gewesen, wenn ich es gar nicht gewusst hätte.“
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Arye Merkhasin erfährt es am Donnerstag Vormittag, auf dem Flughafen, in Terminal M, drei Stunden vor seinem Abflug nach Tel Aviv. Für Israel gilt wegen Corona eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts, also betrifft es auch den siebenjährigen Sohn des 35-jährigen orthodoxen Juden Merkhasin.
Sein Sohn kommt in die zweite Klasse, die anderen vier Kinder sind noch zu klein für die Schule. Die spielen aufgeregt in der Halle. Merkhasin reagiert gelassen auf die Information, er reagiert auch gelassen auf die Corona-Situation. Angst, Befürchtungen? Keine.
Er hastet ohne Maske in Terminal M – kommt aber nicht weit
Er hat sich bei seinen Freunden in Israel erkundigt, wie eigentlich aktuell die Situation im Land ist, welche Maßnahmen gelten, welche Einschränkungen. Die Antworten waren so schwammig und wechselhaft, dass sich Merkhasin jetzt einfach überraschen lässt.
Bilge Buz, die Türkin, die Angst vor der Reise hat, weiß dagegen, dass sie auf dem Flughafen gleich getestet wird. Da sie in der Türkei eine feste Adresse hat, darf sie das Ergebnis zu Hause abwarten. Das Haus zu verlassen, ist allerdings nicht erlaubt.
Das Resultat werde aber schon nach wenigen Stunden übermittelt, außerdem, sagt die 55-Jährige, werde sie das Haus sowieso erstmal nicht verlassen. Sie hat Tochter und Enkel monatelang nicht gesehen, da hat sie ganz andere Wünsche.
Einer aber ignoriert an diesem Ferientag dann doch extrem auffällig die Corona-Regeln des Flughafens. Der Mitarbeiter eines Lieferdienstes hat drei Pakete im Arm, er will das schwere Zeug so schnell wie möglich loswerden, also hastet er durch den Eingang von Terminal M und will möglichst schnell weiter.
Er kommt genau vier Meter weit. Da lehnt ein Sicherheitsmitarbeiter an einem Rollwagen, sagt streng: „Stopp“ und zieht eine Schublade heraus. Dann übergibt er dem Paketboten eine Schutzmaske.