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Miniaturwelt. In der „FEZitty“ herrscht für alle Kinder und Berufsgruppen Lohngleichheit.
© promo

Ferienprogramm "FEZitty" in der Wuhlheide: So lernen Kinder den Kapitalismus kennen

Unser Wirtschaftssystem will gelernt sein: Seit 20 Jahren gestalten Berliner Kinder in den Sommerferien im FEZ ihre eigene Stadt.

Hier der Stadtreinigungsbetrieb, dort die Solardächer des Energieversorgers – und da hinten, bei dem aus Holz gezimmerten Hangar, ist auch eine Art Flughafen in Betrieb. Und dazwischen überall Kinder: Mia Glöckner, die minderjährige Bürgermeisterin von „FEZitty“, hat dieser Tage ihren Gesamtberliner Amtskollegen Michael Müller empfangen. Liest man dessen Gesichtsausdruck auf den veröffentlichten Fotos, scheint der SPD-Politiker aufrichtig angetan gewesen zu sein von dem, was er auf seinem Rundgang durch die Kinderstadt im Freizeit- und Erholungszentrum „FEZ“ sah: In der Wuhlheide, einem Waldstück im Dreieck zwischen Karlshorst, Oberschöneweide und Köpenick, gärt dieser Tage eine rot-rot-grüne Wirtschaftsutopie.

Bis zu 500 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 14 Jahren gestalten hier während der Ferien jeden Werktag noch bis zum 2. August ihre eigene Stadt. Jeden Tag können neue Kinder kommen. Anmeldung nicht erforderlich. Einige bleiben nur einen Tag, andere eine Woche oder gar täglich bis zum Ende der Ferien. Die Kinder verändern die allgemeinen Spielregeln, wählen jede Woche einen neuen Bürgermeister – oder eine Bürgermeisterin. Es gibt ein Gewerbegebiet, eine Farm, einen Forschungscampus, auch ein Sport- und Freizeitareal und einen Verkehrsbetrieb, der alle miteinander verbindet. Leider besteht diese kleine BVG maßgeblich aus einer kleinen Diesel-Schmalspurlok, die die Luft auf dem Gelände verpestet.

Aber es muss ja immer etwas zu verbessern geben. In der Stadt arbeiten die Kids in 35 verschiedenen Berufen und erhalten dafür Geld. Keine Euro, sondern „Wuhli“: Egal ob als Wassermanager, Forscher, Gärtner oder Bankangestellter, egal ob Junge, Mädchen, groß oder klein – alle verdienen gleich viel: fünf Wuhli brutto die Stunde. Ausgezahlt werden nur vier. Einen behält das Finanzamt ein! So lernen Kinder etwas übers Gemeinwohl – zumindest so lange, bis sie ein Stadtoberhaupt wählen, das diese Steuerregel abschafft.

Es gibt auch Zeitung und TV-Sender in der Stadt

Aber werden sie das? Dann könnte das Rathaus womöglich nicht mehr die Mitarbeiter bezahlen, die für ein Mindestmaß an Ordnung sorgen, auch die Stadtreinigung und andere nicht. Bricht dann Anarchie aus? „Kein Macht für Niemand“, hat jemand vorsorglich auf eine Holzpalette bei der Stadtgärtnerei gemalt. Man wird sehen.

Es gibt eine Zeitung und einen TV-Sender in der Stadt. Dieser Tage deckten Kinderreporter einen (inszenierten) Schwarzgeldskandal im Supermarkt auf – sehr zur Freude des Biosupermarktes gegenüber. Übernimmt der jetzt womöglich den lukrativen Vertrag mit der (realen) Lobbyorganisation Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL), die einen mobilen Hühnerstall mit 120 (ebenfalls sehr echten) Hühnern auf dem Gelände stationiert hat – und täglich frische Eier liefert?

So oder ähnlich veranstaltet das FEZ, das als Europas größtes gemeinnütziges Kinder-, Jugend- und Familienzentrum gilt, bereits seit 20 Jahren in den Sommerferien Stadtprojekte. Inspiriert wurde das Programm von der Spielstadt „Mini-München“, die im kommenden Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum feiert. In Berlin setzt man eigene Akzente: Vor zwei Jahren zum Beispiel befand sich die Kinderstadt der Wuhlheide im Mittelalter. Das Wirtschaftssystem funktionierte damals ähnlich wie in diesem Jahr – nur gab es mehr Tauschhandel. Und das schien vor allem den Kleinsten mehr Spaß zu bereiten.

Kein Mindestlohn, sondern Einheitslohn

Für viele Erwachsene, die mit Schildern vor dem Betreten von einigen Orten wie der Bank und dem Jobcenter abgehalten werden, wirkt FEZitty verblüffend komplex, friedlich, bunt und zugleich genügend realistisch. Gleichwohl spukt auch ein wenig vom Geist aus der Zeit, als das FEZ noch Ernst-Thälmann-Pionierpark hieß, über das 1979 eröffnete Gelände. Die Wuhlheide war das größte Kinder- und Jugendparadies der DDR – und ist bis heute ein Magnet für Familien über die Grenzen Berlins hinaus.

Auch 40 Jahre nach der Eröffnung haben die Organisatoren – wenn auch nicht die „Partei“ – fast alles unter Kontrolle: Kinder starten immer am Einwohnermeldeamt, wo sie ihren Ausweis erhalten, ohne den nicht viel geht. Nächste Pflichtstation ist das Jobcenter, das die freien Stellen vergibt und die Kinder zuteilt. In den Arbeitsstätten wird kein Mindestlohn gezahlt, sondern Einheitslohn. Vorbildung, Talent, Fleiß? Zählt hier nicht. Nur die Arbeitszeit – und eigentlich auch die nicht wirklich. Wer an Stadtversammlungen teilnimmt oder sonst einer spontanen Aktion, bekommt in der Regel die volle Zeit auf dem Kärtchen eingetragen. Mit dieser geht das Kind später zur Bank, um sich den Lohn auszahlen zu lassen.

Mehr als Wirtschaft. In der simulierten Gesellschaft kann man auch forschen.
Mehr als Wirtschaft. In der simulierten Gesellschaft kann man auch forschen.
© KPH

Das Geld wird netto in bar ausgezahlt. Die Kinder können es für Floßfahrten, Parkbahnfahrten oder im örtlichen Supermarkt ausgeben. Das Sortiment entspricht eher dem im Konsum als dem im Intershop. Plötzlich gibt es Taschentücher, dann Tennisbälle für zwei Wuhli das Stück, von Kindern Gebasteltes aus dem Modestudio oder der Papierfabrik. Die Bückware an diesem Tag: ein leichter Rucksack vom FEZitty-Sponsor Decathlon, dem französischen Sportausrüster. Dafür muss man allerdings 25 Wuhli berappen. Zum Glück gibt es auch einen Schwarzmarkt – Kinder, die untereinander Preise aushandeln, zum Beispiel für mitgebrachte Süßigkeiten.

Einige Kinder finden die Lücken im System

Kinder, die mitspielen, tauchen schnell sehr tief ein in diese Simulation einer Stadt, können Stunden, Tage, ganze Ferienwochen verstreichen lassen. Einige entwickeln – heute wie schon vor 40 Jahren – sehr schnell Strategien, wie man besonders gut durchkommt oder aufsteigt. Sie finden die Lücken im System: So gibt es zum Beispiel beim Sieg eines Fußballspiels für das Siegerteam gleich 25 Wuhli Prämie, für zwei mal drei Minuten „Arbeit“ am Ball. Und das steuerfrei! Das ist 50-mal so viel wie der normale Lohn.

Insofern spiegelt die lokale Ökonomie FEZitty vielleicht eher den Kapitalismus der Fifa-Ära als die Planwirtschaft der DDR. Zumal es auch kein erkennbares Sozialsystem gibt. Wer nicht arbeiten will, muss es auch nicht. Ihm fehlen dann aber am Nachmittag die nötigen Wuhlis fürs Shoppen und Bootfahren. Verhungern müssen auch „faule“ Kinder nicht: Sofern sie harte Euro in der Tasche haben, erhalten sie am Imbiss eine Wiener, eine Brezel oder einen Muffin.

Man muss das Projekt wirtschaftstheoretisch nicht zu sehr sezieren: In jedem Fall aber prägt es junge Berliner und ihr Verständnis von wirtschaftlichen Beziehungen. Deshalb interessiert sich auch Michael Müllers Landesregierung so sehr dafür: So haben zum Beispiel landeseigenen Wasserbetriebe in FEZitty ein besonders Veranstaltungsprogramm organisiert - betont ökologisch, fair und nachhaltig.

FEZitty ist Spiegel der aktuellen politischen Verhältnisse

Dazu nur ein Gedankenspiel: Welchen Akzent in FEZitty würden CDU oder FDP setzten, hätten sie aktuell das Sagen im politischen Berlin – und damit auch bei derartigen mit Landesmittel geförderten Projekten? Gäbe es dann weniger Wuhli-Steuern? Und mehr Freiheiten für Gründer? Weniger Pausen für Arbeitnehmer? Oder was würde die AfD tun? Wahrscheinlich gäbe es in FEZitty mehr Patrouillen der Kinderpolizei. Sogar Strafen für Schwarzfahrer bei der Bimmelbahn? Wären alle Ausländerkinder raus?

Projekte wie FEZitty sind wertvoll, wichtig, spannend und vieles mehr – und zugleich Spiegel der aktuellen politischen Verhältnisse. Zum Glück nehmen sich Kinder die Freiräume, die sie brauchen: Als ein Vater am Mittwoch seinen neunjährigen Sohn aufforderte, die Karte mit den Arbeitszeiten schnell in der Bank abzugeben, um die Wuhlis zu kassieren, sagt der: „Ich geh jetzt erst mal auf den Spielplatz, klettern.

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