Sahara-Sommer: So leben Bewohner in den Hitzemetropolen der Welt mit Rekordtemperaturen
Was sich in Berlin schon heiß anfühlt, gilt woanders noch als angenehm. Berichte aus Israel, Indien, Brasilien, Italien, Serbien und China.
In Berlin herrscht Hochsommer, die Temperaturen steigen auf deutlich mehr als 30 Grad - und das immer häufiger. Darum lohnt ein Blick in andere Metropolen, in denen Gluthitze längst zur Normalität gehört. Unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten berichten aus sechs Städten rund um den Globus.
Runtergekühlt in Tel Aviv
Wenn ab Juni die Temperaturen parallel zur Luftfeuchtigkeit in sommerliche Höhen steigen, stellt sich in Tel Aviv nur eine Frage: Was tun gegen die Kälte? Israelis kennen nämlich nichts, wenn es darum geht, Büroräume, Bankfilialen, Shoppingmalls und Zugabteile runter zu kühlen. Gerne auf unter 20 Grad, was den Kontrast zu den draußen vorherrschenden 32 Grad bei einer Luftfeuchtigkeit von über 60 Prozent besonders unerträglich macht. Es lohnt sich also, im Hochsommer immer ein Jäckchen dabei zu haben.
Klimaanlagen sind für Israelis das, was für uns Deutsche die Heizung ist. Sie gehören ganz selbstverständlich dazu und werden von niemandem hinterfragt. Keiner würde hier auf die Idee kommen, den Geräten zu unterstellen, sie seien verantwortlich für Schnupfen und steife Nacken. Im Gegenteil. Wohnungen ohne sie sind im Grunde nicht zu vermieten.
Das war nicht immer so: Bis in die 1990er Jahre galt auch in Israel der „Masgan“ als Luxusartikel, der die Stromrechnungen in die Höhe trieb. Wer eine Anlage besaß, schaltete diese nur dann an, wenn die Hitze wirklich gar nicht mehr auszuhalten war. In israelischen Zügen wurden die ersten Klimaanlagen 1989 installiert.
In den 30er Jahren haben die Bauhaus-Architekten, die funktionell und praktisch bauten, deshalb nur kleine, schmale Fenster und schattige, überdachte Balkone eingeplant. Es sollte möglichst wenig Sonne in die Wohnungen strahlen. In Zeiten von Klimaanlagen ist dieses energiesparende Bauen in Israel nicht mehr gefragt. Hochhäuser mit Glasfassaden und Wohnungen mit vielen großen Fenstern dagegen schon. Israelis rechnen einem gerne vor, dass es ja nur einen Schekel – also 25 Cent – pro Stunde kostet, um eine Drei-Zimmer-Wohnung zu kühlen. Das tun sie dann auch, rund um die Uhr. Nichts wäre für sie schlimmer, als ein bisschen zu schwitzen.
Da Israelis aber trotzdem gerne draußen sind, haben nahezu alle Restaurants und Cafés in ihren Außenbereichen Ventilatoren installiert. Manche Geräte sondern dabei ganz feines, nebelartiges Wasser ab.
Nur am Strand scheint das Hitzeempfinden vieler Israelis andere Maßstäbe anzunehmen. Dort sonnen sie sich gerne stundenlang, auch im August, obwohl dann selbst das Mittelmeer abgestandenem Badewasser gleicht. Hier helfen nur die alten Tricks: Wassermelone und ein israelisches Goldstar-Bier. Und wenn der Mann mit der Kühltasche „Artik, Artik“ schreit und damit sein Zuckerwassereis anpreist, heißt es: zugreifen. Lissy Kaufmann
Kostenlose Getränke in den Straßen von Delhi
Temperaturen von mehr als 40 Grad im Mai sind in Delhi ganz normal. In diesem Jahr jedoch waren es an einigen Tagen sogar 48 Grad, was selbst für Inder unerträglich ist. Für die Schüler gibt es über die Sommerzeit fast drei Monate Schulferien - und Hitzefrei, wenn das Thermometer über 43 Grad anzeigt.
Traditionell stehen die Bewohner der indischen Hauptstadt sehr früh auf. In Parks wie den Lodi Gärten im Zentrum herrscht zu dieser Jahreszeit schon kurz nach 5 Uhr morgens reger Betrieb. Sobald die Sonne etwas höher steht, wird es still. Erst in der Abenddämmerung kehren die Besucher zurück.
Das öffentliche Leben in der Stadt kommt an den beiden heißesten Monaten Mai und Juni fast vollständig zum Erliegen. Es gibt kaum noch Konzerte und Theateraufführungen, Ausstellungen und Museen sind geschlossen. Auf die Straße geht nur noch, wer dort sein Geld verdienen muss: Taxi- und Rikscha-Fahrer, Bauarbeiter und die Maids, die Hausangestellten, die zum Einkaufen geschickt werden. Wer immer kann, verlässt die Millionenstadt wenigstens für ein paar Tage. Die Mittelklasse macht Urlaub, die Armen gehen in die Dörfer zurück, aus denen sie in die Großstadt gezogen sind.
Sobald es heiß wird, kann man in den Wohnvierteln am Straßenrand oft kugelförmige Tonkrüge sehen, die in feuchte rote Tücher gehüllt sind. Sie enthalten einfach nur Wasser, Zitronenwasser oder sogar Jaljeera. Jal heißt Wasser und jeera ist Kreuzkümmel, aber für jaljeera werden noch eine weiterer Kräuter und Gewürze benötigt: Minze, schwarzer Pfeffer, Tamarind und Fenchelsamen.
Zu Hause trinken die Inder viel Chaach. Das ist mit Wasser verdünnter Joghurt, der mit schwarzem Salz, dem Pulver von Kreuzkümmel und Koriander gewürzt wird. Kostenlose Getränke an den Straßenrand zu stellen ist eine alte Sitte, die auch in diesen Zeiten und in dieser verrückten Stadt Delhi noch heute funktioniert.
Erst im Juli, mit dem einsetzenden Monsunregen, geht das Leben weiter. Frank Herold
Nasse Handtücher, Strandnächte und Berge in Rio
Du weißt, es ist Sommer in Rio, wenn das Thermometer nachts um zwei immer noch 32 Grad anzeigt. Du kannst nicht schlafen, sehnst dich nach einer Klimaanlage, hast aber keine, weil du entweder arm bist oder, wie der Autor dieser Zeilen, in einem denkmalgeschützten Haus wohnst, in das man keine einbauen darf. Was machst du also, wenn selbst der Ventilator keine Abkühlung mehr schafft?
Die Cariocas, so heißen die Bewohner Rios, haben mehrere Strategien entwickelt. Die erste stammt aus den Favelas und geht so: Du tränkst ein Handtuch mit Wasser, wringst es aus und deckst dich damit zu. Vorher richtest du noch den Ventilator aufs Bett.
Die zweite Strategie heißt ganz simpel: Strand. Es gehört zu den eigentümlichsten Szenen Rios, wenn in manchen Sommernächten Tausende Menschen die Strände bevölkern und sich unter lautem Hurra in die Wellen stürzen. Es ist dann eigentlich so, wie schon den ganzen Tag über. Nur mit Mond.
Die dritte Strategie ist etwas fürs Wochenende: ab in die Berge! Die Gebirge im Hinterland Rios erinnern nicht nur an die Schweiz, es ist dort auch stets einige Grad kühler als in der Ebene.
Ansonsten sind die Cariocas sehr hitzebeständige Wesen. Sie haben sich an die Temperaturen von durchgehend über 30 Grad in den Sommermonaten angepasst. Die Uniform für den Herren ist dann: Muskelshirt, Badeshorts, Flipflops. Und für die Dame: Bikinioberteil, knappe Hosen, Flipflops. Wer kann, legt sich Freunde mit Swimmingpool oder zumindest ein aufblasbares Planschbecken zu. Gerne suchen die Cariocas im Sommer auch die klimatisierten Shoppingcenter, Kinos und Supermärkte auf. Büros, Arztpraxen, Hörsäle und die Metro sind sowieso klimatisiert.
Eine Klimadiskussion gibt es in Brasilien übrigens nur am Rande. Zur ersten Fridays-for-Future-Demo vor einigen Wochen in Rio kamen genau zwölf Personen. Man hält das mit der Hitze hier noch für ziemlich normal. Philipp Lichterbeck
Leere Straßen in Rom
Hitzewelle in Rom? Ja, sicher. In diesem Moment zum Beispiel, um 9 Uhr morgens, sind es bereits 28 Grad. Das bezieht sich auf draußen, gemessen zwei Meter über dem Boden im Stadtpark Villa Ada, im Schatten natürlich. In der Stadt selber dürften es eher 35 Grad sein, gefühlt jedenfalls. Gegen Abend, wenn sich die Palazzi von der Sonne aufgeheizt haben, wird sich das bekannte Backofengefühl einstellen. Alles in allem ein normaler Sommertag in Rom.
Wobei: So richtig heiß wird es in der Ewigen Stadt erst im August. Dann gibt es in Rom keine Römer mehr: "Tutti al mare" lautet das Motto, nicht nur hier. Alle ans Meer oder in die Berge. Zumindest diejenigen Römer, die sich in diesen schwierigen Zeiten noch mehrere Wochen Sommerferien leisten können. Die anderen, die zuhause bleiben müssen, erleben eine veränderte Stadt: freie Bahn auf den sonst verstopften Straßen, leere Busse, keine Ellbogen und kein Gedrängel. Viele sagen: Im August ist Rom am schönsten. Trotz der Hitze. Dominik Straub
Heimische Melonen in Belgrad
Morgens etwas früher auf – und abends später raus: Wie überall im Süden Europas ist ein angepasster Tagesablauf auch in den aufgeheizten Asphaltschluchten von Serbiens Hauptstadt Belgrad die beste Überlebenstechnik in der Sommerhitze.
Nur weißbeinige Kurzhosenträger aus dem Norden und die eher betagten Passagiere anlandender Donaukreuzfahrtschiffe machen sich in der sengenden Sonne schwitzend zu Touristenzielen wie der Kalemegdan-Festung oder dem Nikola-Tesla-Museum auf. Heimische Erfahrungsexperten setzen hingegen zur heißesten Zeit des Tages am liebsten auf möglichst wenig Bewegung, schattige Terrassen, abgedunkelte Wohnfluchten und die unablässig brummenden und tropfenden Klimaanlagen: In sehr heißen Sommern übertreffen die Stromrechnungen für Juli und August selbst die der Wintermonate.
Zu nah rücken die Passanten, die mittags matt durch die kurzen Schatten der Belgrader Betonburgen schleichen, den Häuserwänden wohlweislich allerdings auch nicht auf die Pelle: Als brühwarmer Hitzeregen träufelt schlecht abgeführtes Kondenswasser der Klima-Anlagen auf Köpfe und in Kragen. Erst beim Einsetzen der Dämmerung gehen zum Auskühlen die Fenster auf. Denn im Hochsommer drückt die heiße Luft auch bei gekippten oder mit Vorhängen verhängten Fenstern in die erhitzen Wohnstuben – und aufs gelähmte Gemüt.
Nur die Kindergärten arbeiten durch. Die Schulen bleiben hingegen sehr lange geschlossen: Die Hitze kombiniert mit den zehnwöchigen Ferien ist auch für improvisationserprobte Familien eine logistische Herausforderung. Großeltern auf dem kühleren Land helfen nicht allen berufstätigen Erziehungsberechtigten aus der Patsche. Was tagsüber tun mit der zum Hitzehausarrest verbannten Brut? Gegenseitige Besuche von Nachbarskindern werden von ständigen Chatkonferenzen der Eltern begleitet: Wechselweise übernehmen sie Obhut und Park-Exkursionen.
Die Strände des aufgeheizten Flussteichs an der Ada sind wie die Freibäder überfüllt, aber für weniger hitzeresistente Belgrader ohnehin keine Lösung: Im Hochsommer ist es vielen für einen Badeausflug schlicht und einfach zu heiß. Die Hoffnung im sommerlichen Überlebenskampf ist grün – und kommt vom nahen Land. Spätestens Ende Juli, wenn heimisches Wassergemüse die teure griechische Importware zunehmend ersetzt, geht kein Sommertag ohne Wassermelone als Hitzehelfer über die Bühne.
Thomas Roser
Feinnebelige Parks in Peking
39 Grad war es Anfang Juni in Peking heiß - die höchste gemessene Temperatur seit 50 Jahren. Die Stadt liegt wettermäßig sozusagen in einer Hauptkonfliktzone. Nicht nur tropische Luftmassen bewirken heiße Sommer, die Region der ehemaligen Kaiserstadt liegt zudem an der Nordspitze der von Monsun betroffenen Regionen. Die Kombination von Hitze und Regen ist dabei noch nicht das größte Übel. Peking befindet sich in einem Kessel und wird am Stadtrand von Südwesten nach Nordosten von Bergen umgeben. Was früher perfektes Feng Shui versprach, erzeugt heute windstille Luft – weder der Smog noch die Hitze können abziehen. Abkühlung sucht man sich dann in den umliegenden Bergen oder am Meer.
Die Tickets für die Züge, die aus Peking fast stündlich nach Beidaihe, einem Strandort 300 Kilometer östlich von Peking, fahren, sind für die Sommermonate hoffnungslos ausverkauft. Hat man einen Platz ergattert, bekommt man die Abkühlung aber schon im Zug, wo die Klimaanlagen die Waggons teils zu Kühlboxen herunterkühlen, sodass Pullover, Halstücher und Jacken aus dem Gepäck geholt werden müssen.
Wer arbeitet und nicht wegfahren kann, hat ganz schnell ein ähnliches Problem: zu kalte Büroräume. Durch Klimaanlagen werden Büros auch im Sommer auf bis zu 21 Grad heruntergekühlt. Kühl bis frostig ist es auch in den Kauftempeln, ja selbst der Pekinger Ritanpark unweit der Verbotenen Stadt hat „Wassersprühanlagen“ installiert, die den Besucher in einen kühlenden Nebel einhüllen sollen. In die Parks, deren Bäume etwas Schatten spenden, kommen die Pekinger noch früher als sonst, um die Hitze zu meiden. Meist sind Grünanlagen um 8 Uhr früh schon wieder menschenleer, denn in den Sommermonaten erreichen die Temperaturen dann manchmal schon über 35 Grad. Also versucht man sich bis zu den Abendstunden, wenn die brennende Sonne nicht mehr scheint, nur noch in klimatisierten Räumen aufzuhalten.
Einkaufszentren, Cafés, Ikea, aber auch Büchereien finden großen Andrang. In besonders dicht besiedelten Bezirken im Westen der Stadt wohnen teils bis zu 23.000 Menschen auf einem Quadratkilometer – in Betonstädten, die die Hitze absorbieren und die Stadt noch weiter aufheizen.
Schwer haben es vor allem alte Menschen, wenn sie auch noch in den alten Hutongs der historischen Altstadt wohnen, dort, wo sie keine Parks in der Nähe haben und die Häuser teils noch ohne Toiletten sind. Das Trinkwasser muss zudem wie überall sonst in Peking geliefert werden. Da kommt es schon mal zu Engpässen. Denn die Auslieferer und Paketausträger haben bei der Hitze zwar viel zu tun, sind aber die eigentlichen Verlierer. Ob bei extremer Hitze oder Kälte, sie müssen den Leuten ihre Waren liefern, wenn keiner in der sonst schnelllebigen Stadt aus den klimatisierten Räumen raus will. 22 Millionen Menschen tragen in ihrem Alltag eben dazu bei, dass sich die Stadt bei sowieso hohen Temperaturen noch weiter aufheizt. Ning Wang
Tagesspiegel-Korrespondenten