„Es ist eine Zerreißprobe“: So läuft das Krisenmanagement des Berliner Senats
Der Ärztekammer-Präsident Günther Jonitz berichtet über das Krisenmanagement des Senats und ihre Zusammenarbeit.
Günther Jonitz, 61, ist Facharzt für Chirurgie und zudem seit 1999 Präsident der Ärztekammer Berlin und Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer.
Herr Jonitz, wie sehen Sie als Präsident der Ärztekammer Berlin die derzeitige Lage? Wie bewältigt die Berliner Ärzteschaft die Corona-Pandemie?
Es ist nicht optimal. Die Ärztekammer Berlin ist selbst nicht in der ersten Reihe. Wir sind momentan aber auf drei Ebenen aktiv: Wir veröffentlichen für jeden Arzt und die Öffentlichkeit aktuelle Informationen auf unserer Homepage. Außerdem haben wir Ärzte im Ruhestand angeschrieben: Bis Ende letzter Woche haben sich 35 Ärzte bereiterklärt, auszuhelfen.
Die dritte Ebene ist, dass wir jetzt in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung dabei sind, das Thema intensivmedizinische Betreuung auf die Reihe zu kriegen. Gott sei Dank haben wir noch nicht derart viele Fälle wie andere Länder, aber es wird gerade daran gearbeitet, dass 480 Intensiv-Beatmungsbetten freigehalten werden, um gerüstet zu sein.
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Das ist die Zahl für ganz Berlin?
Ja, wir haben knapp 1800 Intensivbetten in Berlin – die wegen Personalmangels nicht alle besetzt werden können. Jetzt wird systematisch auch mit der Berliner Feuerwehr daran gearbeitet, dass wir 480 Betten als Reserve freihalten.
Kann Pflegepersonal von anderen Stationen auf Intensivstationen eingesetzt werden, um Leben zu retten?
Das wird wahrscheinlich erfolgen. Ein Pfleger von einer normalen Station kann zwar kein Beatmungsgerät bedienen, aber sie können zumindest die Fachpfleger für Intensivmedizin unterstützen. Das ist sinnvoll, aber nur ein Behelf.
Jetzt ist die hohe Kunst der Flexibilität und Improvisation gefragt, an unterschiedlichen Stellen. Das ist möglicherweise ein positiver Nebeneffekt: dass man sich überlegt, wie viel in der Patientenversorgung noch zu holen ist, wenn man Zusammenarbeit wichtiger nimmt als Wettbewerb.
Denken Sie, Ärzte sind flexibel genug – auch angesichts der bestehenden Hierarchien in Kliniken?
Ja, ohne jede Einschränkung. Die Ära der Gorillamediziner ist zumindest in Berlin bis auf ganz wenige Ausrutscher vorbei. Ein anderes Problem ist aber die ambulante Versorgung: Viele Praxen schicken Verdachtsfälle weg und richten nicht etwa Spezialsprechstunden ein, wie der Virologe Drosten es gefordert hat.
Die Hotlines des Senats und der Gesundheitsämter sind praktisch überhaupt nicht erreichbar. Die meisten Patienten mit normalen Erkältungen sollten zu Hause bleiben und warten, bis die Krankheit vorbei ist. Patienten mit ernsten Symptomen – die etwa schlecht Luft kriegen – muss man sich anschauen oder sie ins Krankenhaus schicken.
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Es ist so, dass die meisten niedergelassenen Ärzte mit dem Thema alleine im Regen stehen gelassen worden sind. Manche haben die Personalumkleide für die Corona-Verdachtsfälle umfunktioniert oder einen von drei Ärzten abgestellt, der sie im Schutzanzug in einem separaten Raum anschaut.
Viele Arztpraxen haben derartige Lösungen nicht entwickelt.
Genau, die betreiben logischerweise Selbstschutz. Viele Ärzte betreuen Schwerkranke und chronisch Kranke, die eine Betreuung durch den Hausarzt benötigen. Wenn der wegfällt, weil der Hausarzt einen positiven Abstrich hat, ist weder Corona-Patienten noch anderen Kranken geholfen. Es ist eine Zerreißprobe.
Niedergelassene Ärzte haben eine Versorgungspflicht. Müsste da nicht deutlich mehr passieren?
Das steht auf dem Papier, und das ist geduldig. Gleichzeitig wird genau diese Berufsgruppe eigentlich jetzt schon in einem weit überproportionalen Ausmaß ihrem Auftrag gerecht – wenn man sich die Arbeitszeiten anguckt und den Lohn ausrechnet.
Wie bewerten Sie das Krisenmanagement in Berlin?
Eine offizielle Einberufung eines Krisenstabs, an dem alle Akteure auf der Leitungsebene wenigstens einmal eingeladen worden wären, um zu hören, was der Senat sich vorstellt, gab es nicht. Die Ärztekammer war nicht eingeladen. Zumindest bei der ersten Sitzung wäre es gut gewesen, um zu wissen, was der Senat sich vorstellt. Ein abgestimmtes Vorgehen ist mir nicht bekannt.
Haben Sie denn beim Senat angeklopft?
Nein, weil das eine ausdrückliche Führungsaufgabe der Senatsverwaltung ist. Das ist ihr Job, nicht meiner. Krisenmanagement gehört nicht zu den Dingen, die ich gelernt habe oder für die die Kammer zuständig wäre. Wenn ärztlicher Rat und ärztliches Handeln gebraucht wird, ist die Ärztekammer da.
Wer ist denn Ihres Wissens nach beim Krisenmanagement des Senats eingebunden?
Primär die Kassenärztliche Vereinigung, die Krankenhausgesellschaft und der öffentliche Gesundheitsdienst. Da kriegt man mit: Die Krankenhäuser sind am Anschlag, die Kassenärzte ohnehin und der Gesundheitsdienst ist eh aktiv kaputtgespart worden; das rächt sich jetzt.
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Es liegt nicht an den einzelnen Akteuren – es liegt am System und der hundsmiserablen Gesundheitspolitik. Jetzt ist eine gute Zusammenarbeit wichtig, nicht das Suchen von Schuldigen. Wenn Corona einigermaßen abgeflaut ist, brauchen wir eine Party. Und unmittelbar danach eine Arbeitsgruppe, um aufzuarbeiten, was wir ändern müssen.
Wer muss nun schnell Lösungen finden?
Da kommen wir auf einen skurrilen Fehler unseres Systems: Verantwortlich für die Gesundheitsversorgung sind die Länder. Aber wo liegen sämtliche Führungsinstrumente? Wo werden Geld und Macht verteilt oder Ausnahmeregelungen geschaffen? Beim Bund.
Eine Imbissbude könnten Sie so nicht führen. Jeder muss sich an die eigene Nase fassen – da habe ich schon dünne Haut. Denn Kernaufgabe der Ärztekammer ist auch die Politikberatung: Wenn die Politik schlechte Entscheidungen trifft, muss ich mich natürlich fragen lassen, welche Beratung hat da stattgefunden.
Wir müssen jetzt die Krise als Chance begreifen und das Problem angehen. Nach dem Motto: Corona fliegt nicht, Corona bewegt sich nicht – sondern Corona wird bewegt. Deshalb muss man alles an Sozialkontakten herunterfahren, was irgendwie vertretbar ist.
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